McLaren-Mercedes: Schwarze Flagge für Montoya zu hart
Teamchef Ron Dennis empfindet die Disqualifikation von Juan-Pablo Montoya als zu hart - Atmosphäre mit dem Kolumbianer vergiftet?
(Motorsport-Total.com) - Nach dem Unfall von Jenson Button musste beim gestrigen Grand Prix von Kanada das Safety-Car auf die Strecke, was für den zu dem Zeitpunkt führenden Juan-Pablo Montoya verheerende Folgen haben sollte: Der Kolumbianer fuhr nach seinem Boxenstopp während der Safety-Car-Phase trotz roter Ampel aus der Boxengasse und wurde dafür per schwarzer Flagge aus dem Rennen genommen.

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Die Freude über die Führung währte bei Juan-Pablo Montoya gestern nur kurz
Artikel 149i des Sportlichen Reglements der FIA liest sich folgendermaßen: "Während einer Safety-Car-Phase dürfen im Wettbewerb stehende Autos in die Boxengasse fahren, aber nur dann auf die Strecke zurückkehren, wenn das grüne Licht am Ende der Boxengasse an ist. Es wird zu jeder Zeit an sein, es sei denn, das Safety-Car und die Autokolonne dahinter passieren gerade die Boxenausfahrt oder werden diese jeden Moment passieren."#w1#
Montoya beim Rausfahren aus der Box doppelt frech
Sprich: Montoya hätte sich nach seinem letzten Tankstopp so lange an der Boxenausfahrt anstellen müssen, bis das gesamte Feld an ihm vorbeigezogen gewesen wäre, was sich mit seinem Renninstinkt nicht vereinbaren ließ. Stattdessen überfuhr er in der Hitze des Gefechts erstens die rote Ampel und drängelte sich zweitens auch noch frech vor den Red-Bull-Cosworth von David Coulthard, um sich direkt hinter seinem führenden Teamkollegen wieder einreihen zu können.
"Juan-Pablo", sagte Teamchef Ron Dennis anschließend, "war beim Hinausfahren eigentlich diszipliniert. Er wurde von einem Ingenieur noch angewiesen, die weiße Linie an der Boxenausfahrt nicht zu überfahren, was entscheidend ist. Wir können ihn aber nicht daran erinnern, nicht bei roter Ampel zurück auf die Strecke zu fahren. Daher ist er hinausgefahren, aber er war anschließend der Meinung, dass die Ampel blau und rot geleuchtet hätte."
Der Brite fasste sich Montoya nach dessen Disqualifikation übrigens zur Brust und redete ein ernstes Wörtchen mit seinem Schützling, der in Montréal durchaus seinen ersten Grand Prix im silbernen Overall hätte gewinnen können. Davor, noch während der Kolumbianer zurück auf die Strecke fuhr, nahm McLaren-Mercedes Kontakt zu Rennleiter Charlie Whiting auf, weil man anbieten wollte, sich ans Ende des Feldes zurückfallen zu lassen, um eine Strafe zu vermeiden. Whiting überließ die Entscheidung aber den Stewards.
McLaren-Mercedes: Schwarze Flagge "zu hart"
Die Disqualifikation empfand Dennis als "zu harte" Bestrafung: "Wir kämpfen um beide Weltmeisterschaften. Das Problem ist, dass man gegen eine schwarze Flagge keinen Protest einlegen kann. Wenn man aber die schwarze Flagge ignoriert, um nach dem Rennen gegen die Entscheidung protestieren zu können, riskiert man eine noch härtere Strafe. Ich finde, die Strafe steht in keinem Verhältnis zum begangenen Vergehen", erklärte er gegenüber 'ITV'.
Allerdings musste er auch zugeben, dass es am Verstoß gegen das Reglement an sich nichts zu rütteln gibt: "Wir haben drei Fehler gemacht: Juan-Pablo fuhr nach dem ersten Boxenstopp zu übermütig aus der Boxengasse heraus, denn da hätte er schon Zweiter sein können, wir haben dann den Fehler gemacht, ihn während der Safety-Car-Phase nicht sofort an die Box zu holen - und er ignorierte dann beim Hinausfahren die rote Ampel", so Dennis.
Versteckte Teamorder bei McLaren-Mercedes?
Dem vorangegangen ist freilich eine überaus interessante Teamentscheidung, als das Safety-Car auf die Strecke ging: Obwohl zwischen Montoya und Räikkönen zu jenem Zeitpunkt weniger als fünf Sekunden lagen, empfing Räikkönen den Befehl, an die Box zu kommen, rechtzeitig, während Montoya keine derartige Anweisung vom Kommandostand bekam. Wäre er vor Räikkönen an die Box gekommen, hätte er als Führender hinter dem Safety-Car wieder auf die Strecke zurückkehren können.
Ob McLaren-Mercedes im Hinblick auf die Fahrer-WM auf diese Weise einfach die Positionen intern vertauschen wollte, ohne das Verbot der Stallregie umgehen zu müssen? "Als die Renaults aus dem Rennen waren, haben wir die Fahrer angewiesen, Pace rauszunehmen", erklärte Dennis. "Juan-Pablo mussten wir davon überzeugen, dass ihn das nicht den Sieg kosten würde. Es gab also einige Spannungen am Kommandostand. In einer relativ ruhigen Phase kam dann aber das Safety-Car raus."
Die Entscheidung, Räikkönen vor Montoya zum Nachtanken zu beordern, bedeutete "natürlich, dass Kimi einen Vorteil hatte, denn er kam dadurch als Führender zurück auf die Strecke", fuhr er fort. Es habe deswegen im Gegensatz zu dem, was man vermuten könnte, aber keinerlei Schwierigkeiten mit Montoya gegeben, betonte der McLaren-Mercedes-Teamchef: "Als Juan-Pablo an die Box kam, war er ganz ruhig. Er war überhaupt nicht zornig oder frustriert."
Montoya dem Team gegenüber nicht kritisch
Montoya selbst vermied es nach dem Rennen, sich dem Team gegenüber kritisch zu äußern: "Wir wollen immer unser Bestes geben, aber niemand ist perfekt. Natürlich bin ich enttäuscht, denn ich war so nahe dran, mein erstes Rennen für das Team zu gewinnen. Ich werde dies aber schnell hinter mir lassen und vergessen, denn ich freue mich schon auf Indianapolis, wo ich immer gerne fahre", gab er diplomatisch zu Protokoll.
Nicht leugnen lässt sich allerdings, dass das Standing des 29-Jährigen unter den gestrigen Vorfällen sicher gelitten hat, während sich nun intern alles auf den "Iceman" konzentriert, der mit 37 zu 16 Punkten im WM-Stallduell die Nase klar vorne hat. Montoya konnte bislang mit seinen Leistungen nicht wirklich überzeugen, wurde während seiner Rekonvaleszenz von de la Rosa und Wurz stark vertreten und gilt als charakterlich schwierig - zeichnet sich da schon ein Stunk ab?
"Man neigt in der Emotion sehr schnell dazu, Dinge spontan zu beurteilen", relativierte Mercedes-Sportchef Norbert Haug. "Ich möchte das in Ruhe machen, möchte sehen, was tatsächlich passiert ist. Juan-Pablo wurde kritisiert, hat heute aber gezeigt, dass er ein Siegfahrer ist. Er war absolut gut und schnell unterwegs. Er hätte sich den Sieg verdient gehabt, aber ich denke, dass es keine gute Situation für ein Team ist, wenn man selbst einen Fehler gemacht hat - und den haben wir möglicherweise gemacht."
"Wenn wir etwas falsch machen, geben wir es auch zu"
Was den Fehler beim Herausfahren aus den Boxen angeht, wollte der Deutsche nicht alleine dem Fahrer die Schuld geben. Es seien "sicherlich beide" - also Team und Fahrer - dafür verantwortlich: "Der Fahrer muss schauen, das Team muss schauen. Es gibt meines Wissens eine neue Safety-Car-Regel. Die hat man offensichtlich nicht gut genug einstudiert. Das müssen wir ganz klar auf unsere Kappe nehmen. Wenn wir etwas falsch machen, geben wir es auch zu, aber damit will ich es bewenden lassen", meinte er.
Und auch McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh dementierte gegenüber dem 'Guardian' Spekulationen über Risse im Verhältnis zwischen dem flamboyanten Lateinamerikaner und dem kühlen britisch-deutschen Rennstall: "Ich bin beeindruckt von Juan-Pablos Einsatzbereitschaft und von seiner Einstellung. Wir sind zuversichtlich, dass er den Erwartungen gerecht werden kann", teilte er in einem vor dem gestrigen Rennen geführten Interview mit.
"Obwohl alle gesagt haben, dass Juan-Pablo nicht unseren Vorschlägen folgen würde, hat er sein Fitnessprogramm intensiviert und Gewicht abgelegt. Er ist fitter als je zuvor. Er ist konzentriert und motiviert, und in den letzten Rennen haben wir festgestellt, dass er und Kimi Fragen über die Rundenzeiten und Setups des jeweils anderen zu stellen beginnen. Das zeigt, dass sie sich gegenseitig anstacheln", verteidigte Whitmarsh die Verpflichtung des vierfachen Grand-Prix-Siegers.

