Das war 2008: BMW Sauber F1 Team
Von der Pleite beim Rollout bis zur Sternstunde in Kanada: Die Achterbahnfahrt des BMW Sauber F1 Teams in dieser Saison in der Analyse
(Motorsport-Total.com) - Viele trauern den "goldenen Jahren" der Formel 1 nach, dabei war die Saison 2008 so spannend wie kaum eine andere zuvor. Speziell das packende Herzschlagfinale in Brasilien ging in die Grand-Prix-Geschichte ein. 'Motorsport-Total.com' rollt die zurückliegenden Ereignisse in Form einer Artikelserie noch einmal auf. Den Anfang machen die elf Teams, dann folgen die fünf Deutschen und zum Abschluss am 1. Januar Weltmeister Lewis Hamilton. Heute: das BMW Sauber F1 Team.

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Erster Sieg für das BMW Sauber F1 Team - und dann gleich doppelt!
Als das Testteam Mitte Januar vom Rollout des F1.08 in Valencia zurückkam und in München seine ersten Eindrücke vom neuen Auto der Kollegenschaft anvertraute, erreichten unsere Redaktion bereits die ersten Horrornachrichten aus dem Lager des BMW Sauber F1 Teams: Der F1.08 sei ein Flop, war da zu hören, ein kaum zähmbares Raubtier, das speziell für Nick Heidfeld nicht zu bändigen war. Stallgefährte Robert Kubica kam auf Anhieb etwas besser damit zurecht.#w1#
Einzigartiges Notfallprogramm

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Ernüchterndes Rollout: Zunächst schätzte den F1.08 niemand als Siegerauto ein Zoom
Nach dem Rollout wurde in der Fabrik in Hinwil ein Notfallprogramm angeworfen, um den F1.08 in weniger als 50 Tagen flott zu machen. Willy Rampf, der vielleicht am meisten unterschätzte Technische Direktor der Formel 1, und seine Crew machten das Unmögliche möglich: Die Schwachstellen wurden auf Herz und Nieren untersucht und ausgemerzt, das Auto einem Facelifting unterzogen - und pünktlich zum Saisonstart war das BMW Sauber F1 Team konkurrenzfähig.
Kubica verfehlte die Pole-Position beim Opener in Australien nur um 0,155 Sekunden, obwohl er sich auf seiner schnellsten Runde einen schweren Fahrfehler leistete und die Wiese notgedrungen in seine Linienwahl integrierte. Gewiss war der Pole leichter unterwegs als die absoluten Topautos, aber zumindest hatte das Team nun die Sicherheit, nicht völlig daneben gegriffen zu haben. Im Rennen schied Kubica aus, Heidfeld wurde dafür dank einer Safety-Car-Phase starker Zweiter.
"Melbourne", erinnert sich 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer an den Saisonauftakt, "war eine Kubica-Strecke, die nicht sehr viel Aerodynamik erfordert. Kubica-Strecke deswegen, weil sie Montréal sehr ähnelt - 90-Grad-Kurven, dann wieder Bremsen, Gas geben und fertig. Es hat dort keine langgezogenen schnellen Kurven wie etwa in Malaysia, wo sie im zweiten Rennen nur sehr mittelmäßig mitgefahren sind."
Kompliment an den Technikerstab

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Der vielleicht meistunterschätzte Technikchef der Formel 1: Willy Rampf Zoom
"Dass man es nach einem schlechten Start so auf die Reihe bekommt, habe ich in der Form noch bei kaum einem Team gesehen", lobt der Schweizer seine Landsleute. "Das Auto war beim Rollout völlig daneben, aber sie haben es so hingebogen, dass sie noch ein Rennen gewonnen haben. Das finde ich einfach sensationell. Kompliment an die Techniker, denn das ist viel schwieriger als ein gutes Auto zu bauen. Das hat mich beeindruckt."
"Man kann mit dem Computer Teile entwickeln und in den Windkanal gehen und anhand der Daten hochrechnen, wie schnell das Auto sein müsste, aber dann geht man auf die Strecke und das Ding fährt nicht. Heutzutage ist es sehr schwierig, hier die Brücke zu schlagen. Dass sie das geschafft haben, spricht für den Technikerstab, denn so etwas kann ein Mann alleine nicht. Das war die ganze Mannschaft", beurteilt Surer.
Auch unser zweiter Formel-1-Experte, Nick Heidfelds Bruder Sven, schätzt den Turnaround im Winter ähnlich ein wie sein Kollege: "Bei den Wintertests waren die Rundenzeiten gar nicht da, aber sie haben das Auto binnen kürzester Zeit schnell gemacht, was eine Riesenleistung ist, denn wenn man es im Winter nicht hinbekommt, kann man eine Saison auch mal ganz schnell komplett abschreiben. Aber sie haben das hinbekommen."
Erste Pole-Position in Bahrain

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In Bahrain legte sich Robert Kubica erstmals mit den ganz Großen an Zoom
Und wie: Kubica eröffnete beim zweiten Saisonrennen in Malaysia als Zweiter sein Punktekonto - und zwei Wochen später stand er in Bahrain erstmals auf der Pole-Position, 27 Tausendstelsekunden vor Felipe Massa im Ferrari! Spätestens zu jenem Zeitpunkt war klar: Das BMW Sauber F1 Team ist nicht mehr nur dritte Kraft der Formel 1, sondern fallweise schon zweite. Gerade am Saisonbeginn patzten McLaren-Mercedes und Ferrari und ließen so Überraschungen zu.
In der ersten Saisonhälfte wurden mit beeindruckender Regelmäßigkeit Spitzenplätze eingefahren. Dann der 8. Juni 2008: Beim Grand Prix von Kanada qualifizierte sich Kubica für die erste Startreihe, während Heidfeld als Achter ins Rennen ging. Am Ende feierte das BMW Sauber F1 Team seinen ersten Sieg in der Königsklasse des Motorsports - und noch dazu einen doppelten! Allerdings wurde diese Ehre nicht "Quick Nick" zuteil, sondern Kubica.
"Der erste Sieg war eine Sternstunde. So ein Erfolg motiviert das ganze Team und bringt auch dem Marketing etwas, denn man darf nicht vergessen: Letztendlich fahren die Hersteller im Kreis, um mehr Autos zu verkaufen", sagt Heidfeld-Bruder Sven über den Doppelsieg in Kanada. Besonders beeindruckend: Kubica übernahm mit dem Sieg die WM-Spitze, vier Zähler vor dem späteren Weltmeister Lewis Hamilton!
Sieg in Kanada nicht aus eigener Kraft

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Sternstunde: Robert Kubica gewinnt in Kanada vor Teamkollege Nick Heidfeld Zoom
Der Objektivität halber sei allerdings angefügt, dass das Schicksal beim Triumph von Kanada ein wenig nachhalf: Während einer Safety-Car-Phase eliminierten sich die Topfavoriten Lewis Hamilton und Kimi Räikkönen gegenseitig, wodurch Heidfeld mit seiner Einstoppstrategie in Führung ging. Kubica war auf zwei Stopps gepolt, ging am Teamkollegen mit leichtem Auto rasch vorbei und sicherte sich damit den Sieg. Ohne Safety-Car wäre es dazu nie gekommen.
Doch bei aller Euphorie um den ersten Sieg seit der Übernahme des Sauber-Teams vor der Saison 2006 zeichnete sich im Sommer immer deutlicher ab, dass Heidfeld Probleme hatte. Der Deutsche bekam seine Reifen im Qualifying nicht auf Temperatur, startete dadurch meist von weit hinten und konnte dieses Manko im Rennen nicht immer gutmachen - trotz unwiderstehlicher Überholmanöver wie in Silverstone, wo er zweimal gleich zwei Konkurrenten in einem Aufwisch schnupfte.
Erst nach der Sommerpause fand man erste Lösungsansätze für Heidfelds Probleme, wirklich gelöst waren sie erst am Saisonende. Surer: "Da gab es offensichtlich ein Problem. Es spricht für das Team, dass man Probleme löst und sie nicht beiseite schiebt. Das haben sie offensichtlich geschafft, auch wenn es meiner Meinung nach viel zu lange gedauert hat." Den 31-Jährigen einfach vor die Tür zu setzen, stand offenbar nie zur Debatte.
Verhandlungen mit Alonso

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BMW verleiht Flügel: Dieses eigenwillige Gewächs wird als "Tomcat" bezeichnet Zoom
Ganz im Gegenteil: Das BMW Sauber F1 Team stärkte Heidfeld den Rücken, verhandelte hinter den Kulissen zwar mit Fernando Alonso, hielt dies aber zur Stabilisierung der Situation von der Öffentlichkeit fern. Schlussendlich wurde Heidfelds Vertrag sogar für ein weiteres Jahr bestätigt, obwohl er im WM-Duell gegen Kubica mit 60:75 Punkten unterging. Zur Erinnerung: 2007 hatte sich Heidfeld noch klar mit 61:39 durchgesetzt.
Dass "Quick Nick" das Rennfahren verlernt hat, erscheint unwahrscheinlich. Surer ortet aber: "Kubica konnte die Schwächen des Autos zumindest auf Strecken, auf denen die Aerodynamik nicht so wichtig war, überfahren. Nick war eher der Maßstab dafür, wie gut oder schlecht das Auto war." Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass sich das Kräfteverhältnis 2009 wieder verändern könnte, wenn ein neues Reglement eingeführt wird.
Kubica wurde nach Kanada Fünfter in Frankreich, schied im britischen Regen aus, holte in Hockenheim als Siebenter nur zwei WM-Punkte und in Ungarn gar nur einen. Plötzlich war der 24-Jährige mit 13 Zählern Rückstand auf Hamilton nur noch Vierter der Gesamtwertung. In der Folge mischte er mit konstanten Topresultaten an der WM-Spitze mit, doch nach dem sechsten Platz beim drittletzten Rennen in China waren auch seine mathematischen Titelchancen weg.
Kein Verständnis für Kubicas Kritik

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Mit dem zweiten Platz in Japan schöpfte Robert Kubica noch einmal Hoffnung Zoom
"Ich finde, man hat dieses Jahr das Maximum herausgeholt", bricht Surer eine Lanze für das BMW Sauber F1 Team. Der ehemalige Grand-Prix-Pilot kann übrigens auch nicht nachvollziehen, dass sich Kubica im letzten Saisondrittel darüber beschwert hat, man tue nicht alles, um die kleine Titelchance zu nutzen, sondern man konzentriere sich schon zu sehr auf 2009. Unser Experte findet diese Kritik nicht berechtigt: "Was hätten sie denn tun sollen?"
Beim Saisonfinale in Brasilien endete für das BMW Sauber F1 Team eine unglaubliche Serie von 34 Rennen in den Punkterängen. Dass dies ausgerechnet beim letzten Rennen passierte, war nicht nur Zufall: Renault und Toro Rosso hatten ihre Autos im Sommer massiv verbessert und liefen der deutsch-schweizerischen Truppe mehr und mehr den Rang ab. Das erinnerte stark an 2007, als die laufende Weiterentwicklung früh reduziert wurde, um sich auf 2008 konzentrieren zu können.
Ungeachtet dieses kleinen Einbruchs hat das BMW Sauber F1 Team bisher all seine Ziele erreicht: 2006 wurden regelmäßig Punkte geholt, 2007 etablierte man sich als dritte Kraft, 2008 folgte der erste Sieg. Damit kann der nächste Schritt nur noch sein, erstmals bis zum Schluss um die Weltmeisterschaft zu kämpfen, denn Kubicas WM-Kampagne 2008 war mehr ein Produkt der Schwächen der Konkurrenz als der eigenen Stärken.
Folgt 2009 der nächste Schritt?

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Die alte Sauber-Fabrik in Hinwil wurde in den vergangenen Jahren umgebaut Zoom
Heidfeld-Bruder Sven ist optimistisch, dass das Team den nächsten Schritt machen wird: "Wenn BMW mal einen guten Winter hat, können sie dann vielleicht wirklich um den WM-Titel mitfahren", glaubt der Ex-Rennfahrer. "Mit Kubica haben sie das ja schon dieses Jahr getan. Das war schon sehr ordentlich, zumal BMW noch nicht so lange in der Formel 1 ist wie viele andere. Trotzdem geht es bei ihnen immer weiter vorwärts und vor allem nicht zurück."
Das belegt ein Blick in die Statistik: Das BMW Sauber F1 Team steigerte sich in seinen bisherigen drei Jahren von 36 über 101 auf 135 Punkte, von zwei über zwei auf elf Podestplätze. Die Ausfallsrate lag bei knapp über zehn Prozent - der beste Wert aller Rennställe; Heidfeld sah sogar in allen 18 Rennen die Zielflagge. Nur dadurch war es 2008 so oft möglich, von Pannen bei den Topteams McLaren-Mercedes und Ferrari zu profitieren.
Was die Eigentümerschaft angeht, gab es 2008 Verschiebungen: Wie bereits 2006 angekündigt trat die Credit Suisse ihre Anteile an BMW ab, sodass nun nur noch der deutsche Automobilhersteller und Gründer Peter Sauber als Teilhaber an Bord sind. Sauber wird sich langfristig wohl komplett zurückziehen - und hat inzwischen Gewissheit, mit dem Verkauf im Jahr 2005 den richtigen Schritt für sein Lebenswerk gesetzt zu haben.
Saisonstatistik:
Team:
Konstrukteurswertung: 3. (135 Punkte)
Siege: 1
Pole-Positions: 1
Schnellste Rennrunden: 2
Podestplätze: 11
Ausfallsrate: 5,6 Prozent (1.)
Durchschnittlicher Startplatz: 7,4 (3.)
Nick Heidfeld (Startnummer 3):
Fahrerwertung: 6. (60 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 2
Durchschnittlicher Startplatz: 9,0
Bestes Ergebnis Qualifying: 5.
Bestes Ergebnis Rennen: 2.
Ausfallsrate: 0,0 Prozent (1.)
Robert Kubica (Startnummer 4):
Fahrerwertung: 4. (75 Punkte)
Siege: 1
Pole-Positions: 1
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 5,8
Bestes Ergebnis Qualifying: 1.
Bestes Ergebnis Rennen: 1.
Ausfallsrate: 11,1 Prozent (3.)

