"Versteht kein Zuschauer": Kritik an neuer DTM-Regel nach FCY-Glücksspiel
Beim DTM-Auftakt in Oschersleben sorgte die neue Full-Course-Yellow-Regel für Aufregung: Wieso diese eingeführt wurde und warum es nun Kritik gibt
(Motorsport-Total.com) - Die dieses Jahr eigenführte Regel, dass Pflichtstopps unter Full-Course-Yellow (FCY) oder in einer Safety-Car-Phase nicht mehr möglich sind, sollte die DTM eigentlich fairer machen. Doch beim DTM-Auftakt in Oschersleben gab es in beiden Rennen Wirbel, weil vereinzelte Piloten wenige Sekunden vor der angekündigten FCY-Phase und dem Schließen der Boxengasse den Weg in die Box fanden und dadurch deutlich vor dem Rest des Feldes lagen.
© Alexander Trienitz
Zunächst nur auf Platz 17, lag Marco Wittmann am Samstag plötzlich in Führung Zoom
Besonders eklatant war das am Samstag bei Schubert-BMW-Pilot Marco Wittmann, der vor den Stopps nur 17. war, aber danach mit einem Vorsprung von 35 Sekunden an der Spitze lag, ehe ihm später der Sprit ausging. "Die Regelung kann man nicht so lassen, denn das versteht kein Zuschauer", ärgert sich HRT-Teamchef Ulrich Fritz im Gespräch mit Motorsport-Total.com.
"Wenn ich vor dem Fernseher sitze, überlege ich mir schon, warum aus einem spannenden Kampf an der Spitze durch Full-Course-Yellow plötzlich eine Führung eines Fahrers wird, der damit eigentlich nichts zu tun hatte", kritisiert Fritz. "Wir hatten jetzt zweimal das gleiche Problem. Das darf nicht sein. Das ist nicht gut für den Sport."
Lausitzring 2023 als Auslöser für Reglementänderung
Sonntag-Sieger Luca Engster lag zwar vor dem perfekten Boxenstopp-Timing auf dem starken dritten Platz, doch der Grassser-Lamborghini-Pilot und Maro Engel, der im Winward-Mercedes ebenfalls profitierte, fuhren danach an der Spitze ihr eigenes Rennen, während die vermeintlichen Siegkandidaten mit einem Respektabstand von 20 Sekunden folgten.
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Am schlimmsten hat das HRT-Mercedes-Pilot Luca Stolz getroffen, der ohne FCY vermutlich gewonnen hätte. Daher ist es kein Wunder, dass Teamchef Fritz mit der Regelung keine Freude hat. Seine Kritik will er aber nicht interessensgeleitet verstanden wissen: "Das sage ich nicht wegen uns oder weil ich jetzt griesgrämig bin."
Aber wie kam es überhaupt zur Reglement-Änderung im Winter? Bereits im Vorjahr hat der ADAC aufgrund der Gegebenheiten auf dem Lausitzring entschieden, die Boxengasse bei FCY zu schließen, weil man dort die letzte Kurve abkürzt und über die Boxengasse überholen könnte. Selbst mit dem Speedlimit von 50 km/h wäre man durch die Box schneller gewesen also mit Tempo 80 bei FCY.
"Aus dieser Not heraus haben wir dann gesagt: 'Warum machen wir das nicht bei allen Events?'", erklärte Serienmanager Michael Rebhan vor der Saison 2024. Das Ziel: Man wollte verhindern, dass es Teams darauf anlegen und auf eine FCY-Phase spekulieren, um dann beim Stopp Zeit zu gewinnen.
Warum kein regelmäßiger FCY-Poker zu befürchten ist
Ein Ziel, dass man laut Martin Tomczyk auch erreicht hat: Denn zwischen dem Ausrufen des FCY-Countdowns, der Auffahrunfälle verhindern soll, und dem Schließen der Boxengasse bleiben nur zehn Sekunden, um noch rechtzeitig in die Boxengasse zu kommen. "Zu hoffen, dass ich während des Zehn-Sekunden-Countdowns genau bei der Boxeneinfahrt bin, ist viel zu vage und zu risikoreich", ist der Abt-Sportdirektor im Gespräch mit Motorsport-Total.com überzeugt.
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Dennoch ist er der Ansicht, dass die Auswirkungen der Reglementänderung unterschätzt wurden. "Ich glaube: So, wie es angedacht war, funktioniert es nicht", sagt Tomczyk.
"Gerade auf kurzen Strecken ist das Problem, dass der Renndirektor das nie so timen kann, dass alle an der Boxenausfahrt vorbeigefahren sind. Noch schwieriger wird es, wenn er gar nicht warten kann, bis er mit dem Countdown anfängt, weil ein Auto brennt oder so. Wenn du gerade an der richtigen Position bist, kannst du deinen Pflichtboxenstopp machen - und alle anderen nicht."
"Jetzt gibt es gar kein Rennen": War alte Lösung besser?
Genau das ist es, was HRT-Teamchef Fritz stört, denn während im Vorjahr zahlreiche Piloten von einer FCY-Phase profitierten, waren es in Oschersleben ein oder zwei Piloten, die das große Los gezogen hatten und einen riesigen Vorteil hatten.
"Da fand ich die Lösung im letzten Jahr noch besser", so Fritz. "Das hat wenigstens noch ein spannendes Rennen gebracht, weil 50 Prozent waren dann schon in der Box und 50 Prozent noch nicht. Und nach dem Safety-Car gab es zumindest noch ein Rennen. Aber jetzt gibt es ja gar kein Rennen! Einer oder zwei freuen sich - wenn es gut läuft, sind es mal drei - und der Rest sind bloß Opfer", sagt der HRT-Teamchef, der von einem "Glücksspiel" spricht.
Auch Tomczyk sieht die aktuelle Situation kritisch. "Glück gehört dazu! Und ein bisschen Variabilität braucht es im Motorsport, aber das darf nicht in sportliche Unfairness ausarten", warnt er. "Wenn jemand das ganze Wochenende ganz hinten ist und durch Zufall mit 40 Sekunden Vorsprung das Feld anführt, dann passt das nicht zur DTM."
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