• 07.03.2012 10:18

  • von Roman Wittemeier & Stefanie Szlapka

Audi: Was der Hybrid bringt

Audi kommt mit dem R18 e-tron quattro auf die Rennstrecken: Die Piloten sind nach den Tests begeistert - Sportchef Wolfgang Ullrich: "Es gab keinen Druck von außen"

(Motorsport-Total.com) - In Le Mans beginnt der Hybrid-Wettlauf der Automobilhersteller. Die Schweizer Mannschaft von Hope hatte im vergangenen Jahr einen ersten zaghaften Versuch mit einem KERS gemacht, aber die Maschine lief noch nicht rund. Kein Wunder, denn im Vergleich zu den großen Werken hatte das Team um Benoit Morand einfach nicht die Mittel, den Oreca-Swiss-HyTech auf das nötige Tempo zu bringen und dem Wagen die notwendige Standfestigkeit zu verleihen.

Titel-Bild zur News:

Sportchef Wolfgang Ullrich fuhr den Hybrid per Elektroantrieb in die Halle

Die geplante Teilnahme an der WEC 2012 sagte man ab, für Le Mans steht man auf der Reserveliste. Ein Start an der Sarthe ist unwahrscheinlich, denn man belegt in der Rangfolge der potenziellen Nachrücker nur Position vier. Daher wird das Hybridfeld 2012 wohl ausschließlich von den Werken Audi und Toyota beackert. Die beiden Hersteller treten mit unterschiedlichen Konzepten an. Die Japaner kommen mit einem Benziner-Hybrid samt Hochleitungskondensatoren und zusätzlichem Schub am Heck.

Audi geht bewusst einen ganz anderen Weg und verknüpft das neue Hybridzeitalter gleichzeitig auch noch mit der glorreichen quattro-Ära im Motorsport. Der neue R18 e-tron quattro speichert die beim Bremsvorgang rekuperierte Energie von maximal 500 Kilojoule in einem Schwungradspeicher (von Williams-Hybrid-Power; WHP) und gibt die Power über zwei Elektromotoren mit jeweils 75 kW (rund 100 PS) ab Tempo 120 km/h an die Vorderachse ab.

"Bei Audi ist es kein Druck von außen, der uns zum Einsatz des Hybrids bringt. Es ist vielmehr der interne Druck, den wir uns immer gemacht haben", erklärt Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Wir haben immer zum Ziel gehabt, mit innovativen Technologien nach Le Mans zu gehen. Es ist nun der logische Schritt. All die Dinge, die wir in Le Mans ausprobiert und entwickelt haben, kann man bestens an der Technik nachvollziehen, die wir unseren Kunden anbieten."

510-Diesel-PS plus 200 KERS-PS

In der PR-Strategie findet sich diese Verknüpfung von Le-Mans-Testumfeld und Audi-Straßenautos häufig wieder. Das klare Ziel: Nach dem ersten Sieg mit dem TFSI (2001) und dem ersten Dieseltriumph (2006) in Le Mans, will Audi nun als erstes Unternehmen mit Hybridtechnik an der Sarthe siegen. Die Erkenntnisse aus diesem Einsatz sollen dann in die Weiterentwicklung der e-tron-Schiene des Unternehmens fließen. Das Motto: Heute in Le Mans, morgen in der Serie.

Hybrid in der Übersicht: Vorne Generator-Motor-Einheit, im Cockpit der Speicher Zoom

Aber es sind eben nicht nur Marketingstrategien, die zum Einsatz des neuen Hybrid-R18 führen. Die Diesel-Prototypen wurden in den vergangenen Jahren vom ACO immer weiter eingebremst. Zum Jahr 2012 wird die Leistung über einen kleineren Luftmengenbegrenzer (45,8 statt 47,4 Millimeter) und geringeren Ladedruck (2,8 statt 3,0 bar) um weitere sieben Prozent reduziert. Der V6-Diesel von Audi leistet nach Angaben aus Ingolstadt nun 510 PS und generiert ein Drehmoment von 850 Newtonmetern.

Der Leistungsbeschneidung kann durch den Extraschub von KERS begegnet werden. "Wenn Audi sich für den Einsatz eines Hybridsystems entscheidet, dann wird da wohl die Erkenntnis dahinter stehen, dass es etwas bringt", erklärt Dindo Capello. "Wir wissen, was der TDI leisten kann. Der ist bezüglich Standfestigkeit eine Bank. In Sachen Performance sollte der Hybrid einen Vorteil haben. Gleichzeitig ist aber der Tank des KERS-Autos kleiner. Es kann sein, dass wir also öfter an die Tankstelle müssen." Die Hybridautos dürfen zwei Liter weniger Treibstoff (58 Liter) mitnehmen als die herkömmlichen Diesel.

"Der Vergleich der beiden Konzepte ist wirklich komplex. Es muss sich erst noch zeigen, welche Technologie wirklich im Vorteil ist", sagt der erfahrene Capello, der bereits zweimal den Hybrid-R18 testen durfte. "Das Auto fühlt sich im Betrieb ganz anders an als die Vorgänger. In den Beschleunigungsphasen gibt es den zusätzlichen Schub des Hybridsystems. Das ist lustig. Wenn die Energie des KERS aufgebraucht ist und der Schub der Elektromotoren aufhört, dann fühlt sich das an, als hätte jemand einen Bremsfallschirm geöffnet."

Arbeit an der Leistungsabgabe

An der Feinabstimmung des Systems wird derzeit intensiv gearbeitet. Man optimiert vor allem die Leistungsabgabe. Am Ende einiger Kurven folgt nur eine kurze Gerade. Dort ist der maximale Zusatzschub über kurze Zeit sinnvoll. Wenn sich am Ende einer engen Ecke eine lange Gerade anschließt, dann kann eine dosierte Abgabe der maximal 500 Kilojoule über einen längeren Zeitraum von Vorteil sein. Auch Gripverhältnisse spielen dabei eine wichtige Rolle.

Auf die Audi-Werkspiloten, die in den kommenden Wochen und Monaten viele Testkilometer abspulen werden, kommen interessante Aufgaben zu. "Audi überrascht uns jedes Jahr", lacht Le-Mans-Rekordsieger Tom Kristensen. "Es ist interessant und faszinierend. Für uns Fahrer ist es immer toll, wenn wir neue Technologien voranbringen dürfen. Das hält einen frisch und motiviert. Noch schöner, wenn diese Entwicklungen eine hohe Relevanz für den Bau der Straßenautos hat."


Fotos: Präsentation der Audi R18


"Das Hybridsystem macht sich in vielerlei Hinsicht bemerkbar. Beim Anbremsen und im Kurveneingang spürt man das System. Man hat in jener Phase einen zusätzlichen Widerstand an der Vorderachse, wenn die Rekuperation läuft", beschreibt der Däne. Dieser zusätzliche Bremswiderstand schont womöglich das Bremssystem, das dadurch weniger verschleißt und eine geringere Kühlleistung erfordert. "Im Auto ohne Hybrid müssen Bremsscheiben und Bremsbeläge die gesamte Energie vernichten", erklärt Marcel Fässler.

"Im anderen Auto hilft der Hybrid bei der Verzögerung. Das ist eine klare Schonung der vorderen Bremsen. Allerdings ist der Bremsenverschleiß in Le Mans nicht entscheidend", meint der amtierende Le-Mans-Champion aus der Schweiz. "Beim Bremsen sind Grenzen gesetzt. Der Hybrid verzögert beim Aufladen nominell zusätzlich, aber Downforce und Reifen setzen die Grenzen bei der Verzögerung, somit ist die Bremsleistung nicht anders als beim herkömmlichen Auto."

Beim Test im Analysemodus

Und dennoch sprechen die Piloten oft nicht nur vom Vorteil des zusätzlichen Schubs. In den Phasen der Rekuperation lässt sich die Bremse offenbar besonders gut dosieren. Die Fahrer sehen darin einen deutlichen Vorteil am Kurveneingang. Eine Anpassung des Fahrstils ist erforderlich, bereitet den Männern im R18-Cockpit aber keine Probleme. "Die Umstellung von Hybrid auf Nicht-Hybrid ist überhaupt kein Problem. Es ist so konzipiert, dass die KERS-Variante ganz einfach zu bedienen ist", meint Mike Rockenfeller.


Präsentation des R18 für die WEC 2012

Im Gegensatz zur Formel 1, wo die KERS-Energie per Knopfdruck vom Fahrer eingesetzt wird, läuft im Audi-System alles automatisch ab. Einen Boost-Button sucht man im Cockpit des R18 vergeblich. "Wir Piloten können uns ganz normal auf die wichtigen Dinge beim Fahren konzentrieren", so DTM-Pilot Rockenfeller. Die Konzentration bei den wichtigen Entwicklungsfahrten mit dem Hybrid gilt ganz anderen Dingen als im normalen Rennbetrieb.

"Beim Testen denkt man als Fahrer die ganze Zeit über mögliche Optimierungen nach. Alle Sinne sind darauf eingestellt", so Kristensen. "Es bleibt überhaupt keine Zeit, sich über mögliche Zuverlässigkeitsprobleme oder andere Dinge Gedanken zu machen. In einem Rennen ist das anders. Wenn man mal in einer Situation unterwegs ist, wo man in Führung liegt und wirklich viel zu verlieren hat, dann können solche Gedanken mal aufkommen. Beim Test ist man immer in einem analytischen Modus unterwegs."

Die unheimliche Stille in der Boxengasse

"An jedem Testtag haben wir bisher dazugelernt und Fortschritte gemacht. Ich glaube nicht, dass diese Fortschritte jetzt schon aufhören. Es geht weiter voran", freut sich der Däne. "Das Ziel ist klar: Wir wollen die neue Technik so entwickeln, sodass wir 24 Stunden durchfahren können. Es ist Neuland für uns und entsprechend gibt es viel zu lernen. Aber wir werden es hinbekommen, es wird bestimmt funktionieren", zeigt sich Audi-Kollege Fässler zuversichtlich.

Die Konkurrenz von Toyota kommt mit einem Benziner-Hybrid in die WEC Zoom

In Spa-Francorchamps im Mai und beim anschließenden Saisonhöhepunkt in Le Mans werden Fässler/Lotterer/Treluyer und Capello/Kristensen/McNish jeweils einen R18 e-tron quattro pilotieren. Das Resultat ist ungewiss. "Ich finde es schlau, dass Audi mit je zwei Autos in Le Mans antritt. Bislang ist es kaum einzuschätzen, welches Konzept über 24 Stunden das bessere sein wird. Das wird auch für die Zuschauer bestimmt spannend", erklärt Kristensen vor seinem 16. Start an der Sarthe.

Auf der Langstrecke bricht eine neue Ära an. Nicht nur mit Extraschub von KERS, sondern auch mit nahezu geräuschloser Fahrt durch die Boxengassen. "Wenn man gar nichts mehr hört und sich das Auto trotzdem bewegt, dann ist das sehr speziell", sagt Fässler über die Fahrten mit rein elektrischem Antrieb. "Wir werden aber ganz sicher niemals Motorsport ganz ohne Sound erleben, denn das ist das Emotionale. Den Sound müssen wir aus meiner Sicht erhalten. Wenn man erstmals so fährt, dann ist das wirklich komisch."