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ELMS-LMP2 schneller als Hypercar? Der große Faktencheck
Nach dem ELMS-Lauf in Spa wurde unter Fans heiß diskutiert: Die LMP2 war schneller als die Hypercars! - Wir analysieren die Performance auf drei Strecken
(Motorsport-Total.com) - Ein Aufschrei ging durch die Le-Mans-Fangemeinde, als im August 2024 die europäische Le-Mans-Serie (ELMS) ihr Rennen in Spa-Francorchamps beendete. Die Pole-Zeit von Louis Deletraz im Oreca 07 von AO by TF lag mit 2:01.253 Minuten 1,2 Sekunden unter der schnellsten Hypercarrunde des Wochenendes von Antonio Fuoco (2:02.469) im Ferrari 499P beim 6-Stunden-Rennen der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC).

© Marcel Wulf/Motorsport Images/smg
ELMS-LMP2 vs. Hypercar: Wer macht das Rennen? Zoom
Zudem war das Qualifying der ELMS von einer Unterbrechung geprägt, weshalb die LMP2-Fahrzeuge nie mit optimalen Reifendrücken und -temperaturen fahren konnten.
So kam es, dass die schnellste Rennrunde in der ELMS nur vier Tausendstelsekunden langsamer als die Polezeit war. Sie wurde von Charles Milesi im Oreca von Panis Racing gefahren. Die 2:01.257 Minuten waren sagenhafte 5.202 Sekunden schneller als die schnellste Rennrunde von Julien Andlauer (2:06.459) im WEC-Rennen im Proton-Porsche!
Was ist hier los? Die LMP2-Klasse, die nur noch aus Oreca 07-Gibson besteht, fährt seit 2024 in der ELMS wieder ohne die die Restriktionen, die ihr ab 2021 in der WEC und ab 2019 in der IMSA SportsCar Championship auferlegt wurden. Also mit 930 Kilogramm und 600 PS. Aber fahren sie den Hypercars damit wirklich dermaßen um die Ohren?
WEC-Hypercars in Spa deutlich langsamer
Machen wir den üblichen Vergleich. Wir nehmen - analog zur Berechnungsgrundlage der Balance of Performance (BoP) in der WEC - die schnellsten 60 Prozent aller Rennrunden des jeweiligen Fahrzeugs.
Wir betrachten die drei erstplatzierten Hypercars der WEC und die drei erstplatzierten der ELMS. Aus der WEC sind dies der Jota-Porsche #12 (Ilott/Stevens), der Porsche #6 (Estre/Lotterer/Vanthoor) und der Ferrari #50 (Fuoco/Molina/Nielsen).
Aus der ELMS betrachten wie die Oreca 07-Gibson von AO by TF #14 (Edgar/Deletraz/Kubica), Inter Europol Competition #43 (Alvarez/Lomko/Dillmann) und Idec Sport #28 (Siebert/de Gerus/van Uitert). Hinzu kommt Panis Racing #65 (Maldonado/Milesi/Leclerc), die die schnellste Rennrunde fuhren. Das Ergebnis sieht wie folgt aus:
1. Inter-Europol-Oreca #43 - 2:03.185 Minuten
2. AO-by-TF-Oreca #14 - 2:03.259
3. Panis-Oreca #65 - 2:03.360
4. Idec-Oreca #28 - 2:03.853
5. Porsche #6 - 2:09.622
6. Jota-Porsche #12 - 2:09.624
7. Ferrari #50 - 2:09.900
Der Aufschrei unter den Fans hatte also durchaus seine Berechtigung. Die WEC-Hypercars wurden komplett von der Platte geputzt. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Blick auf die zehn Prozent schnellsten Runden.
1. Panis-Oreca #65 - 2:01.734 Minuten
2. AO-by-TF-Oreca #14 - 2:01.926
3. Inter-Europol-Oreca #43 - 2:02.062
4. Idec-Oreca #28 - 2:02.103
5. Jota-Porsche #12 - 2:07.825
6. Porsche #6 - 2:07.997
7. Ferrari #50 - 2:08.793
Neuasphaltierung macht Vergleich unzulässig
Was in den hitzigen Diskussionen nach dem ELMS-Rennen gerne vergessen wird: Der Circuit de Spa-Francorchamps wurde im Sommer 2024 fast im gesamten zweiten Sektor neu asphaltiert. Der Vergleich hinkt also.
Natürlich ist es generell schwierig, Rennen an unterschiedlichen Tagen miteinander zu vergleichen. Aber der Einfluss der äußeren Bedingungen verblasst im Vergleich zu einer Neuasphaltierung, die die Strecke um mehrere Sekunden schneller macht.
Dennoch ist die Frage, wie sich die ELMS-LMP2 im Vergleich zu den Hypercars schlägt, durchaus berechtigt. Und es gibt eine Strecke, die einen Vergleich zulässt: Imola. Hier fuhren 2024 sowohl die ELMS als auch die WEC.
Analyse Imola: Enges Rennen
Natürlich fanden auch im Autodromo Enzo e Dino Ferrari die Rennen bei völlig unterschiedlichen Bedingungen statt. In der WEC gab es sogar eine Regenphase. Deshalb nehmen wir hier nur die besten 30 Prozent der gefahrenen Runden, sonst wäre ein Vergleich unfair.
Umgekehrt muss man berücksichtigen, dass die ELMS im Juli im Hochsommer bei 32 Grad Celsius Luft- und bis zu 48 Grad Streckentemperatur gefahren ist, die WEC im April bei 17 Grad Luft- und maximal 30 Grad Streckentemperatur. Die WEC fand also bis zum einsetzenden Regen die günstigeren Bedingungen vor.
Wir haben hier die ersten beiden Hypercars, den Toyota #7 (Conway/Kobayashi/de Vries) und den Porsche #5 (Campbell/Christensen/Makowiecki) berücksichtigt. Den drittplatzierten Porsche #6 lassen wir weg, stattdessen nehmen wir den im Trockenen dominierenden Ferrari 499P #50, der aufgrund des kapitalen Strategiefehlers von Ferrari nur Vierter wurde, das Rennen aber eigentlich hätte gewinnen müssen.
ELMS 2024: Rennhighlights 4 Stunden von Spa
Aus der ELMS haben wir die drei Erstplatzierten ausgewählt, die bereits aus Spa bekannten Orecas von Panis Racing #65 und AO by TF #14, Dritter wurde Vector Sport #10 (Cullen/Richelmi/Drugovich).
Außerdem haben wir Inter Europol Competition #34 (Gray/Novalak/Ghiotto) mit reingenommen, die die schnellste Runde fuhren, aber nur Siebte wurden. Das Rennen wurde durch mehrere Safety-Car-Phasen durcheinander gewirbelt. Das Ergebnis der 30 Prozent schnellsten Runden:
1. Ferrari #50 - 1:32.979 Minuten
2. Panis-Oreca #65 - 1:33.157
3. Toyota #7 - 1:33.297
4. Porsche #5 - 1:33.382
5. AO-by-TF-Oreca #14 - 1:33.465
6. Inter-Europol-Oreca #34 - 1:33.559
7. Vector-Oreca #10 - 1:33.939
Bei Betrachtung der schnellsten zehn Prozent aller gefahrenen Runden stehen die LMP2 in der Breite etwas besser da.
1. Ferrari #50 - 1:32.474 Minuten
2. Panis-Oreca #65 - 1:32.724
3. Inter-Europol-Oreca #34 - 1:32.863
4. AO-by-TF-Oreca #14 - 1:32.875
5. Toyota #7 - 1:32.929
6. Porsche #5 - 1:33.073
7. Vector-Oreca #10 - 1:33.397
Es ist also ein enges Rennen, und das bei ungünstigeren, weil wärmeren Bedingungen für die ELMS-LMP2.
WEC 2024: Rennhighlights 6 Stunden von Spa
Im Qualifying hatten die Hypercars die Nase deutlicher vorn, der beste LMP2 (Charles Milesi für Panis Racing in 1:30.829 Minuten) hätte es auf den elften Startplatz geschafft. Die Pole-Zeit von Antonio Fuoco im Ferrari 499P lag bei 1:29.466 Minuten.
Le Mans: Hypercars in ihrem Element
Zum Schluss noch ein Blick auf den Circuit de la Sarthe. Hier sollten die Hypercars ihre höhere Leistung ausspielen können. Da die LMP2 im Zuge der Hypercar-Einführung 2021 kastriert wurde, müssen wir hier die Jahre 2017 bis 2020 heranziehen, in denen die aktuelle LMP2-Generation ohne Einschränkungen fuhr. Sie stellten damals keine Gefahr für die noch schnelleren LMP1-Boliden dar.
Werfen wir zunächst einen Blick auf das Qualifying. Hier haben wir die 15 schnellsten Runden aus den Kategorien Hypercar und LMP2 herangezogen, die jemals auf dem Circuit de la Sarthe gefahren wurden.
Dabei ist zu beachten, dass es 2018 einen Umbau im Bereich Karting/Corvette Corner gab, bei dem die Strecke um drei Meter verkürzt wurde. Der Vollständigkeit halber muss natürlich auch auf die unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Jahren hingewiesen werden.
ELMS 2024: Rennhighlights 4 Stunden von Imola
Dies gilt insbesondere für 2020, als das Rennen aufgrund der Pandemie im September stattfand. 2021 wurde aus demselben Grund im August gefahren. Wie erwartet dominieren die Hypercars das Bild, doch drei LMP2 schaffen den Sprung in die Top 15. Paul di Restas LMP2-Rekord aus der Hyperpole 2020 schafft es sogar in die Top 10:
1. Antonio Fuoco (Ferrari, HP 2023) - 3:22.982 Minuten
2. Alessandro Pier Guidi (Ferrari, HP 2023) - 3:23.755
3. Mike Conway (Toyota, HP 2021) - 3:23.900
4. Sebastien Buemi (Toyota, HP 2021) - 3:24.195
5. Sebastien Buemi (Toyota, HP 2022) - 3:24.408
6. Sebastien Buemi (Toyota, HP 2023) - 3:24.451
7. Dries Vanthoor (BMW, Q 2024) - 3:24.465
8. Paul di Resta (United Autosports, HP 2020) - 3:24.528
9. Felipe Nasr (Porsche, HP 2023) - 3:24.531
10. Kevin Estre (Porsche, HP 2024) - 3:24.634
11. Sebastien Bourdais (Cadillac, Q 2024) - 3:24.642
12. Antonio Fuoco (Ferrari, Q 2024) - 3:24.731
13. Mike Conway (Toyota, HP 2022) - 3:24.828
14. Paul-Loup Chatin (Idec Sport, Q3 2018) - 3:24.842
15. Jean-Eric Vergne (G-Drive Racing, HP 2020) - 3:24.860
Le Mans Rennen: LMP2 auf 1,5 Sekunden dran
Für die Berechnung der Rennperformance ziehen wir die jeweiligen Sieger der Jahre 2017 bis 2020 (LMP2) und 2021 bis 2024 (Hypercar) heran. Da insbesondere die Ausgabe 2024 von Regen geprägt war, nehmen wir die besten 40 Prozent der gefahrenen Runden. Allerdings ist 2024 hier durch die lange SC-Phase bei Regen etwas benachteiligt. Somit ergibt sich folgendes Bild:
1. Toyota #8 (2022) - 3:30.147 Minuten
2. Ferrari #51 (2023) - 3:30.253
3. Toyota #7 (2021) - 3:30.571
4. Signatech-Alpine #36 (2018) - 3:31.656
5. Signatech-Alpine #36 (2019) - 3:31.726
6. Ferrari #50 (2024) - 3:31.954
7. DC-Oreca #38 (2017) - 3:32.068
8. United-Autosports-Oreca #22 (2020) - 3:32.293
Es fällt auf, dass die Hypercars die Nase vorn haben, aber nur um etwa 1,5 Sekunden. Außerdem war das Herbstrennen 2020 trotz längerer Nacht sogar das langsamste. Noch ein kurzer Blick auf die zehn Prozent schnellsten Runden:
WEC 2024: Rennhighlights 6 Stunden von Imola
1. Ferrari #51 (2023) - 3:28.742
2. Toyota #8 (2022) - 3:29.207
3. Toyota #7 (2021) - 3:29.450
4. Signatech-Alpine #36 (2019) - 3:29.918
5. Signatech-Alpine #36 (2018) - 3:30.105
6. Ferrari #50 (2024) - 3:30.459
7. DC-Oreca #38 (2017) - 3:30.504
8. United-Autosports-Oreca #22 (2020) - 3:31.084
Tendenziell liegen die LMP2 im Sprint also wie in Imola etwas näher an den Hypercars. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass bei den LMP2-Fahrzeugen aufgrund des geringeren Gewichts die Benzinmenge eine größere Rolle spielt^und sie sich bei leerem Tank weiter steigern können als die Hypercars.
Fazit: Könnten ELMS-LMP2 Hypercars schlagen?
Dies ist natürlich eine sehr hypothetische Frage, die nur beantwortet werden könnte, wenn beide Klassen unter gleichen Bedingungen direkt gegeneinander antreten würden.
Natürlich käme es auch sehr auf die Streckencharakteristik an. Auf Stop-and-Go-Strecken, zu denen Imola durchaus zählt, sind die Hypercars aufgrund ihrer höheren Leistung im Vorteil.
Die LMP2 können in mittelschnellen und schnellen Kurven ihren Gewichtsvorteil ausspielen. Insofern sollten wir die 6 Stunden von Spa 2025 abwarten, wenn die Hypercars auf dem neuen Asphalt fahren. Vor allem der zweite Sektor wird interessant.

© Marcel Wulf
Die LMP2 ist die Topklasse in der europäischen Le-Mans-Serie Zoom
Dennoch stünden die Chancen in einem Rennen Hypercar gegen LMP2 für letztere eher schlecht. Denn sie müssen öfter tanken. Die LMP2-Boliden kommen mit einer Tankfüllung rund 45 Minuten weit, die Hypercars eine Stunde. Schon bei einem vierstündigen ELMS-Rennen müssten die LMP2 also einmal öfter stoppen, bei einem 6-Stunden-WEC-Rennen sogar zweimal.
Natürlich könnten günstig fallende Safety-Car-Phasen diesen Nachteil wieder ausgleichen. Aber im direkten Rad-an-Rad-Duell, das zwangsläufig auf eine SC-Phase folgen würde, wären die LMP2 wieder im Nachteil. Die Hypercars würden auf der Geraden vorbeiziehen, die LMP2 könnten ihren Vorteil in den schnellen Kurven nicht ausspielen. Im Zweifelsfall würde also das Hypercar gewinnen.
Man darf auch nicht vergessen, dass die Hypercars einer Balance of Performance unterliegen. Ein Toyota GR010 Hybrid mit der idealen Einstufung von 1.030 Kilogramm und 520 Kilowatt (707 PS) wäre sicherlich noch eine bis eineinhalb Sekunden schneller als in der aktuellen Einstufung.
Aber unsere Analyse zeigt, was die Fahrer bestätigen: Der Oreca 07 ist ein grandioses Sportgerät mit enormer Performance. Nicht umsonst nehmen Hypercar-Piloten nur allzu gerne Nebenjobs in LMP2-Programmen in ELMS oder IMSA an.


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