Wolff und der Mercedes-Imagewandel: "Sind keine Politiker"
Toto Wolff erklärt, wie er und Niki Lauda das Mercedes-Gesicht verändert haben, was ihn der Stallkrieg gelehrt hat und wieso weitere teaminterne Fehler passieren werden
(Motorsport-Total.com) - Es ist der beste und gleichzeitig der undankbarste Job: Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff darf diese Saison fast jedes Formel-1-Wochenende über einen weiteren Silberpfeil-Sieg jubeln, doch im Team herrscht regelmäßig dicke Luft. Und ganz egal, wie der Österreicher gemeinsam mit dem Technikverantwortlichen Paddy Lowe und Aufsichtsratschef Niki Lauda entscheidet - einer der beiden Titelrivalen Nico Rosberg und Lewis Hamilton wird normalerweise mit angesäuerter Miene das Besprechungszimmer verlassen.
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Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff will seine Emotionen nicht unterdrücken Zoom
"Eine Lektion, die ich dieses Jahr gelernt habe, ist dass man es nicht jedem recht machen kann", gibt Wolff gegenüber der 'BBC' zu. "Die Entscheidungen, die wir treffen, sind unserer Meinung nach die richtigen für das Team - und die ausgeglichensten und fairsten für beide Fahrer."
Diese Entscheidungen werden von Mercedes sehr offen, direkt und ausführlich kommuniziert. Ein schmaler Grat, denn das macht das Team zwar nach außen menschlicher und transparenter, jedes Wort zu viel kann die Protagonisten aber in Teufels Küche bringen. Das hat man in Spa-Francorchamps gesehen, als Nico Rosberg in der zweiten Runde Lewis Hamiltons Reifen aufschlitzte und Wolff und Lauda das Manöver als "inakzeptabel" ächteten. Später wurde das Führungsduo für die harten Worte gegen den Deutschen kritisiert.
Wurz erkennt Mercedes-Imagewandel
"Mercedes hat sich entschlossen, diese Dinge relativ offen mit den Medien zu besprechen, was ich sehr cool finde", fällt auch Ex-Formel-1-Pilot Alex Wurz gegenüber 'Motorsport-Total.com' auf. "Mercedes-Benz hat Lauda und Wolff zwar 'nur' dazu beauftragt, den Titel zu holen, aber natürlich wissen wir, dass man das eigene Produkt, den eigenen Sport, mitprägt. Und sie sorgen dafür, dass alles ein bisschen offener, ein bisschen menschlicher ist, dass diskutiert wird. Teilweise geben sie sogar Fehler zu, was ich gut finde."
Wolff erklärt, warum man sich zu dieser Herangehensweise entschlossen hat: "Man könnte alles so machen wie in der Vergangenheit, sehr 'corporate', mit politischer Sprachregelung, und versuchen, alles hinter verschlossenen Türen zu regeln. Oder man macht es so wie wir - und das ist die Art und Weise, wie jeder von uns in der Vergangenheit seine Firmen oder Investments geregelt hat."
Tatsächlich lieferte Ex-Airliner Lauda 1991 nach dem Absturz seiner Boeing nahe Bangkok ein Musterbeispiel an Krisenmanagement, als er die Kommunikation komplett in die Hand nahm und nach Thailand zur Unfallstelle reiste, um sich selbst von der Situation ein Bild zu machen. Noch heute wird das proaktive Auftreten des Österreichers an Universitäten als richtungsweisend gepriesen.
Emotionen Schlüssel zum Erfolg
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Als es in Spa zur Kollision kam, kochten bei Mercedes die Emotionen über Zoom
"Wir tragen unser Herz auf der Zunge, wie man es oft über Lewis sagt", meint Wolff. Und genau so reagierte man auch in der zweiten Runde in Spa. "Und manchmal, wenn wir einen schwierigen Tag haben - so wie damals, wenn in einem Sekundenbruchteil all die Bemühungen unserer Leute weggeworfen werden -, dann kommt der ganze Frust hoch. Entweder man ist ein Politiker, oder man drückt eben seinen Frust aus."
Der 40-Jährige steht zu seinem Ärger, den er vor den TV-Kameras nicht zurückgehalten hat: "Emotionen sind ein integraler Teil unseres Erfolgs. Dass unsere Jungs dieses Quäntchen mehr Einsatz zeigen, rund um die Uhr arbeiten, die Wochenenden in der Fabrik verbringen, ist nur möglich, weil sie emotionell an die Firma gebunden sind. Und um diese Motivation freizumachen, benötigt man Emotionen. Damit beschäftigen wir uns sehr intensiv."
Wolff: Rosberg war nie Mister Nice Guy
Und genau diese "Fehleinschätzung" Rosbergs, wie es Wolff nennt, hat den Motorsportchef in Anbetracht des Einsatzes seiner Mannschaft in Belgien in Rage gebracht. Der WM-Leader wurde nach dem Rennen von den Zuschauern mit Pfiffen und Buhrufen geächtet, auch in Monaco war ihm vorgeworfen worden, Titelrivale Hamilton mit einem absichtlichen Verbremser die Pole-Position vereitelt zu haben.
Zeigt Rosberg nun sein wahres Gesicht? "Da draußen gibt es 22 Jungs, und jeder einzelne ist skrupellos", relativiert Wolff. "Sie wissen, was sie wollen, und versuchen, es zu kriegen. Nico war immer schon so. Ich weiß nicht, warum irgendwer geglaubt hat, er sei Mister Nice Guy." Genau diese Tatsache habe sich auch auf das Verhältnis der beiden Rivalen ausgewirkt:"Während sie zu Saisonbeginn eine freundschaftliche Beziehung hatten, wurde es dann offensichtlich, dass die beiden fast wie Feinde um den WM-Titel kämpfen."
Während Rosberg als kühl, überlegt und akribisch gilt, wird Hamilton oft dafür kritisiert, sich zu leicht ablenken zu lassen, sei es von seinem Hund Roscoe oder von Freundin Nicole Scherzinger. Das Superstar-Leben würde sich negativ auf seine Leistungen auswirken, heißt es.
Wolff: Hamilton braucht "Hunde, L.A. und Musik"
Doch sein Chef widerspricht: "Wir müssen verstehen, welches Umfeld wir ihm bieten müssen, damit er am besten funktioniert. Und es ergibt keinen Sinn, seine Persönlichkeit ändern zu wollen und zu sagen: 'Weißt du, du brauchst die Herangehensweise eines Niki Lauda, eines Nico Rosberg oder eines Fernando Alonso, du brauchst keine Hunde, kein L.A. und keine Musik'. So läuft es nicht - Lewis braucht all diese Dinge. Das ist seine Persönlichkeit, und so funktioniert er."
Hamiltons Karriere gleiche einer Achterbahnfahrt, aber auch das gehöre bei ihm dazu: "Er hat seinen Weg gefunden und sich extrem beeindruckend entwickelt. Er braucht nicht so viel Führung." Und genau so sieht Wolff auch die Herangehensweise von Mercedes im Endspurt der Saison 2014. "Es lässt sich nicht vermeiden, dass wir Fehler machen, denn wir betreten mit unserer Strategie, die Jungs frei fahren zu lassen, Neuland."
All das spielt laut dem Wiener keine Rolle, solange am Ende der Titel sichergestellt werden kann: "Wenn wir mit unseren Autos beide Weltmeisterschaften vergeigen, dann sind wir gescheitert. Wir wären eine Lachnummer - und zwar zurecht. Und wenn wir gewinnen, dann werden sich die Leute daran erinnern, dass wir mit schwierigen Situation konfrontiert waren und mit diesen wahrscheinlich richtig umgegangen sind."