Warum niemand mehr Klartext spricht
Formel-1-Fahrer sind heutzutage Profis darin, in Interviews viel zu erzählen, aber nichts zu sagen, doch das ist nicht nur ihre eigene Schuld
(Motorsport-Total.com) - Als junger Formel-1-Journalist ist man daran gewöhnt, dass sich Abschriften von Pressekonferenzen fast beliebig bei jedem Rennwochenende austauschen lassen, dass Fahrer minutenlang Fragen ausweichen, ohne dabei etwas zu sagen, dass Ehrlichkeit eine Qualität ist, die sich nach Gutdünken zu den eigenen Gunsten verbiegen lässt. Aber das war nicht immer so.
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Alltag eines Formel-1-Piloten: Immer umringt von hunderten Journalisten
Die Fahrer, bei denen man das Gefühl hat, dass sie wirklich offen sprechen, kann man an einer Hand abzählen. Früher hingegen war es Usus, dass James Hunt, Niki Lauda und Co. immer genau das sagten, was sie dachten - und zwar nicht immer zum eigenen Vorteil. Es gab Freund- und Feindschaften, aber einer Sache konnte man sich sicher sein: Es wurde Klartext geredet. Wer heute in der Formel 1 journalistisch tätig ist, träumt von so einem Gesprächsklima.#w1#
Ecclestone übt sanfte Kritik
"Das Problem heute ist: Die Formel 1 ist so emotionslos geworden, es gibt kaum noch Charaktere im Fahrerlager", kritisiert Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone im Interview mit 'autobildmotorsport.de' und erinnert sich: "Früher haben die Jungs das gesagt, was sie gedacht haben. Wenn sie damit jemanden verärgert haben, ging ihnen das am Hintern vorbei. Zum Glück hat sich Sebastian noch nicht verbiegen lassen."
Mit Sebastian meint der Brite Red-Bull-Pilot Vettel, den er bekanntermaßen sehr bewundert. Der 22-jährige Sunnyboy ist zwar stets freundlich, höflich, wohlerzogen, hat damit nicht die Ecken und Kanten der Herren Hunt und Lauda, aber er wirkt ehrlich und kommt bei der schreibenden Zunft wegen seiner natürlichen Art gut an. Doch mit dem Erfolg muss auch er einsehen, dass er in Interviews nicht mehr blind drauflos reden kann.
"Heutzutage musst du extrem vorsichtig sein bei dem, was du sagst. Alles wird gleich in großen Headlines aufgeblasen", seufzt der WM-Dritte. "Wenn du dann in den Supermarkt gehst, schauen dich die Leute mit großen Augen an. Manchmal gibt es sogar Typen, die dann vor deinem Haus rumhängen. Das alles führt dazu, dass man sich erst die Konsequenzen überlegt, bevor man etwas sagt. Du gibst nicht mehr alles von dir Preis, um dich zu schützen."
Medien blasen jeden gesagten Satz auf
"Mir ist das noch nie passiert, dass ich Worte bereut habe", wirft Ecclestone ein - mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Denn als er kürzlich in einem Zeitungsinterview zu erklären versuchte, dass Diktaturen seiner Meinung das bessere politische System seien als Demokratien, weil man in einer Diktatur schneller Entscheidungen treffen kann, sorgte dies wegen einer unglücklichen Erwähnung von Adolf Hitler für ein weltweites Medienecho.
Nicht zuletzt wegen dieser eigenen Erfahrung kann der 78-Jährige nachvollziehen, dass die Fahrer im Umgang mit den Medien zurückhaltender geworden sind. Und: "Die jungen Burschen von heute müssen sich auch immer wieder die gleichen dämlichen Fragen anhören. Das kann einen kirre machen. Da ist es manchmal einfach besser, nichts zu sagen. Aber dieses Problem haben die Fußballer und Tennisspieler heute auch."
Dazu kommt, dass die Stars der 1960er- und 1970er-Jahre genau wussten, mit wem sie es zu tun hatten, wenn sie ein Interview geben mussten. Konnte man die permanenten Berichterstatter damals noch an ein paar Händen abzählen, so reisen heute hunderte Journalisten mit dem Formel-1-Zirkus um die Welt. Dass es schwieriger geworden ist, ein Vertrauensverhältnis zwischen Fahrern und Journalisten aufzubauen, versteht sich also von selbst.
Freundschaften werden immer seltener
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Zu aktiven Zeiten von Niki Lauda wurde in der Formel 1 noch Klartext gesprochen Zoom
Aber auch echte Freundschaften unter den Fahrern sind viel seltener geworden beziehungsweise fast ausgestorben, obwohl sich vieles nicht verändert hat: "Früher wie heute haben alle Piloten den gleichen Antrieb: die schnellsten Autos der Welt am Limit zu bewegen und herauszufinden, wer der Beste ist. Damals waren die Jungs nach einem schlechten Rennen doch genauso angepisst wie wir heute", gibt Vettel zu Protokoll.
"Wir sind 20 verschiedene Individuen und es gibt Leute, die mag man mehr, und Leute, die mag man weniger", sagt der Red-Bull-Pilot und stellt einen Vergleich her: "Im Prinzip ist das genauso wie in der Schule. Viele bezeichnen das Fahrerlager als Gefängnis. Aber ich bin sehr gerne hier, habe hier meine Freunde und Ingenieure und bleibe an den Abenden meistens auch lange da. Dann machen wir dumme Witze, wie das früher auch der Fall war."
"Heute werden wir nur beurteilt durch das, was die Leute sehen. Aber hinter den Kameras trinken auch einige von uns gerne mal ein Bierchen oder auch etwas mehr", gesteht der dreifache Grand-Prix-Sieger. Der Unterschied zu früher ist, dass die TV-Kameras und Fotoapparate dann nicht mehr laufen. Selbst der Saubermann par excellence, Michael Schumacher, gönnt sich dann und wann ein paar Züge von einer Zigarre...