Stella beruhigt hadernden Norris: Auch "Schumi" und Co. hatten Selbstzweifel
Lando Norris' Psyche ist dieser Tage ein heiß diskutiertes Thema im Fahrerlager: McLarens WM-Leader und Teamchef Andrea Stella geben ungewohnte Einblicke
(Motorsport-Total.com) - Es sind Szenen wie die nach dem Qualifying in Bahrain, die den ein oder anderen Experten im Fahrerlager immer mal wieder daran zweifeln lassen, ob Lando Norris wirklich das mentale Zeug zum Champion hat: Nach Startplatz sechs im überlegenen McLaren zeigte sich der Brite schwer angeschlagen, machte sich vor den Medienvertretern regelrecht selbst runter...

© LAT Images
Trauriger Blick: WM-Leader Lando Norris schwankt aktuell zwischen den Emotionen Zoom
So ein Häufchen Elend anschließend schnell wieder aufzubauen, augenscheinlich gar keine so leichte Aufgabe - in Bahrain fiel sie einmal mehr Teamchef Andrea Stella zu, doch dem gelang das offenbar ganz gut, raste Norris am Sonntag als Dritter schließlich immerhin noch aufs Podium. Für den Italiener - trotz des kleinen Zusammenbruchs seines Schützlings tags zuvor - keine Überraschung:
"Ich denke, es ist zweigeteilt", erklärt Stella: "Auf der einen Seite: Diese Jungs fahren seit Jahren Rennen. Sie wissen, wie man mit Enttäuschungen umgeht und wie man am nächsten Tag wieder bereitsteht, wenn es darauf ankommt. Sie haben Mechanismen entwickelt, um sich schnell wieder zu sammeln - das gehört zu ihrem Werdegang seit frühester Jugend einfach dazu."
"Auf der anderen Seite", erklärt der Teamchef, "gibt es das Team um den Fahrer herum - ein ganzes Umfeld, das unterstützt." Stella verrät: "Manchmal ist es ein Gespräch, manchmal eine Arbeitsweise, manchmal ein strukturierter Prozess. Fahrerführung ist jedenfalls ein essenzieller Teil davon, ein Formel-1-Team zu führen."
Stella: "Keinen einzigen Spitzensportler erlebt, der ..."
Dabei gewährt der 54-Jährige auch Einblick in seine ganz persönlichen Erfahrungen: "Schon in meinen Anfangsjahren in der Formel 1 habe ich, besonders im Umfeld von Michael Schumacher, gesehen, wie viel Arbeit ins Management des Fahrers investiert wurde, um die Leistung zu maximieren. Das ist fast ein eigenes Geschäft innerhalb des Geschäfts", erklärt Stella.

© Sutton Images
Daumen hoch von Teamchef Andrea Stella: Ihm gefällt was Norris aktuell so zeigt Zoom
Bei Ferrari arbeitete er über die Jahre gleich mit mehreren Weltmeistern, war nicht nur für "Schumi", sondern auch für Kimi Räikkönen und Fernando Alonso verantwortlich: Dass Norris im Vergleich dazu mental nicht das nötige Rüstzeug mitbringe, kann Stella jedenfalls nicht erkennen - er verrät vielmehr, dass auch die genannten Fahrer von Selbstzweifeln geplagt wurden:
"Wenn wir von mentaler Stärke im Profisport sprechen, dann habe ich ehrlich gesagt noch keinen einzigen Spitzensportler, keinen Formel-1-Fahrer erlebt - und ich habe mit einigen mehrfachen Champions gearbeitet - der sich in einer Situation, in der das Auto nicht das tut, was man sich wünscht, völlig wohlfühlt", sagt Stella: "Das ist einfach eine unangenehme Situation."
McLaren-Boss lobt Norris: "Übernimmt Verantwortung"
"Wie Lando damit umgeht, unterscheidet sich im Kern nicht von dem, was ich bei anderen Champions gesehen habe. Wenn überhaupt, dann ist Lando stilistisch anders", erklärt der Italiener: "Er ist offener, transparenter, er lässt mehr durchblicken. Nach dem Qualifying zum Beispiel war er nach außen hin sehr selbstkritisch. Andere Champions hätten da wahrscheinlich eher das Problem beim Auto oder dem Team gesucht."
Letztgenannte Aussage Stellas dürfte dabei zwischen den Zeilen weit weniger Schumacher, als eher Alonso zuzuschreiben sein, der seit jeher als Politiker unter den Formel-1-Stars gilt und mit Kritik am eigenen Team historisch gesehen eher selten zurücksteckte. Ohne dabei Alonsos Namen zu nennen, zieht Stella jedoch einen Umkehrschluss: "Genau das ist etwas, das ich an Lando sehr schätze - und was mich als Teamchef privilegiert und glücklich macht: Er übernimmt Verantwortung."

© LAT Images
In seinen Interviews machte sich Norris vor allem nach dem Quali selbst schlecht Zoom
Das Qualifying in Bahrain sei das beste Beispiel dafür: "In Q3 hat er die Runde nicht zusammenbekommen - und hebt sofort die Hand, sagt: 'Das war mein Fehler.' Er nimmt das Team damit komplett aus der Verantwortung", sagt Stella, "dabei wissen wir, dass wir auch technische Änderungen am Auto vorgenommen haben, die es ihm schwerer gemacht haben." Norris habe zwar versucht sich daran anzupassen, aber "vielleicht hatte Oscar in diesem Fall etwas mehr Vorteile", glaubt der Italiener.
Norris habe das einfach akzeptiert. "Es gibt Fahrer, die sofort den Finger auf das Team richten, sobald es Probleme gibt. Und das ist ungesund - darauf lässt sich nichts aufbauen", sagt Stella: "Wenn man einen Fahrer bewertet, muss man auch diesen Aspekt berücksichtigen. Für mich als Teamchef ist das essenziell, denn sobald es zu internen Spannungen kommt, geht wertvolle Energie verloren und das vorhandene Potenzial kann nicht abgerufen werden. Dann kämpft man intern, statt sich auf die Leistung zu konzentrieren."
Norris: "Wäre noch schwerer, diese Dinge nicht zu zeigen"
Auch Norris selbst verteidigt vor diesem Hintergrund im Nachgang des Wochenendes seine Herangehensweise, mit der zeitweise zur Schau getragenen Selbstgeißelung in den Medien - die er prinzipiell eher als Ventil beschreibt: "Ehrlich gesagt wäre es für mich wahrscheinlich noch schwerer, diese Dinge nicht zu zeigen. Vieles, was ich in solchen Interviews sage, ist einfach ein Ausdruck meiner Frustration, meiner Enttäuschung, meine Ziele nicht zu erreichen."
Ist Piastri jetzt WM-Favorit, Hans-Joachim Stuck?
"Strietzel" Stuck ist immer für einen flotten Spruch gut: Oscar Piastri, McLarens Bahrain-Sieger 2025, sei "eine coole Sau", sagt er. Weitere Formel-1-Videos
Denn Norris ist laut eigener Aussage ein Getriebener: "Ich habe den unbändigen Wunsch, erfolgreich zu sein. Ich will gewinnen. Und wenn ich weiß, was ich kann, und dann weit davon entfernt bin, das zu zeigen", so wie etwa am Samstag, "dann bin ich eben sehr enttäuscht von mir selbst. So bin ich nun mal. Ich arbeite unglaublich hart, um zu gewinnen. Wenn es dann nicht klappt - oder wenn ich selbst Fehler mache - trifft mich das hart", gewährt er Einblick in sein Innenleben.
"Was ich in Interviews sage, beeinflusst mich nicht negativ"
Für Außenstehende vielleicht manchmal schwer vorstellbar, ist Norris dennoch überzeugt: "Aber das, was ich in Interviews sage, beeinflusst mich nicht negativ. Ich habe mein Leben lang damit gelernt umzugehen, meine eigenen Aussagen gedanklich auszublenden." Zwar räumt der Brite ein: "Vielleicht fehlt mir manchmal etwas Selbstvertrauen, das war früher sicher öfter so. Aber das ist eben auch Teil von mir, so arbeite ich, so funktioniere ich. Das hat mich zu dem Fahrer gemacht, der ich bin."
Nur um gleich wieder einen Gedanken des Zweifelns hinterher zu schieben: "Vielleicht hat es mich in manchen Momenten auch daran gehindert, noch besser zu werden", sagt Norris, der das jedoch nicht als Schwäche ausgelegt bekommen möchte: "Ich weiß, wozu ich fähig bin. Und ich bin überzeugt, dass das, was ich leisten kann, reicht, um ganz oben mitzufahren."
Denn das ist ein ganz essenzieller - und vielleicht auch oftmals missverstandener - Punkt bei der Diskussion um Norris' aktuelles Hadern: Dem Briten mangelt es nicht an generellem Vertrauen in seine Fähigkeiten - es mangelt ihm aktuell an Vertrauen in die Einheit, die er mit dem Auto bildet.

© LAT Images
Auch wenn es für Russell nicht reichte, zeigte Norris eine starke Aufholjagd Zoom
"Als Sportler, ob nun als Rennfahrer oder in einer anderen Disziplin, weiß man einfach, wann es passt, wann man Vertrauen hat, wann man sich wohlfühlt", betont er erneut: "Ich bin überzeugt davon, dass ich alles mitbringe, was es braucht, dass ich gut genug bin - daran habe ich keinen Zweifel", so Norris, "auch wenn es manchmal so wirkt".
Doch der Grund für seine Frustration beziehe sich ausschließlich darauf, wie er bei Sky verrät: "Es klickt einfach nicht, und deshalb fühle ich mich im Auto nicht wohl. Ich weiß, was ich kann, aber ich kann es derzeit nicht abrufen. Und wenn du kein Vertrauen hast, dann kannst du die Grenzen des Autos nicht ausloten." Die Folge: "Solange das so ist, werde ich nie so schnell sein, wie ich sein müsste. Vor allem nicht, wenn man gegen die Besten der Welt antritt."
Norris: Runden wie letzte Saison sind aktuell nicht drin
Den Beweis, dass etwas zwischen ihm und dem MCL39 noch nicht passt, liefert Norris dabei auch gleich mit: "Denn ich bin momentan nicht in der Lage, Runden zu fahren wie vergangene Saison." Genau dieser Unterschied ist für den McLaren-Piloten aktuell die Wurzel allen Übels: "Damals wusste ich in jeder Kurve genau, wie sich das Auto verhalten würde. Ich hatte das Gefühl, über dem Auto zu stehen. Dieses Jahr ist das Gegenteil der Fall", erklärt Norris.
Der 25-Jährige verrät: "Selbst in Australien - unabhängig vom Sieg - habe ich mich nie wirklich wohl oder sicher gefühlt. Das Auto war großartig und hat vieles kaschiert, aber ich bin weit von dem entfernt, wozu ich eigentlich fähig bin - und es tut einfach weh, das zu sagen." Vielmehr lässt der WM-Spitzenreiter aufhorchen, indem er erklärt: "Ich bin überrascht, dass ich unter diesen Umständen überhaupt so viel erreiche, trotzdem solche Ergebnisse einfahre - wenn man bedenkt, wie schlecht ich mich gerade fühle."

© Sutton Images
Da ist noch viel Luft nach oben - findet Lando Norris in Bezug auf seine Leistung Zoom
In Bezug auf die Lösung seiner Probleme sieht Norris allerdings noch kein Licht am Ende des Tunnels: "Es ist kompliziert. Ich habe noch keine Antworten. Als Team müssen wir hart arbeiten, um das zu verstehen. Es heißt jetzt weiterarbeiten, den Kopf unten halten, fokussiert bleiben. Mehr kann ich im Moment nicht tun."
Sein unmittelbares Ziel für den WM-Kampf ist deshalb ganz klar: "Ich muss einfach wieder in meinen Rhythmus finden. Und ja, vielleicht bin ich manchmal zu hart mit mir selbst - wie gestern", sagt er am Sonntag nach der Schadensbegrenzung auf Rang drei: "Aber ich habe gut geschlafen, bin heute mit frischer Energie zurückgekommen, und ich denke, ich habe einen guten Kampf geliefert."
Unterstützung erhält er bei dieser Einschätzung auch von McLaren-CEO Zak Brown, der seinen Fahrer bei Sky lobt: "Man hat gleich in der ersten Runde gesehen: Lando ist zurück. Der Start war fantastisch." Die anschließende Strafe für das Überschreiten der Startbox sei "zwar ärgerlich, aber gerechtfertigt" gewesen, so Brown: "Trotzdem haben er und das Team einen großartigen Job gemacht, um das wieder aufzuholen. Also ja, das war der Lando, wie wir ihn normalerweise kennen." Mit allen seinen Selbstzweifeln - aber eben auch seinem starkem Speed...


Neueste Kommentare