Special Feature: Die Servolenkung in der Formel 1
An der Servolenkung scheiden sich die Geister mehr, als man das erwarten würde - wir verraten Ihnen warum
(Motorsport-Total.com/Haymarket) - In der heutigen Formel 1, in der weit reichende Elektroniksysteme längst ihren Einzug gehalten haben, geht man davon aus, dass alle Teams mittlerweile eine Servolenkung in ihre Formel-1-Boliden eingebaut haben. Schließlich hat dieses System bei den "normalen" Straßen-Pkw schon längst Einzug gehalten. Obwohl die "Königsklasse des Motorsports" in Sachen Hightech eine Vorreiterrolle spielen möchte, setzen jedoch nicht alle der elf Formel-1-Teams eine Servolenkung ein.

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Die Lenkung ist in der Formel 1 ein sehr sensibler Bereich
Was es heißt, ohne Servolenkung fahren zu müssen, zeigte sich nach dem Großen Preis von Monaco, als anschließend Testfahrten in Magny-Cours anstanden. Dort konnten nicht alle Fahrer wie ursprünglich geplant teilnehmen. Jenson Buttons Hände waren wie die Fäuste eines Boxers bandagiert, damit der Engländer für sein Team überhaupt ein paar Runden fahren konnte, während Jean Alesi nach den 78 anstrengenden Runden im Fürstentum so viele Blasen an den Händen hatte, dass er den Test ausfallen lassen musste.
Ligier testete die Servolenkung als erstes Team im Jahr 1988
Vor 13 Jahren wurde die Servolenkung zum ersten Mal in einem Formel-1-Auto eingesetzt und ausprobiert, jedoch nicht etwa von McLaren, Ferrari oder gar Williams, sondern von Ligier, die das System in den JS31 gebaut hatten. Allerdings dauerte es bis Mitte der 90er-Jahre, bis alle Top-Teams eine Servolenkung standardmäßig verwendeten. Teams wie Sauber und Arrows fahren erst seit kurzem mit der leichtgängigen Lenkung, das Benetton-Team wird in Ungarn das System zum ersten Mal einsetzen, während die Piloten der Teams Prost und Minardi derzeit ganz ohne diesen "Luxus" auskommen und sich stattdessen auf ihre trainierte Armmuskulatur verlassen müssen.
Auf dem Hungaroring wird es deshalb auch interessant mit anzusehen sein, wie Heinz-Harald Frentzen - von Jordan eine Servolenkung gewöhnt - zurechtkommen wird. Gleiches gilt für Jean Alesi, der den Platz des kurz vor dem Deutschland-Grand-Prix gefeuerten Mönchengladbachers ab sofort einnimmt und kein großer Freund der Servolenkung ist, wie Benettons Chefingenieur Pat Symonds zu berichten weiß: "Jean ist für uns gefahren nachdem wir die Servolenkung in unseren Boliden eingebaut hatten. Er war jedoch ziemlich voreingenommen und mochte diese Idee gar nicht. Er fand, dass es eine dumme Idee sei und er auch gut ohne auskommen könnte. Nachdem er aber einige Runden damit gefahren hatte, befand er, dass es doch gar nicht schlecht war. Meinem Wissen nach hat er fortan bei jedem Rennen die Servolenkung verwendet."
Die Piloten ohne Servolenkung sind ihren Kollegen gegenüber im Nachteil
Nach seinem Wechsel von Benetton zu Sauber, beziehungsweise von Sauber zu Prost, fuhr Alesi aber wieder Boliden ohne Servolenkung. Eddie Irvine, bei Ferrari ebenfalls die leichtgängige Lenkung gewöhnt, forderte nach seinem Wechsel zu Jaguar Racing, dass man schnellstmöglich eine Servolenkung einbauen müsste. "Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, dann kann man nicht mehr ohne fahren", so der Nordire. "Es ist eigentlich ganz einfach, aber das lässt sich vielleicht in einem Vergleich besser darstellen", so Irvine weiter. "Ein Marathonläufer zieht sich ja auch nicht die schwersten Schuhe an. Wenn man ohne Servolenkung auskommen muss ist es aber so, als würde der Läufer schwere Schuhe tragen. Als Fahrer muss man ohne dieses System drei oder vier Mal so hart arbeiten als ein Fahrer, der sich darauf verlassen kann."
Ross Brawn, seines Zeichen Technischer Direktor bei Ferrari, kann der Servolenkung ebenfalls nur Positives abgewinnen: "Zum Anfang fragt man sich, weshalb man dieses System braucht, aber warum soll man dem Fahrer seine Aufgabe schwerer machen als sie ohnehin schon ist?"
"In einem Formel-1-Boliden eine Servolenkung einzusetzen ist von großem Vorteil. Auch wenn ein Fahrer ohne sie fahren kann, so merkt er recht bald in einem Rennen die Belastung und Erschöpfung, was wiederum bedeutet, dass er bestimmte Phasen in einem Rennen nicht besonders gut fährt. Wenn es nur um wenige Runden geht, so kann man da hintereinander die gleiche Zeit auch ohne Servolenkung fahren, in einem Rennen gäbe es dann aber große Unterschiede. Ich glaube, dass unsere beiden Fahrer so fit und trainiert wie die anderen sind, jedoch würde keiner von ihnen ein Rennen ohne Servolenkung fahren wollen. Die Muskulatur ist einfach darauf gar nicht mehr vorbereitet", so der Engländer.
Einige Ingenieure der Königsklasse sehen in einer Servolenkung einen besonderen Luxus für die Fahrer
Wenngleich der Großteil der Formel-1-Teams mittlerweile eine Servolenkung einsetzt, so hält sich unter einigen Ingenieuren die Meinung, dass dies unnötiger Luxus und Ballast sei. Allerdings geht es weniger darum, dass man den weniger trainierten Fahrern durch dieses System hilft, sondern es ist eher so, dass man seinen Piloten ermöglicht, noch bessere und konstantere Leistungen zu erzielen. Wie Ross Brawn schon erklärte, kommt es heute nicht mehr auf eine oder zwei, drei schnelle Runden an, sondern auf viele schnelle Runden, welche alle möglichst konstant sein sollten.
Die Erfahrung, die Irvine bei seinem Teamwechsel machte, hat auch Luciano Burti gemacht, der die ersten Rennen bei Jaguar eine Servolenkung im R2 nutzen konnte, aber nach seinem Wechsel zu Prost im AP04 ohne auskommen muss. Der junge Brasilianer hatte zunächst Umstellungsschwierigkeiten, welche er auch bei seinem neuen Teamkollegen Heinz-Harald Frentzen erwartet: "Wenn man daran gewöhnt ist und plötzlich ohne auskommen muss, ist es wirklich hart. In Monaco bin ich 35 Runden gefahren und es war wirklich sehr anstrengend. Ich nehme an, dass eine komplette Renndistanz dort ziemlich schwierig gewesen wäre", so Burti, der weiter erklärt: "Die Anstrengungen sind teilweise so groß, dass man die Muskelgruppen des Bauches und Unterkörpers mit einsetzen muss. Man muss das wirklich einmal selbst gefühlt haben, um zu wissen wie anstrengend das ist."
Button hat ebenfalls seine Erfahrungen mit einem Auto ohne Servolenkung gemacht
Für den von Williams an Benetton-Renault ausgeliehenen Jenson Button war die Umstellung von einem Auto mit auf ein Auto ohne Servolenkung eine lehrreiche Erfahrung, welche er lieber nicht gemacht haben hätte wollen.
"Mit Servolenkung zu fahren ist eine große Hilfe", bestätigt Button. "Man muss sich dann nämlich um eine Sache weniger Gedanken machen und das Auto fährt sich leichter und konstanter. In Monaco bin ich die letzten 10 Runden sehr langsam gefahren und vom Gas gegangen, denn es war am Ende des Rennens sehr sehr hart für mich. Ich hatte ein paar Blasen an den Händen, jedoch fühlte es sich so an, als ob die ganze Hand eine einzige Blase war."
In Silverstone setzte der junge Engländer die von Benetton-Renault zuvor getestete Servolenkung endlich im Rennen ein, jedoch nicht für lange Zeit, denn die Software des Systems fiel nach einer Erschütterung beim Überfahren eines Randsteins aus. Mittlerweile soll dieses Problem aber gelöst worden sein.
Es stellt sich nur die Frage, weshalb ein Team wie Benetton-Renault, dem Ressourcen zur Verfügung stehen, so viele Probleme auch mit einem eigentlich simplen System wie der Servolenkung hat. Im Fall von Benetton liegt die Antwort auf der Hand: Die Servolenkung genoss keine Priorität, weil man jede Menge andere Sorgen hatte, um die man sich in erster Linie kümmern musste.
"Im Rückblick", sagt Pat Symonds, "hätten wir sie in Monaco haben müssen. Wir sind viele Jahre mit der Servolenkung gefahren und haben sowohl ein mechanisches System als auch ein elektronisches System verwendet. Für diese Saison hatten wir ein neues System entwickelt, welches jedoch einige Probleme bereitete. Wir können es jetzt einsetzen, wenngleich dies etwas spät ist. Letztes Jahr war es aber nicht anders", versucht der Chefingenieur die Sache mit Humor zu nehmen.
Auch Verstappen und Alesi vermissten in Monaco die Servolenkung
Das Arrows-Team hatte diese Saison ebenfalls Probleme mit seinem System, weshalb Jos Verstappen oftmals ohne Servolenkung fuhr. Obwohl der Niederländern sich dafür entschied und gut trainierte Armmuskeln hat, so kämpfte auch er in Monaco mit den Strapazen, um die 78 Runden im Fürstentum mit seinen vielen Kurven und Richtungswechseln zu überstehen.
"Nach zwei Drittel der absolvierten Renndistanz wurde es immer schwieriger und meine Arme schmerzten nach dem Rennen sehr. Die Rascasse war wirklich hart und die Schikane nach dem Tunnel und die darauf folgende Schikane waren wegen der Unebenheiten auch sehr hart zu fahren. In den Streckenabschnitten, wo viel Gummi lag, fühlte sich die Lenkung vor allem in den letzten 15 bis 20 Runden sehr schwer an. Das Auto ist ohne Servolenkung wesentlich leichter, was schon einen spürbaren Unterschied ausmacht, vor allem wenn man die weichen Reifen fährt. Aber man braucht dieses System einfach, ohne kann man nicht wirklich fahren."
Wie Benetton-Renault, so wartete auch Arrows mit der Einführung der Servolenkung ab, denn Standfestigkeit ist ein großes Thema bei allen Teams. Bei seinem Renndebüt für Jaguar Racing streikte bei Pedro de la Rosa die Lenkung seines Jaguar R2 plötzlich, weshalb der Spanier bei der Ausfahrt aus der Box in die Boxenmauer krachte. Und in Monaco hatten beide Jaguar-Piloten den Eindruck, dass ihr System zum Ende des Rennens hin nicht mehr richtig funktionierte. Olivier Panis musste seinen Boliden im Fürstentum wegen eines Defekts der Servolenkung frühzeitig abstellen und erinnert sich an die Probleme: "In den langsamen Kurven war die Lenkung sehr schwergängig, während sie in den schnellen Kurven total leichtgängig war", so der Franzose.
"Aber die Lenkung reagierte nicht gleichmäßig, sodass ich von einem Defekt ausging. Denn wenn man ohne Servolenkung fährt, steuert sich das Auto insgesamt gleich schwer, egal welche Art von Kurve man durchfährt."
Servolenkung beeinflusst auch die Abstimmung der Boliden
Der Einsatz einer Servolenkung ist nicht nur eine Frage, ob man es dem Fahrer leichter machen will oder nicht, sondern die Abstimmung der Boliden wird ebenfalls positiv durch den Einsatz dieses System beeinflusst, wie Ross Brawn verrät: "Von der technischen Seite her hat man ein paar Vorteile mehr, wenn man sie einsetzt, da man die Aufhängungsgeometrie ganz anders wählen kann. Man muss nicht darauf achten, dass man die Geometrie so wählt, dass die Belastung durch die Lenkung für den Fahrer nicht zu groß wird."
Die Servolenkung ist ein wichtiger Bestandteil in der Beziehung eines Fahrers zu seinem Auto, was Jenson Button bestätigt: "Eigentlich muss man nur ein funktionierendes System, welches gleichzeitig nicht sehr schwer ist, auf die Beine stellen. Ich habe in Magny-Cours unsere Servolenkung getestet und weiß ehrlich gesagt nicht, weshalb es später in der Presse hieß, dass das Fahren mit oder ohne für mich kaum einen Unterschied gemacht hatte, denn das Gegenteil war der Fall. Mit Servolenkung war das Auto richtig gut zu fahren und wir testeten eine weichere und härtere Version..."
Ab 2002 dürfen nur noch mechanische Lenksysteme verwendet werden, denn die FIA verbietet zukünftig elektronisch gesteuerte Servolenkungen
Wer denkt, dass die Servolenkung nur auf den Rennstrecken mit vielen Kurven, die darüber hinaus relativ langsam sind, Vorteile bringt, der irrt. "Solch ein System hat viele Vorteile. Auf einer Strecke wie Spa sind die Lenkbelastungen sehr hoch, deshalb hilft es auch dort. Auf der anderen Seite ist es die für das Lenken aufgebrachte Zeit, auf welche sich der Einsatz einer Servolenkung positiv auswirkt. Wenn man Monaco und Ungarn einmal als Beispiel nimmt, so macht es schon eine Menge aus, ob man für kurze Zeit hohe Belastungen am Lenkrad hat oder für lange Zeit nur geringe Belastungen", erklärt Pat Symonds.
Ab der Saison 2002 werden die teils anfälligen und in langer Arbeit ausgetüftelten Systeme der einzelnen Teams aber "kastriert", denn jeglicher elektronischer Input in die Lenkung wird wieder verboten, so dass die Königsklasse zu den alten, mechanischen Systemen zurückkehren wird.
"Im Moment sind die mit dem Motor und Getriebe zusammenhängenden Sachen schon davon befreit, wir müssen uns aber auch noch um die Software für die Lenkung kümmern", sagt Ferraris Technischer Direktor Ross Brawn. "Wir streben eine Situation an, in der die FIA keinerlei Softwaretests mehr durchführen muss, dies ist der einzige Grund für die Änderung der Regeln. Für alle gilt aber schließlich das gleiche Reglement und ich glaube, dass es der richtige Weg ist." Brawn erklärt weiter, dass dies bedeutet, dass die Teams die Systeme in Zukunft nicht mehr so einfach modifizieren können und komplexere mechanische Systeme verwenden müssen.
Pat Symonds sieht keine Probleme durch die neuen Regeln bezüglich des Einflusses der Elektronik auf das Servolenksystem bei Benetton-Renault, was einen einfachen Grund hat: "Bis heute haben wir ein beinahe seit 1997 unverändertes System, ein komplett mechanisches System, eingesetzt. In der Tat waren wir damit wirklich zufrieden. Ein mechanisches System bedeutet aber, dass man weniger Einstellmöglichkeiten hat als bei einem elektronischen System. Dort programmiert man eine bestimmte Einstellung für den Fahrer oder die Strecke ein und fertig. Ein mechanisches System muss man aber manuell einstellen. Das dauert natürlich ein bisschen länger. Wir haben das mechanische System jetzt schon seit vier Jahren im Einsatz und waren immer total zufrieden damit. Allerdings hatten wir das Gefühl, dass wir ein elektronisches Problem probieren sollten, was wir taten, um die wünschenswerten Einstellungen zu erreichen. Ich bin allerdings überzeugt, dass uns das nicht gelungen ist, weshalb ich über die Rückkehr zu den mechanischen Systemen sehr froh bin."

