• 09.08.2013 08:05

  • von Dieter Rencken & Stefan Ziegler

Mit dem Turbomotor in ein neues Zeitalter

Wie die neue Motorenformel die Formel 1 ab 2014 verändert und worauf es bei den neuen Motoren ankommt: Die Triebwerke der Zukunft unter der Lupe

(Motorsport-Total.com) - "Der Motor ist das Herzstück eines Autos. Und ab 2014 stehen die Motoren wieder im Vordergrund." So beschreibt der viermalige Weltmeister Alain Prost, was im kommenden Jahr Realität wird. Dann führt die Formel 1 nämlich ein neues Motorenkonzept ein, das die bisherigen 2,4-Liter-V8-Aggregate ablöst. Ab 2014 sind dann 1,6-Liter-V6-Turbomotoren vorgeschrieben. Aber was heißt das eigentlich?

Titel-Bild zur News: Turbomotor Rebault 2014

So sieht er aus, der neue Renault-Motor zum Einsatz in der Formel 1 ab 2014 Zoom

Eines vorneweg: Laut werden auch diese Motoren sein. "Sie bleiben schließlich Hochleistungs-Motoren", sagt Rob White, stellvertretender Technikchef bei Renault. "Diese Aggregate werden weiterhin hoch drehen und wir werden weiterhin laute Geräusche zu hören kriegen. Davon wird man sicher aus dem Schlaf gerissen und die Anwohner der Rennstrecken werden sich beschweren."

Allerdings, und diese Meinung vertreten die Kritiker des neuen Motorenkonzepts, klingt ein Turbomotor ganz anders als ein herkömmlicher Benziner. "Beim Sound der älteren Motoren werden manche Leute sicher nostalgisch. Die neuen Motoren hören sich aber halt anders an", erklärt White. "Unterm Strich ist das eine Sache des persönlichen Geschmacks. Sehr laut sind sie nämlich alle."

Der Hauptunterschied ist die Elektronik

Zumal sich die größten Unterschiede zwischen alten und neuen Motoren nicht unbedingt an der Lärmkulisse bemerkbar machen. Im Vergleich zur nahen und fernen Vergangenheit habe die Motorentwicklung schließlich wesentliche Fortschritte gemacht. "Die Motorentechnologie heute ist deutlich effektiver", sagt Jean-Pierre Menrath, Direktor für Test und Entwicklung bei Renault.

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Renault arbeitet schon seit Jahren an der Entwicklung des Formel-1-Motors für 2014 Zoom

"Der Hauptunterschied zu früher ist die Elektronik. Und wir sind nahe dran, ähnlich komplexe Systeme wie in der Raumfahrt einzusetzen", meint Menrath. Mit den entsprechenden Analyse-Werkzeugen. In der ersten Formel-1-Turbo-Ära habe man beispielsweise weder über eine Telemetrie noch über eine Datenaufzeichnung verfügt. "Wir hatten also weitaus weniger Möglichkeiten zur Motorüberwachung."

Der Vergleich zur Raumfahrt ist daher durchaus passend, wie Remi Taffin, Renault-Leiter für alle Streckenaktivitäten, im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' erklärt. Schließlich verfügen die Autos schon seit geraumer Zeit über eine ausgeklügelte Elektronik und ab 2014, so Taffin, über diverse "unterschiedliche Software-Pakete". Alles, um die neuen Motoren möglichst effizient zu nutzen.

Effizienz - in jeglicher Hinsicht

Apropos Effizienz: Das ist überhaupt das große Stichwort für die neue Saison - in vielerlei Hinsicht. Die Spritmenge im Rennen war bisher zum Beispiel nicht reglementiert. Beim Rennstart hatten die Autos rund 160 Kilogramm an Benzin im Tank. Ab 2014 müssen die Piloten mit nur 100 Kilogramm auskommen. Das entspricht einer Reduzierung der Gesamt-Spritmenge um satte 35 Prozent.

Ähnlich verhält es sich mit der Durchfluss-Menge: Bisher liefen bei Volllast bis zu 170 Kilogramm Benzin pro Stunde durch den Motor, künftig ist auch dieser Wert vorgegeben: 100 Kilogramm pro Stunde dürfen es maximal sein, 40 Prozent weniger als derzeit. Und das bei gleich bleibender Autoleistung, wie Naoki Tokunaga, Renaults Technischer Direktor für neue Technologien, sagt.

Doch wie ist das eigentlich zu verstehen? 100 Kilogramm im Tank, aber der könnte schon nach einer Stunde leer sein? Theoretisch, ja. "Die Charakteristiken der Rennstrecke und die Charakteristiken der Autos lassen es aber eh nicht zu, dass ständig mit maximaler Leistung gefahren wird", so Tokunaga. Also keine Sorge: Die Rennen werden nicht auf eine Stunde verkürzt und stehen bleibt auch keiner.

Die Formel-1-Motoren werden komplexer

"Ein Grand Prix wird vermutlich ähnlich lang dauern wie bisher, etwa 90 Minuten", meint Tokunaga. Allerdings wird von den Antriebssträngen der Formel-1-Zukunft in dieser Zeit viel mehr verlangt als noch in dieser Saison. Auch, weil die 1,6-Liter-V6-Turbomotoren mit sämtlichen Zusatzsystemen wesentlich komplexer sind als die 2,4-Liter-V8-Triebwerke der aktuellen Formel-1-Rennwagen.

Renault-Techniker bei der Arbeit

Die neuen Turbomotoren von Renault werden in erster Linie auf Effizienz getrimmt Zoom

Grundsätzlich, das erklärt Taffin, ist die Basis der beiden Motorenkonzepte nicht so verschieden, wie man vielleicht annehmen würde. "Wir werden aber mit Direkteinspritzung arbeiten, um auf diese Weise die Benzineffizienz zu verbessern. Dazu passt das Downsizing, weshalb der neue Motor über einen Hubraum von 1,6 Litern verfügen wird - wie schon in der Vergangenheit bei den Straßenautos."

So weit die Basis. Jetzt geht es an das Eingemachte. Oder vielmehr: An die Zusatzsysteme, die ab 2014 zum Motor-Gesamtpaket zählen. "Der neue V6-Motor wird über einen Turbo verfügen", sagt Taffin. Er fährt fort: "Direkt an den Turbo angebracht wird die sogenannte MGU-H-Einheit. Dabei handelt es sich um einen Elektromotor, der die Geschwindigkeit des Turboladers kontrolliert."

Mehr Zusatzpower durch stärkere Zusatzsysteme

"Andererseits fungiert diese Einheit als Generator, der die heißen Auspuffgase abgreift und als elektrische Energie wieder ins System einspeist", erläutert Taffin. Und jetzt nicht verwirren lassen, denn es folgt ein ganz ähnlicher Begriff. Die Aufgabe der "MGU-K-Einheit" ist eine andere, wie der französische Motorenspezialist anmerkt. Das K, wie bei KERS, steht dabei für "kinetisch".

Sie ahnen schon, was das bedeutet. Taffin fasst es in Worte: "MGU-K ähnelt KERS, ist allerdings doppelt so leistungsstark. KERS arbeitet aktuell mit 60 Kilowatt, 2014 werden es 120 Kilowatt sein. Die komplette Energie, die uns dabei zur Verfügung steht, beträgt vier Megajoule. Und das ist das Zehnfache des bisherigen Werts." Die kinetische Energie-Rückgewinnung gewinnt also an Wert.

Taffin bringt es auf eine einfache Formel: "Ab 2014 wird zu jeder Zeit möglichst viel Energie, die sonst nicht nutzbar und damit für uns verloren wäre, gesammelt und wieder dem Autosystem zugeführt." Klingt sehr komplex. Und das ist es auch. Zumal die Werte für die Energie-Aufnahme und Energie-Abgabe im Reglement verankert sind. Auch deshalb braucht es eine ausgeklügelte Software für die Nutzung.

Das neue Zauberwort: "Energie-Management"

Ein paar Zahlen gefällig? "Pro Runde können wir zwei Megajoule sammeln, vier Megajoule dürfen wir wieder abgeben." Speichert man diese Energie in einer Runde und gibt sie nicht sofort wieder ab, hat man in der Runde darauf eben diese vier Megajoule zur Verfügung. Vor allem im Rennen dürfte dies eine interessante Aufgabe darstellen. "Du musst mit dieser Energie einfach gut haushalten", so Taffin.

Renault-Turbomotor

In diesem Schema ist der Motor mit all seinen Zusatzsystemen zu sehen Zoom

So einfach, wie das klingt, ist es aber natürlich nicht. Deshalb wirft Taffin das Stichwort "Energie-Management" in den Raum, für das ab 2014 nicht nur der Fahrer, sondern auch die Ingenieure am Kommandostand zuständig sein werden. "Das wird im Rennen der Schlüssel sein", meint Taffin. Wenngleich der Großteil des Energie-Management-Aufwands "automatisch im Auto" bewältigt werde.

Also wären wir wieder bei der Software, die dabei federführend agieren wird. "Es geht um die Frage, mit welchen Mitteln eine gewisse Distanz gemeistert werden soll. Das wird automatisch berechnet, vom Computer", erläutert Taffin. Das ist zumindest der Plan. "Die Frage ist nur: Sind diese Vorgänge transparent für den Fahrer oder nicht? Wir wissen noch nicht, wie die Antwort da aussehen wird."

Klar ist aber: Sämtliche Renault-Kundenteams erhalten 2014 ein einheitliches Paket, bestehend aus Antriebsstrang und Software. Sie können dann in Eigenregie alle externen Parameter verändern und auch an der Installation des Motors, am Auspuff, an den Lufteinlässen und an der Hydraulik arbeiten. Die Rennställe, allen voran Renault-Entwicklungspartner Red Bull, sind aber ohnehin schon an Bord.

Aus gutem Grund, wie Alex Plasse, Kundensport-Verantwortlicher bei Renault, hinzufügt. "Der Motor wird 2014 ein viel zentraleres Element im Auto darstellen und damit auch eine wichtigere Rolle für das Gesamtdesign spielen. Auch die Speichermedien brauchen mehr Platz. Das hat Auswirkungen auf die Länge des Chassis und dergleichen. Wir haben da eng mit unseren Teams zusammengearbeitet."

"Sie treten natürlich gegeneinander an, also müssen wir auch auf die einzelnen Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Wir wollen aber in jedem Fall sicherstellen, dass ein Auto mit Renault-Motor das schnellste ist", sagt Plasse. Dafür scheut Renault offenbar keinen Aufwand. Laut Taffin sind im Formel-1-Werk in Viry derzeit 300 Ingenieure am Motorenprojekt für 2014 beteiligt. "Und sie sind total begeistert davon."

Wie effizient ist ein Formel-1-Motor eigentlich?

"Sie lieben diese Herausforderung", meint Taffin. Er schwärmt: "Es ist eine große technische Aufgabe. Zumal dieser Motor deutlich fortschrittlicher ist als die Technik, die bisher zum Einsatz kam. Und wir arbeiten schon drei Jahre an diesem Projekt. Je mehr unserer Leute daran teilhaben, umso mehr strahlende Gesichter siehst du in unserer Fabrik. Es ist einfach eine große Entdeckungsreise für uns."

Mit positiven Effekten für die gesamte Renault-Gruppe: Man sei nun viel enger zusammengewachsen. "Die Schnittmenge an Transferwissen für den Straßenverkehr ist nun erheblich größer", sagt Taffin und spricht über die Kollegen aus dem Straßensegment: "Sie wollen mit einer gewissen Energiemenge möglichst weit kommen. Das ist ja auch unser Ziel. Nur wir wollen auch möglichst schnell fahren."

Und, da ist wieder das Zauberwort, natürlich möglichst effizient unterwegs sein. Doch da macht sich Taffin überhaupt keine Sorgen. Im Gegenteil: "2014 werden wir mit dem Motor eine Gesamteffizienz von 40, vielleicht 45 Prozent erzielen. Etwas dergleichen. Und das hört sich wie eine magische Zahl an, denn schon beim Motor eines normalen Straßenautos liegen wir bei maximal 30, 35 Prozent."

So viel wiegt ein neues Aggregat

Die Formel 1 ist effizienter als der normale Straßenverkehr? Kaum zu glauben! Und doch soll das erst der Anfang sein, so Taffin. "Zurückzuführen ist das auf die Direkteinspritzung, den Turbo und natürlich das Downsizing. Wir nutzen aber auch die Auspuffgase maximal aus und wandeln sie in Energie um. Eines Tages können wir vielleicht sogar ohne Schadstoff-Ausstoß fahren. Da ist alles möglich."

Renault

Auf Details kommt es an, sollen die Formel-1-Motoren schon 2014 erfolgreich sein Zoom

Das ist aber noch Zukunftsmusik. Für den seit Juni 2012 auf den Renault-Prüfständen laufenden neuen Motor gilt es zunächst, die Anforderungen der Debütsaison 2014 zu erfüllen. Und das heißt: Ein Fahrer muss im neuen Rennjahr mit nur fünf Aggregaten über die Runden kommen, ab 2015 sogar nur mit vier Motoren. "Wir müssen die Laufleistung dann also um etwa 1.000 Kilometer anheben", sagt Taffin.

Und wie genau muss man sich einen Motor der neuen Generation vorstellen? Zur Erinnerung: Ein aktuelles V8-Triebwerk bringt es auf 95 Kilogramm Basisgewicht, mit allen Zusatzsystemen auf etwa 120 Kilogramm. Und jetzt festhalten: Der neue V6-Motor ist schon von Haus aus 145 Kilogramm, mit allen Zusatzsystemen - und das sind einige mehr als bisher - sogar rund 180 Kilogramm schwer.

Renault baut nicht alles selbst

Deshalb wurde ein solches Triebwerk schon im Juni 2013 erstmals in Rennkonfiguration auf dem Prüfstand getestet, um den Kundenteams verlässliche Daten liefern zu können. Denn wie es Prost formuliert hat: Der Motor ist das Herzstück des Autos. Geplant ist, dass im Januar 2014 die ersten Fahrzeuge mit dem neuen Aggregat auf die Strecke gehen, im März 2014 folgt das Renndebüt.

Bis dahin wird Renault zahlreiche der neuen Formel-1-Motoren produzieren, die übrigens unter dem Namen "Energy F1-2014" firmieren - eine Anspielung auf die vielen Zusatzsysteme zur Steigerung der Gesamteffizienz. Der französische Hersteller baut aber nicht alle Komponenten in Eigenregie, sondern greift auch auf Zulieferer zurück. "Mit ihnen arbeiten wir in der Designphase zusammen", sagt Taffin.

"Bei den Batterien kaufen wir zum Beispiel die Komponenten ein, bauen die Batterien an sich aber selbst und liefern sie dann an unsere Kundenteams aus." Auch das hat gute Gründe, so Taffin weiter. "Du stehst immer vor der Entscheidung: Soll ich etwas für teures Geld selbst produzieren oder für weniger Geld bei einem Zulieferer einkaufen, der ein maßgeschneidertes Produkt billiger herstellen kann?"

"Ein Teil unserer Arbeit ist eben auch, auf Seiten der Kosten möglichst effizient vorzugehen", hält Taffin abschließend fest. Alles, um beim Beginn der neuen Motorenära von Anfang an zu glänzen. "In den 1980er-Jahren haben die Turbomotoren aufgrund der neuen Technologien für viel Interesse an der Formel 1 gesorgt", sagt Ex-Champion Prost. Die Chancen stehen gut, dass es 2014 ähnlich ist.