Kafitz: "Die Formel 1 muss am Nürburgring stattfinden"

Nürburgring-Geschäftsführer Walter Kafitz im 'F1Total.com'-Interview über Gegenwart und Zukunft des Grand-Prix-Sports in der Eifel

(Motorsport-Total.com) - Mit 301.000 Zuschauern an vier Tagen kamen ziemlich genau so viele Menschen zum diesjährigen Formel-1-Wochenende am Nürburgring, wie sich die Veranstalter als Messlatte gelegt hatten. Dennoch ist die langfristige Zukunft des Grand Prix' von Europa aufgrund der Expansion der Königsklasse des Motorsports nicht hundertprozentig gesichert. Walter Kafitz, Geschäftsführer der 'Nürburgring GmbH', sprach mit 'F1Total.com' über Gegenwart und Zukunft der traditionsreichen Rennstrecke in der Eifel.

Titel-Bild zur News: Walter Kafitz

Walter Kafitz ist seit vielen Jahren Geschäftsführer der 'Nürburgring GmbH'

Frage: "Herr Kafitz, die offizielle Zahl für das Formel-1-Wochenende am Nürburgring lag dieses Jahr bei 301.000 Zuschauern, nicht wahr?"
Walter Kafitz: "Das ist korrekt, ja."#w1#

Kafitz zufrieden mit diesjährigen Zuschauerzahlen

Frage: "Die 300.000er Schallmauer wurde also knapp durchbrochen. Sind Sie damit zufrieden?"
Kafitz: "Jawohl, wir sind zufrieden."

"Formel 1 ist als Solitärmaßnahme betrachtet keine Veranstaltung zum Geldverdienen." Walter Kafitz

Frage: "Was bedeutet das denn umgelegt auf tatsächliche Geschäftszahlen? Sprich: Ist der Break-Even gelungen?"
Kafitz: "Interne Zahlen geben wir nicht heraus, aber nach wie vor gilt: Formel 1 ist als Solitärmaßnahme betrachtet keine Veranstaltung zum Geldverdienen. Es dient in erster Linie der Region und dem Image des Nürburgrings, dass hier jedes Jahr die Weltmeisterschaft gastiert."

Frage: "Kann man den wirtschaftlichen Nutzen für die Region in etwa beziffern?"
Kafitz: "Ja. Wir wissen aufgrund von Marktforschungsdaten, dass 60 Millionen Euro Umsatz in der Region generiert werden, wovon zehn Millionen Euro als Nettowertschöpfung, also als volkswirtschaftlicher Gewinn, hängen bleiben."

Frage: "Was sind von diesen 60 Millionen Euro neben Hotelbuchungen und der Gastronomie die entscheidendsten Posten?"
Kafitz: "Tanken, im weitesten Sinne Dienstleistungen aller Art, Handwerker, Mittelbetriebe und so weiter."

Frage: "Rennstrecken dieser Größe werden vom Staat subventioniert, der dafür aber einen Return of Investment schöpft. Würden Sie sagen, dass die Formel 1 für den deutschen Steuerzahler eine lohnende Angelegenheit ist?"
Kafitz: "Auf jeden Fall. Man muss nur schauen, wie viel Mehrwertsteuer da generiert wird. Die Formel 1 ist sowohl für das Land als auch für den Bund eine positive Veranstaltung."

Frage: "2002 wurde am Nürburgring die Mercedes-Arena neu errichtet, dieses Jahr fand bei Ihnen die Weltpremiere des 'BMW Sauber F1 Team Pit Lane Parks' statt. Gibt es denn Überlegungen, solche Attraktionen in Zusammenarbeit mit den Teams vermehrt zu initiieren? Dadurch wird das Budget des Veranstalters ja nicht belastet..."
Kafitz: "Der 'Pit Lane Park' ist eine Wanderveranstaltung von BMW, die auf sechs verschiedenen Grands Prix aufgebaut wird."

'BMW Sauber F1 Team Pit Lane Park' sehr beliebt

Frage: "Aber für den Veranstalter ist so etwas eine feine Sache, denn Sie profitieren, ohne selbst für die Kosten aufkommen zu müssen..."
Kafitz: "Ja. Das ist eine klasse Sache, die ja auch von den Fans akzeptiert wurde. In diese Richtung wird es ja weitergehen. Das soll es nächstes Jahr wieder geben - und mit der Erlebnisregion machen wir es sogar dauerhaft."

Frage: "Gibt es Überlegungen, solche Aktionen an den Rennwochenenden noch vermehrt zu integrieren?"
Kafitz: "In diesem Sinne nicht, aber in unserer neuen Indoor-Attraktion in der Erlebniswelt wird der Bereich Formel 1 in die gleiche Richtung gehen - ein Blick hinter die Kulissen der Formel 1, wenn man so will."

"Das Ziel ist, aus dem Nürburgring ein ganzjähriges Freizeit- und Businesszentrum zu machen." Walter Kafitz

Frage: "Vielleicht können Sie unseren Lesern und den deutschen Formel-1-Fans einfach mal erklären, was sie in der Erlebnisregion erwarten wird!"
Kafitz: "Das Ziel ist, aus dem Nürburgring ein ganzjähriges Freizeit- und Businesszentrum zu machen. Es soll von Januar bis Dezember immer was los sein, 365 Tage im Jahr geöffnet. Das wollen wir eben durch eine Kombination von Freizeit- und Businessangeboten erreichen. So wird eine neue Indoor-Attraktion entstehen. Parallel zur Haupttribüne wird ein Boulevard entstehen, sozusagen eine 600 Meter lange Flaniermeile für den Besucher - mit Shops, mit Gastronomie, mit einer 4.000 Menschen umfassenden Arena, mit einer Tageshalle, mit einem weiteren Hotel, mit Autoerlebniswelten der Hersteller und Zulieferer. Auf der anderen Seite der Bundesstraße entsteht ein Themendorf, thematisiert als Motorsportdorf."

Frage: "Das Gesamtvolumen dieses Projekts liegt bei Kosten von ungefähr 200 Millionen Euro, richtig?"
Kafitz: "Ganz genau."

Finanzierung der Erlebnisregion soll auf vielen Beinen stehen

Frage: "Von wem wird die Finanzierung getragen? Ist sie überhaupt schon hundertprozentig gesichert?"
Kafitz: "Wir sind gerade dabei. Die Finanzierung wird sich aus mehreren Bereichen - aus privaten Financiers, der 'Nürburgring GmbH' und hoffentlich auch Sponsorenbeiträgen - zusammensetzen."

Frage: "Wie sieht die Aufschlüsselung in etwa aus?"
Kafitz: "Das kann ich leider nicht sagen."

Hermann Tilke

Hermann Tilke hat die Pläne für die Erlebnisregion am Nürburgring entworfen Zoom

Frage: "Projektleiter ist Hermann Tilke. Kommt man an ihm und seinem Büro bei solchen Projekten überhaupt noch vorbei? Gibt es vielleicht auch eine Anweisung oder Empfehlung von Bernie Ecclestone, mit ihm zusammenzuarbeiten?"
Kafitz: "Erstens ist Herr Tilke mit seinem Büro nicht der Projektleiter, sondern Generalplaner, zweitens hat er sich im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung durchgesetzt - an der Ausschreibung haben über 60 Architekturbüros teilgenommen -, und drittens hat das mit der Formel 1 und Bernie Ecclestone überhaupt nichts zu tun."

Frage: "Wir bekommen immer wieder Zuschriften von Lesern, die sich über die hohen Eintrittspreise beklagen. Das ist in Europa noch weniger ein Problem als etwa in Malaysia, wo das Lohnniveau niedriger ist. Sie werden darauf sicher auch angesprochen. Was entgegnen Sie auf solche Beschwerden als Veranstalter?"
Kafitz: "Das kann mit Sicherheit nicht am Nürburgring gewesen sein, denn bei uns ist das Gegenteil der Fall: Eine Wochenendkarte ab 60 Euro für den Grand Prix - 20 Euro für den Jugendlichen - kann sich im Prinzip jeder leisten. Da hat sich die Welt am Nürburgring seit zwei Jahren wirklich geändert."

Frage: "Am Campingplatz sind uns Fans über den Weg gelaufen, die nur der Atmosphäre wegen da waren, sich aber keine Eintrittskarten kaufen wollten. Kann man beziffern, wie viele das so machen?"
Kafitz: "Das können nur wenige gewesen sein."

Frage: "Sie halten das für Einzelfälle?"
Kafitz: "Das sind Einzelfälle, ja."

'Nürburgring GmbH' ist wirtschaftlich gesehen gesund

"Wir sind ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen mit einem Eigenkapital von deutlich über 30 Millionen Euro." Walter Kafitz

Frage: "Die Veranstalter haben es heutzutage nicht mehr leicht, einige haben auch große finanzielle Probleme. Wie geht es - in ein paar Sätzen formuliert - der 'Nürburgring GmbH'?"
Kafitz: "Der 'Nürburgring GmbH' geht es gut. Wir sind ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen mit einem Eigenkapital von deutlich über 30 Millionen Euro."

Frage: "Man hört, dass die Veranstaltungsgebühren in den Verträgen mit Bernie Ecclestone jährlich ansteigen. Mir ist klar, dass Sie mir keine Zahlen nennen werden, aber können Sie bestätigen, dass es sich um keine statischen Verträge handelt?"
Kafitz: "Kein Kommentar."

Frage: "Wie würden Sie denn Bernie Ecclestone als Geschäftsmann beschreiben? Ist er tatsächlich der knallharte Verhandler, der am Ende immer als großer Sieger dasteht?"
Kafitz: "Wenn wir an einem Seil ziehen, hat er natürlich das längere Ende in der Hand. Rein marktwirtschaftlich gesehen ist die Nachfrage größer als das Angebot, also ist er da in der besseren Position. Er ist ein umgänglicher und zuverlässiger Verhandlungspartner, der aber sehr genaue Vorstellungen hat."

Frage: "Seit einiger Zeit steht diese Rotationsidee mit Hockenheim im Raum. Hat er die Ihnen gegenüber schon einmal konkret angesprochen - oder umgekehrt?"
Kafitz: "Er hat sich ja schon öffentlich in die Richtung geäußert, dass er das unterstützt."

Frage: "Wie stehen Sie zu dieser Idee?"
Kafitz: "Ich habe es auch immer wieder betont: Mein Ziel ist die langfristige Sicherung der Formel 1 am Nürburgring. Ob das jetzt mit jährlichen Verträgen gelingt oder mit einem Wechsel zwischen Hockenheim und dem Nürburgring, das ist für mich zunächst einmal zweitrangig. Wichtig ist für mich, dass wir den Vertrag für die Formel 1 am Nürburgring über 2009 hinaus sichern können. Dem ordne ich alles unter."

Frage: "Wenn sich die Rotationsidee als wahrscheinlichere Variante herausstellt, um dieses Ziel zu erreichen, dann müssen Sie sich vermutlich mit Hockenheim arrangieren, denn ein Gerangel um den Exklusivvertrag wäre dann ja nicht förderlich, oder?"
Kafitz: "Da stimme ich Ihnen voll zu."

Kein Neid auf Rennstrecken wie China oder Bahrain

"Neid zu haben, erleichtert meine Lage nicht." Walter Kafitz

Frage: "Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, dass Sie inzwischen nicht mehr gegen andere Veranstalter, sondern gegen Staaten antreten - zum Beispiel China oder Bahrain. Sind Sie manchmal neidisch auf die Kollegen, die dort aus dem Vollen schöpfen können?"
Kafitz: "Das bringt ja nichts, weil meine Position dadurch nicht einfacher wird. Ich muss mir überlegen, wie ich mit dieser Situation zurechtkomme. Deswegen bin ich Geschäftsführer und dafür werde ich bezahlt. Neid zu haben, erleichtert meine Lage nicht, daher verschwende ich für solche Gefühle keine Zeit."

Frage: "Als Purist blutet einem angesichts der Abwanderung der Formel 1 aus Europa das Herz. Sehen Sie es auch so, dass die Formel 1 mit diesen neuen und modernen Rennstrecken ein bisschen von ihrem Charme verliert? Die Frage richtet sich weniger an den Geschäftsführer der 'Nürburgring GmbH' als vielmehr an Wolfgang Kafitz als Privatperson..."
Kafitz: "Ich sehe das mal als Marketingmann: Man muss das meines Erachtens - das ist meine Empfehlung - langfristig sehen. Ich verstehe, dass eine Weltmeisterschaft auf der ganzen Welt ausgetragen werden soll, also auf jeden Fall auf allen Erdteilen."

"Man muss aber schon berücksichtigen, wo die Wurzeln der Formel 1 und des Motorsports liegen, wo die Fans sind - und das ist eben Europa. Man kann nicht auf Dauer diesen Sport als Fernsehserie übertragen, wenn nicht auch an den Rennstrecken entsprechend viele Menschen sind. Entweder müsste man dann nämlich die leeren Ränge zeigen oder die Kamera so dicht am Auto haben, dass es langweilig wie ein Videospiel wird."

Frage: "Wie sehen Sie denn die Ausgewogenheit zwischen Europa und dem Rest der Welt im Moment? Ist da die richtige Balance gefunden?"
Kafitz: "Ohne dass ich informiert bin: Da sind sicher noch Expansionsmöglichkeiten da, wenn ich an Mittelamerika, Osteuropa, Afrika und insbesondere Südafrika denke. Ich befürchte, dass dieser Zug noch nicht vorbei ist."

Alle rätseln: Wie wird sich der Schumacher-Rücktritt auswirken?

Frage: "Ein Thema an dem man nicht vorbeikommt, ist die Zukunft von Michael Schumacher. Sie haben sich ja bereits dahingehend geäußert, dass sie keinen Einbruch wie damals im Tennis erwarten, aber Sie bereiten sich sicher mit Studien entsprechend vor. Wie viele Zuschauer würden denn ohne Michael Schumacher an vier Tagen an den Nürburgring kommen?"
Kafitz: "Ich habe keine Ahnung, schließlich bin ich kein Hellseher. Ich weiß nur, dass es Auswirkungen haben wird, wenn ich an all die vielen Fans mit Schumacher-Mützen und -T-Shirts denke. Letztendlich ist die Formel 1 aber selbst eine Marke. Die Menschen - die meisten Menschen - kommen in erster Linie wegen der Formel 1, wegen des Motorsports. In zweiter Linie kommen viele wegen Michael Schumacher."

Michael Schumacher

Die große Frage: Wie viele Fans würden ohne Michael Schumacher kommen? Zoom

"Deswegen sage ich: Es wird sich auswirken, aber nicht so stark wie im Tennis. Wie stark es sich auswirken wird - irgendwann muss er ja aufhören -, kann man jetzt noch nicht sagen. Ich hoffe nur, dass andere Rennfahrer in seine Fußstapfen treten können, wenn er noch ein paar Jahre weiterfährt. Insbesondere denke ich da an Nico Rosberg. Vielleicht wären dann die Auswirkungen nicht so groß - siehe DTM: Der Ausstieg von Opel hat sich auch nicht so gravierend ausgewirkt. Die Sympathien können sich dann auf andere verlagern."

Frage: "Bereiten Sie sich denn mit Studien und dergleichen auf die Zeit nach Michael Schumacher vor, damit beziffert werden kann, womit zu rechnen ist?"
Kafitz: "Die Frage wäre ja: Höre ich dann damit auf, die Formel 1 zu veranstalten? Da sich diese Frage nicht stellt, brauche ich auch solche Studien nicht durchzuführen, denn die Formel 1 ist eine Marke - die größte Marke im Motorsport -, die am Nürburgring stattfinden muss. Dafür arbeite und kämpfe ich. Ich muss mir über andere Dinge Gedanken machen, falls es so eintreten sollte: Welche Geschäfte kann ich generieren, die das vielleicht ausgleichen werden? Stichwort: Erlebnisregion Nürburgring."

Frage: "Letzte Frage: Wer wird Ihrer Meinung nach in diesem Jahr Formel-1-Weltmeister?"
Kafitz: "Ich hoffe Michael Schumacher - und befürchte Alonso..."