Interview: Eine Wahlempfehlung für Jean Todt
Ari Vatanen, 2009 Gegenkandidat von Jean Todt um das Amt des FIA-Präsidenten, hält nun ein flammendes Plädoyer für die Fortsetzung von dessen Präsidentschaft
(Motorsport-Total.com) - Vor vier Jahren hat sich Ari Vatanen der Wahl für das Amt des FIA-Präsidenten gestellt, weil er der Ära Max Mosley ein Ende setzen wollte. Doch Gegner des ehemaligen Rallye-Weltmeisters war am Ende nicht Mosley, sondern Jean Todt. Am 23. Oktober 2009 gewann Todt die Wahl mit 135:49 Stimmen - möglicherweise auch, weil Todt von Mosley unterstützt wurde.
© LAT
Ari Vatanen freut sich über die gute Arbeit, die Jean Todt geleistet hat Zoom
Vier Jahre später sind die beiden Gegner von damals versöhnt. Todt hat keine perfekte, aber eine weitgehend skandalfreie erste Amtsperiode hingelegt, hat sich mit Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone auf einen neuen Vertrag geeinigt, der das frühere Concorde-Agreement ersetzt. Auch bei Skandalen in der Formel 1 wurde stets mit Augenmaß gehandelt.
Und, was viele vergessen: Die wichtigsten Reformen hat der einstige Ferrari-Teamchef abseits des Motorsports gesetzt, mit seinen Programmen für eine verbesserte Verkehrssicherheit. Darüber und über vieles mehr spricht Vatanen im Interview mit 'Motorsport-Total.com'.
Keine Eifersucht auf den Amtsinhaber
Frage: "Herr Vatanen, wie bewerten Sie die Amtsperiode Jean Todts und sind Sie froh, nicht auf seinem Stuhl zu sitzen?"
Ari Vatanen: "Ich sehe, wie viele Stunden Arbeit Jean investiert. Er hat keine Zeit mehr für irgendetwas anderes in seinem Leben, also bin ich in gewisser Hinsicht froh und erleichtert. Ich bin erleichtert, aber auch nicht überrascht. Die Angst war, weil er so ein Nahverhältnis zu Max hatte, dass er die vorangegangene Politik fortführen würde, und die war manchmal ziemlich turbulent. Wir haben das schon fast vergessen, weil es jetzt vier Jahre lang friedlich war, ohne Konflikte und Kriege."
"Jean und Max hatten teilweise eine sehr enge Beziehung, aber tatsächlich hat Jean sein Ding durchgezogen. Jean ist es gelungen, Max' - der auch viel Gutes geleistet hat - kontroverse Seite zu begraben. Er war wie versprochen konstruktiv, ohne Konflikte oder große Attacken. Ich finde, er hat etwas aufgebaut. Aber es dauert länger als vier Jahre, das zu erreichen, und man kann Jean die Chance nicht verwehren, auf sein Fundament die nächsten Stockwerke zu erbauen. Nun etwas zu ändern, würde Turbulenzen verursachen und die Balance gefährden, es wäre nicht im Interesse der FIA oder ihrer Mitglieder."
© LAT
Ari Vatanen am vergangenen Sonntag bei den Autosport-Awards in London Zoom
Frage: "Warum unternehmen Sie diese Kehrtwende? Sie unterstützen den Mann, der Sie geschlagen hat."
Vatanen: "Klären wir erst einmal, was das war. Ich wollte eine Chance nutzen, ich war nicht darauf aus, jemanden zu stürzen. Max Mosley war dabei, seinen Hut zu nehmen, aber als ich zur Wahl stand, dachte ich zu dieser Zeit, ich würde das gegen Max Mosley tun. Ich war kaum ein paar Wochen Kandidat, als Max nach dem Silverstone-Grand-Prix vor vier Jahren sagte: 'Ich gebe nun meinen Platz auf und ich will ihn an Jean weiterreichen.'"
"Es wäre natürlich sinnvoll gewesen, dann eine Kooperation einzugehen und sich mit Jean zu verbünden. Wir lagen im Rennen zu weit auseinander, um das Ruder herumzureißen. Am Ende stand ich im gleichen Wahlkampf einem langjährigen Freund gegenüber. Natürlich gab es teilweise Spannungen zwischen Jean und mir. Darum geht es in der Demokratie, darum geht es in Wahlkämpfen. Ich hatte zuvor drei wichtige mitgemacht, das war der vierte. Ich war dreimal Kandidat für das EU-Parlament, das war also der vierte Wahlkampf dieser Art."
"Für Jean war es das erste Mal, dass er Teil so einer Wahl war. Da war es für ihn vielleicht ein größerer Schock als für mich selbst. Ich weiß, dass man - sobald die Wahl vorbei ist und die Wunden verheilt sind - zusammenarbeitet. Jean war in der Vergangenheit bei allem, was er getan hat, so gewissenhaft - ob es nun bei Peugeot, bei Ferrari oder irgendwo anders war. Er hat im Stillen weitergearbeitet in einer verständnisvollen sowie anleitenden Art und Weise, hat andere Leute in Führungspositionen gebracht."
FIA wichtiger als jeder persönliche Egotrip
"Ich messe Leute an ihren Erfolgen und natürlich ist das, was zählt, der Nutzen für die FIA. Das Interesse der FIA zählt, keine politischen Spielchen oder kein persönlicher Egotrip. Es ist klar, dass ich Jean unterstützen werde, weil er es verdient. Und die FIA verdient es, ihn vier weitere Jahre zu haben. Was danach passiert, werden wir sehen, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist es die mit Abstand konstruktivste Lösung."
Frage: "Haben Sie es in Erwägung gezogen, wieder zu kandidieren?"
Vatanen: "Nein, überhaupt nicht. Gar nicht. Wie ich schon sagte, beim vergangenen Mal gab es eine Chance, als Max sich zurückgezogen hat. Aber jetzt? Es bräuchte einen guten Grund dafür, den Amtsinhaber abzulösen. Manchmal muss der Amtsinhaber aus dem Amt geworfen werden, aber diesmal überhaupt nicht, weil Jean bewiesen hat, dass er einen guten Job erledigt und wir uns im Interesse der FIA verbünden müssen. Ich hoffe, ich selbst kann da eine Rolle spielen."
© xpb.cc
1981 wurde der Finne Ari Vatanen auf Ford Escort Rallye-Weltmeister Zoom
Frage: "Und wie ist es in Zukunft? Ziehen Sie es in Erwägung"
Vatanen: "Abwarten. Ich habe es immer in Erwägung gezogen - wenn es ein Vakuum oder ein natürliches Vakuum gab, es darf nicht durchgedrückt oder künstlich sein. Es muss das fehlende Teil im Puzzle sein. Und das muss man abwarten. Ich kann das Leben nicht bestimmen, also werden wir sehen, was sich ergibt. Was es jetzt zu tun gilt, ist, die FIA weiter zu stärken und das Gebäude weiter zu bauen."
Frage: "Hat Jean Todt Ihnen einen Posten angeboten?"
Vatanen: "Nein, nichts in der ganzen Zeit. Ich war noch nie dafür, meine Unterstützung im Gegenzug für etwas zu leisten. Ich bin glücklich, dass unser persönliches Verhältnis wieder normal ist, weil das Leben viel zu kurz ist, um aus nebensächlichen Gründen ein gespanntes Verhältnis zu pflegen. Wir haben Interessen, die sehr viel größer sind als wir, und wir können beide zum Wohlergehen der FIA beitragen. Das ist es, was zählt."
Frage: "Sie haben als einer der Vertrauten von David Ward gearbeitet, als er Chef der FIA-Stiftung war."
Vatanen: "Ja, ich denke, das ist so ungefähr zehn Jahre her. David hat seine Qualitäten als Manager einer Organisation dieser Art. Ich bin aber überrascht, dass er so in die Offensive gegangen ist und so eine Wendung im Vergleich zu dem vollzogen hat, was er noch vor vier Jahren gesagt hat. Vielleicht war er Teil eines größeren Plans, ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht, was hinter Ward steckt und wer. Steckte Max hinter Davids Plan? Ich weiß es nicht. Natürlich kommt einem dieser Gedanke."
"Seine scharfe Attacke hat viele Fragen aufgeworfen, offensichtlich bei jedem. Ohne dass das jetzt irgendwie persönlich wäre, aber es wirft die Frage auf, wieso jemand, der Jean vor vier Jahren unterstützt hat, ihn jetzt angreift, wenn er viele seiner Reformen umgesetzt hat. Wir sollten daran denken, dass die FIA eine große Organisation ist. Sie ist nicht wie ein Team von Ferrari oder Peugeot, wo man die Mitglieder handverlesen kann. Es gibt viele Leute, die man nicht auswählen kann, man sucht sich nicht alle Teammitglieder aus. Es sind diejenigen, die schon vorher da waren."
Vatanen versteht Angriffe von Ward auf Todt nicht
"Viele der FIA-Mitglieder wurden auch auf diese oder die andere Art gewählt, und plötzlich stehst du an der Spitze. Es dauert also sehr lange, bis die Wahl ihre Bedeutung ausstrahlt. Trotzdem hat es Jean es geschafft, in ruhigem Fahrwasser zu bleiben und die richtige Richtung anzusteuern, die ich und mein Team vor vier Jahren vorgeschlagen haben. Jetzt zu sehen, dass David ihn unablässig angreift, schafft nicht die Atmosphäre und nicht die Denkweise, die wir in den kommenden Jahren brauchen. Sicherlich ist der Schuss für David leider nach hinten losgegangen."
Frage: "Waren Sie von dem Ansatz, den er gewählt hat, überrascht?"
Vatanen: "Ja, ich war überrascht. Natürlich lässt sich nicht behaupten, dass alles, was David gesagt hat, falsch gewesen wäre. Überhaupt nicht. Aber die FIA ist ein so großer Kahn, dass er sich nicht so schnell manövrieren lässt. Auf eine Art und Weise ist seine Kritik also etwas, von dem er selbst weiß, dass es sich nicht in der ihm gegebenen Zeit realisieren ließe. Also braucht es mehr Zeit für eine so gründliche Überholung der FIA."
© xpb.cc
Sein Beifahrer auf dem Weg zum WM-Titel war übrigens David Richards Zoom
"Seine unermüdlichen Anschuldigungen sind nicht konstruktiv. Ich bin überrascht, dass David, der ein besonnener Mann in der Welt der Politik ist, trotz seines politischen Hintergrundes vergessen hat, dass es keine Regierung-Opposition-Situation ist wie bei einer Parlamentswahl. Wir sind Teil einer großen, Autos liebenden Familie, und die Strategie, für die sich David entschieden hat, ist eine Spaltung. Als solche war sie für ihn ein Schuss, der nach hinten losgegangen ist."
Frage: "Die Wahlanforderungen sind nun weniger streng als zu Zeiten Ihrer Kandidatur. Was wissen Sie darüber?"
Vatanen: "Ich würde sagen, es sollte auf lange Sicht weiter gelockert werden, um es mehr Kandidaten zu ermöglichen, sich zur Wahl zu stellen. Diese Art Regierung, die es braucht, um zu bestehen, sollte sehr viel kleiner sein. Das trifft nicht nur auf die FIA zu, sondern auf die meisten Sportverbände. Die Sportverbände müssen das allgemein machen, zum Beispiel das Internationale Olympische Komitee und so weiter."
"Sie müssen ihre Bestimmung finden, um sich auszurichten und in Einklang mit dem neuen Geist in der internationalen Politik zu bringen. Das braucht Zeit und ich weise darauf hin, dass ich keine Probleme hatte, eine sehr viel größere Regierung zu formen, als ich vor vier Jahren Kandidat war. Ich habe es geschafft. Jetzt sind die Hürden niedriger, aber ja, es stimmt, dass in vielleicht vier, vielleicht in acht Jahren noch mehr in diese Richtung gehen sollte. Lassen Sie uns hoffen, dass die Hürden schon in vier Jahren niedriger sind und weniger oder weniger strenge Anforderungen zu erfüllen sind als jetzt."
Todt: FIA in vielen Punkten verbessert
Frage: "Was sehen Sie als Jean Todts größte Verdienste an?"
Vatanen: "Jean hat es geschafft, diese enorm große FIA überall anzupacken. Natürlich hoffen wir alle, auch Jean, dass die Rallye-Weltmeisterschaft (WRC, Anm. d. Red.) mit ihrem neuen Promoter wieder in die Spur findet. Das hat seine Zeit gedauert. Jean hat das Thema Sicherheit im Straßenverkehr auf die Tagesordnung gesetzt. Wir wissen, dass mehr als eine Million Leute auf Straßen rund um den Globus ums Leben kommen. Das zu übersehen wäre großzügig. Es wird sein Vermächtnis sein."
© LAT
Ari Vatanen hat politische Erfahrung, war Abgeordneter im EU-Parlament Zoom
Frage: "Die Konzentration galt mehr der Automobilität und der Sicherheit im Straßenverkehr als dem Motorsport?"
Vatanen: "Dieses kleine Wörtchen 'wenn', 'wenn' und 'wenn'. Was für mich zählt, ist, dass ich in meinem Leben bewiesen habe, dass das Retten oder Erhalten eines Menschenlebens mir persönlich am Herzen liegt. Ich habe meinen eigenen Vater bei einem Autounfall verloren und ich saß mit ihm im Auto, meine ganze Familie. Ich habe viele meiner Freunde zu Grabe getragen. Ich war immer schon ein starker Anwalt. Das ist etwas, was sich nicht verhandeln lässt. Der Wert eines Menschenlebens ist nicht verhandelbar."
"Natürlich kann die FIA eine gewichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, Menschen, die Medien, die Regierungen - und ganz speziell die in den Entwicklungsländern - wachzurütteln. Dort könnten mit winzigen Verbesserungen so enorm viele Menschenleben gerettet werden. Und wenn das geht... Natürlich sind die Mittel begrenzt. Erst rettet man Menschenleben, dann kümmert man sich um das Sportliche. Aber gleichzeitig müssen wir den Rallyesport wieder in die Spur bringen."
Frage: "Haben Sie darüber nachgedacht, Jean Ihre Hilfe anzubieten?"
Vatanen: "Er weiß, wozu ich in der Lage bin und ich bin mir sicher, dass wir zusammenfinden (lacht; Anm. d. Red.). Das ist meine Intention. Ich bin mir sicher, dass wir früher oder später auf den gleichen Nenner kommen."
Frage: "Vielleicht sehen wir Sie ja 2017 kandidieren."
Vatanen: "Bis dahin fließt noch viel Wasser den Bach runter (lacht; Anm. d. Red.)."