Horner: "Ich würde Sebastian noch nicht abschreiben"
Red-Bull-Teamchef Christian Horner im Interview über das Rennen in Singapur, die verbliebene Hoffnung und das Motto für die restlichen Rennen
(Motorsport-Total.com) - Beim Nachtrennen von Singapur hätte Red Bull seinen Konkurrenten von Brawn viele Punkte wegnehmen können, doch wieder einmal sollte es nicht sein: Sebastian Vettel kam nach einer Durchfahrtsstrafe und einem kleineren Ausritt auf dem vierten Rang ins Ziel, Mark Webber schied mit Bremsdefekt schon vorzeitig aus. Im Interview spricht Red Bulls Teamchef Christian Horner über den Grand Prix von Singapur und dessen Bedeutung im Hinblick auf die Entscheidung in der WM.
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Mehr war möglich in Singapur: Christian Horner bedauert die geringe Ausbeute
Frage: "Christian, waren die Ergebnisse von Singapur eine Enttäuschung?"
Christian Horner: "Wir sind natürlich enttäuscht darüber, nur einen vierten Rang geholt zu haben. Unser Rennen wurde schon beeinträchtigt, als in der Qualifikation die Roten Flaggen gezeigt wurden. Sebastian war auf einer verblüffenden Runde und hätte recht einfach auf Pole fahren können. Wir hatten eine sehr aggressive Strategie ausgewählt."#w1#
"Leider musste er von der schmutzigen Seite der Strecke losfahren. Letztendlich verloren er und Mark jeweils eine Position an die neben ihnen startenden Autos von Rosberg and Fernando. Der Zwischenfall mit Mark und Fernando war frustrierend, denn das sah nach einem Rennzwischenfall aus - Fernando schoss ebenfalls über den Kerb hinaus. Wir dachten da spontan an Kimi in der La Source von Spa. Wir fanden, dass die Strafe dafür etwas hart ausfiel."
"Sebastians Rennen und seine Siegchancen waren schließlich dahin, als er mit der Durchfahrtsstrafe belegt wurde. Er fuhr auch noch über die Kerbs und beschädigte sich den Diffusor, dennoch waren seine Rundenzeiten bemerkenswert. Er war unheimlich schnell. Es war eine Erholung, auf dem vierten Rang ins Ziel zu kommen. Mark hatte Pech. Wir vermuten ein Bremsversagen. Das hat seinen WM-Hoffnungen ein Ende gesetzt."
Diverse Zwischenfälle kosten Punkte
Frage: "Gab es diesbezüglich eine Warnung? Beim Boxenstopp habt ihr euch die Bremsanlage schließlich sehr genau angesehen..."
Horner: "Wir konnten feststellen, dass die Temperaturen nach oben gingen. Wir dachten, dass es in der Luftzuführung der Bremsanlage vielleicht etwas Schmutz angesammelt hätte. Der Chefingenieur untersuchte daraufhin die Bremsscheibe visuell. Wir haben Mark zwei Runden vor seinem geplanten Tankstopp hereingeholt, um einen Blick darauf zu werfen."
"Es war augenscheinlich okay und der Lufteinlass wurde gesäubert. Der Wagen nahm das Rennen wieder auf, doch die Temperaturen kletterten weiterhin stark nach oben. Letztendlich fällten wir die Entscheidung, ihn aus dem Rennen zu nehmen. Leider gab es dann offensichtlich ein Bremsversagen in Kurve eins."
Frage: "Wie war das mit Sebastian und dem Überschreiten der Geschwindigkeit in der Boxengasse?"
Horner: "Da sind wir uns nicht ganz sicher und müssen uns erst die Daten anschauen, um diese Sache zu verstehen. Ich habe die Daten noch nicht gesehen und kann daher nicht sagen, ob es auf der Anfahrt oder auf dem Rückweg ins Rennen geschehen ist."
Frage: "War es ein Fahrfehler?"
Horner: "Ich kenne nicht alle Fakten, also kann ich das nur schwer beurteilen. Theoretisch kann es ja nur auf der Anfahrt oder auf dem Rückweg passiert sein. Wir müssen uns alle Informationen dazu ansehen."
Zufriedenes Saisonfazit bei Horner
Frage: "Ihr hattet hier eine gute Chance im Hinblick auf den WM-Titel. Ist diese angesichts des 25 Punkte messenden Rückstandes nun dahin?"
Horner: "Naja, wir haben ja schon davor gesagt, dass wir theoretisch jedes Rennen gewinnen müssten, wobei Jenson meistens ausfallen sollte. Die Realität ist, dass wir vor einer ungeheuren Aufgabe stehen, doch rein mathematisch haben wir noch eine Chance. Wir werden an den drei noch ausstehenden Rennwochenenden weiter attackieren."
"Wir wollen möglichst alle drei Grands Prix gewinnen. Wir haben an diesem Wochenende eine großartige Geschwindigkeit gezeigt - und das auf einem Kurs, der unserem Auto theoretisch nicht besonders schmecken sollte. Beide Fahrer konnten im Rennen eine gute Geschwindigkeit hinlegen. Nun freuen wir uns schon auf Japan."
Frage: "Die Titelentscheidung scheint jetzt eine interne Angelegenheit von Brawn zu werden. Auf wen würdest du dabei dein Geld setzen?"
Horner: "Das kann man nur unmöglich vorhersagen. In dieser Meisterschaft gibt es im Augenblick so viele Hoch- und Tiefpunkte. Wer weiß? Aus diesem Grund würde ich auch Sebastian noch nicht abschreiben."
Frage: "Bedauerst du rückblickend die Defekte und Zwischenfälle in dieser Saison, die euch einige Punkte gekostet haben? Diese Zähler hätten den Unterschied ausmachen können..."
Horner: "Wenn man die Saison als Ganzes sieht, dann gab es da durchaus Möglichkeiten, die wir verloren haben. Wir hatten bislang aber ein großartiges Jahr. Wir standen schon zwölf Mal auf dem Podium, hatten drei Siege, vier Pole-Positions und haben bislang 109 Punkte eingefahren."
"Das Chassis war konstant das beste im Feld - auf allen Streckentypen, die wir besucht haben. Zu Saisonbeginn gab es eine Kontroverse in Bezug auf den Doppeldiffusor, die erst geklärt werden musste. Aus diesem Grund mussten wir einen Großteil der Heckpartie unseres Autos noch einmal überarbeiten."
"Ich denke aber, dass das Team in diesem Jahr einen brillanten Job gemacht hat. Das Team kann zurecht stolz darauf sein, was es in dieser Saison bislang erzielt hat. Wir haben noch drei Rennen vor uns und damit die Chance, drei Siege einzufahren. Wir werden bei jedem Grand Prix attackieren."
Die Geschwindigkeit schürt Zuversicht
Frage: "Ihr habt als Team erstmals um den WM-Titel gekämpft. Was habt ihr daraus gelernt?"
Horner: "Einiges. Wir hatten in Singapur beispielsweise ein Auto, das möglicherweise schnell genug war, um damit das Rennen zu gewinnen. Das Glück stand aber eben nicht immer auf unserer Seite. Jenson hat seine Runden sehr gut abgespult und manchmal brauchst du eben das Quäntchen Glück."
"Meiner Meinung nach fahren unsere beiden Piloten ungeheuer gut. Sebastian wird immer besser und besser. Das Team arbeitet ausgezeichnet zusammen. Wir haben hier in Singapur ein weiteres gutes Upgrade eingeführt. Wir dürfen also sicherlich mit erhobenem Kopf nach Japan fahren. Wenn jemand vor zwölf Monaten gesagt hätte, dass wir uns zu diesem Zeitpunkt noch im Titelkampf befinden würden, dann hätte man das wohl kaum geglaubt."
"Wir konzentrieren uns jetzt auf die drei noch ausstehenden Rennen und geben einfach Vollgas - wie schon in Singapur. Es hätte sich sehr leicht auszahlen können. Leider hat uns die Durchfahrtsstrafe sämtliche Siegchancen genommen. Doch selbst mit kaputtem Diffusor konnte Sebastian auf den weichen Reifen eine exzellente Geschwindigkeit vorlegen."
"Er konnte Lewis im mittleren Rennabschnitt unter Druck setzen. Was uns vermutlich am teuersten zu stehen kam, war die Rote Flagge in der Qualifikation. Für mich war das die Runde des Jahres - zumindest den Zeitunterschieden zu urteilen, die ich beobachtete. Sehr schade, dass er diese Runde nicht beenden konnte."
Frage: "Mark ist nun aus dem Titelrennen ausgeschieden. Ändert das etwas an euerer Herangehensweise für das Rennen in Japan?"
Horner: "Nein. Wir haben uns mit unseren Fahrern noch nicht über dieses Thema unterhalten. Mark ist in diesem Jahr eine tolle Saison gefahren. Er war toll unterwegs und seine Ambitionen fanden hier ein unglückliches Ende. Er ist ein großer Teamplayer und wird den bestmöglichen Job für das Team machen."
Revanche in Suzuka?
Frage: "Haben sich eure Fortschritte für Singapur bezahlt gemacht?"
Horner: "Einige unserer Entwicklungen haben sich auf diese langsamen Passagen konzentriert. Die Jungs in Milton Keyns haben wirklich sehr hart gearbeitet. Jede harte Arbeit zahlt sich aus. Es wurde nicht erwartet, dass wir die Brawn-Autos auf dieser Strecke schlagen könnten. Dennoch hatten wir hier klar das schnellere Auto."
Frage: "War das eine Überraschung für euch?"
Horner: "Wir waren hier gewiss konkurrenzfähig. Unsere Achillesfersen haben wir ja bereits besprochen. Das Positive ist, dass unsere Simulation und die Rundenzeiten prima zusammenpassen."
Frage: "Suzuka wäre ein Kandidat für einen Red-Bull-Doppelsieg..."
Horner: "Ich denke, in dieser Saison ist es nicht möglich, irgendwelche Vorhersagen anzustellen. Wir sind zufrieden mit den Upgrades, die wir in Singapur eingeführt haben. Jetzt reisen wir nach Suzuka. Die Wettervorhersage ist etwas durchwachsen. Hoffentlich ist das eine Strecke, die uns entgegen kommt."