2001: Ein Malaysia-Grand-Prix für die Ewigkeit
Pleiten, Pech und Regenchaos: Der Grand Prix von Malaysia 2001 bot alleine in den ersten fünf Runden Action, die für mindestens drei Rennen ausreichte
(Motorsport-Total.com) - "Gib der Formel 1 Regen und sie wird interessant" - diesen Spruch hat man von Experte Marc Surer am 'Sky'-Mikrofon schon mehrmals gehört. Doch am 18. März 2001 sorgte beim Grand Prix von Malaysia in Sepang nicht nur der typische nachmittägliche Monsunregen für Turbulenzen. Auch technische Pannen und verwirrte Fahrer trugen dazu bei, dass die Anfangsphase des zweiten Rennens der Formel-1-Saison 2001 eine der chaotischsten aller Zeiten war.
© LAT
Der sintflutartige Regen sorgte 2001 in der Anfangsphase für chaotische Bedingungen Zoom
Und das mit Ansage, denn schon im Warmup am Vormittag hatten die Fahrer Bekanntschaft mit einer regennassen Fahrbahn gemacht. Zum Rennstart um 15 Uhr Ortszeit ist der Sepang Internatioal Circuit allerdings wieder komplett abgetrocknet. Dunkel Wolken hängen rund um den Kurs aber unheilvoll am Himmel.
Die sportliche Ausgangslage ist vor dem Rennstart klar: Favoriten sind Ferrari und Michael Schumacher. Nachdem der amtierende Weltmeister die Saison 2001 in Australien bereits mit einem Tripple aus Pole-Position, schnellster Rennrunde und Sieg standesgemäß eröffnet hatte, steht der Kerpener auch in Malaysia auf der Pole-Position. Flankenschutz gibt ihm Teamkollege Rubens Barrichello auf Startplatz zwei, dahinter lauert als erster Ferrari-Verfolger Schumachers Bruder Ralf im Williams.
Fisichella sucht seinen Startplatz
© xpb.cc
Giancarlo Fisichella irrt in der Startaufstellung umher Zoom
Für einen weitere Deutschen scheint der Grand Prix indes schon beendet zu sein, bevor er überhaupt angefangen hat. Heinz-Harald Frentzens Jordan, den der Mönchengladbacher im Qualifying auf Startplatz neun gefahren hatte, wird in der Einführungsrunde langsamer, während der Honda-Motor ungesund klingende Geräusche von sich gibt. Sein Startplatz in Reihe fünf bleibt daraufhin leer. Doch gelaufen ist sein Rennen damit noch nicht, denn ein haarsträubender Fehler eines Kollegen ist Frentzens Glück.
Denn nachdem die (nach den Problemen von Frentzen) 21 Fahrer die Positionen in der Startaufstellung bezogen haben und alle auf das Aufleuchten der fünf Startampeln warten, rollt plötzlich der Benetton von Ginacarlo Fisichella quer über die Strecke. Daraufhin wird der Start sofort abgebrochen, aber was ist mit dem Italiener los?
Kaum zu glauben aber wahr: Fisichella hat auf einem falschen Startplatz auf der anderen Seite der Startaufstellung geparkt. Als er diesen Fehler bemerkt, versucht er seinen Benetton auf die richtige Startposition auf der von ihm aus gesehen rechten Seite der Strecke zu manövrieren, doch der Lenkeinschlag des Autos reicht zum Rangieren nicht aus.
Fisichellas Pech ist Frentzens Glück
"Wie das passieren konnte?", fragte sich nach dem Rennen nicht nur Fisichella. Der erklärte: "Ich habe mich zu sehr darauf konzentriert, das Auto richtig einzustellen und habe nur auf den Fahrer vor mir geachtet", so der Römer. Und dieses Fixieren auf den Jaguar von Luciano Burti führte Fisichella schnurstracks auf die falsche Seite der Startaufstellung.
Während der fünfminütigen Pause vor dem zweiten Startversuch nehmen sich die Honda-Ingenieure des Motors von Frentzens Auto an und erwecken das Aggregat wieder zum Leben. Kein mechanischer Defekt, sondern ein Softwarefehler hatte den Motor aus dem Takt gebracht, nach einem Neustart des Systems läuft der Honda-Motor wieder rund und Frentzens Rennteilnahme ist gesichert.
Dafür versagt nun das BMW-Aggregat im Heck des Williams von Juan-Pablo Montoya seinen Dienst, der Kolumbianer kommt beim Start der zweiten Aufwärmrunde nicht vom Fleck. Während die Kollegen ihre Reifen aufwärmen, wird Montoya unter regem Funkverkehr seiner Ingenieure in die Boxengasse zurückgeschoben. Nach hektischen Diskussionen wird entschieden: Montoya soll ins Ersatzauto wechseln, was dem nicht gerade als Fitness-Fanatiker bekannten Kolumbianer bei tropischer Hitze einen Sprint durch die Boxengasse abverlangt.
Dreher wirft Ralf Schumacher zurück
© LAT
Ralf Schumacher fällt nach seinem Dreher weit zurück Zoom
Nachdem im zweiten Anlauf alle Piloten den richtigen Startplatz finden - Irrläufer Fisichella muss sich als Verursacher des ersten Startabbruchs am Ende des Feldes anstellen -, werden die Fahrer erfolgreich in die 56 Runden entlassen. Sauber-Pilot Kimi Räikkönen kommt allerdings nur 50 Meter weit, beim Start schert die Antriebswelle seines Autos ab.
Weiter vorne geht das Drama für Williams weiter. Ralf Schumacher lässt Barrichello in der Anfahrt zur ersten Kurve im Kampf um Platz zwei zu wenig Platz. Die Folge: Kollision und ein Dreher von Schumacher, der dem Feld daraufhin hinterherhecheln muss. Nach der ersten Kurve liegen die beiden Williams damit auf den letzten Plätzen. Barrichello übersteht den Zusammenstoß ohne Folgen und reiht sich hinter Michael Schumacher auf Rang zwei ein. Dahinter folgen Jarno Trulli (Jordan), David Coulthard (McLaren), Frentzen und Jos Verstappen (Arrows), dem von Position 18 aus ein Blitzstart gelungen ist.
In Runde 2 ist dann plötzlich Feuer unter'm Dach - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Olivier Panis (BAR) dreht sich nach einem Motorschaden brennend ins Kiesbett von Kurve 6, wo Streckenposten die Flammen aber rasch mit Feuerlöschern eindämmen und der Franzose aussteigen kann. Doch in Sicherheit sind die Protagonisten noch lange nicht, denn Panis hat bei seinem Abflug Öl auf der Strecke verteilt, auf dem nicht nur Fernando Alonso (Minardi) von der Piste rutscht.
Der große Regen kommt
© LAT
Die Bedingungen waren 2001 zeitweise grenzwertig Zoom
Dieses Öl und einsetzender Regen wird in der dritten Runde den beiden Führenden zum Verhängnis. Michael Schumacher erwischen die schlechten Gripverhältnissen in Kurve 6 auf dem falschen Fuß, sein Ferrari rodelt durchs Kiesbett: "Ich sah die Leitplanke auf mich zukommen und dachte: Das war's." Barrichello ergeht es nicht viel besser, auch der Brasilianer kommt von der Strecke ab. "Ich war dicht hinter Michael, und als ich sah, dass er geradeaus fuhr, konnte ich nicht mehr reagieren. Zum Glück habe ich mich nicht gedreht, sonst hätte ich ihn getroffen", berichtete Barrichello nach dem Rennen.
Die beiden Ferrari-Fahrer können die Autos zwar wieder einfangen und auf die Strecke zurück manövrieren, doch durch die Abflüge finden sich die vorher souverän Führenden plötzlich auf den Rängen drei (Barrichello) und sieben (Schumacher) wieder. "Wir hatten Glück, dass wir nicht steckengeblieben sind und auch die Autos kaum beschädigt wurden", schnaufte Schumacher nach dem Rennen noch einmal durch. Doch das Drama hatte damit erst seinen Anfang genommen.
Denn aus dem leichten Regen wird plötzlich ein Wolkenbruch erster Güte, der binnen weniger Sekunden weite Teile der Strecke überflutet. Die Rennleitung reagiert schnell und schickt Bernd Mayländer mit dem Safety-Car auf die Strecke, doch für einige Fahrer kommt das schon zu spät. So kreiseln Jacques Villeneuve (BAR), Enrique Bernoldi (Arrows) und Nick Heidfeld (Sauber) auf Trockenreifen verzweifelt nach Haftung suchend von der Strecke.
Chaos an der Ferrari-Box
Für alle Fahrer gilt jetzt nur eines: Das Auto irgendwie an die Box bringen und Regenreifen auffassen. Doch das ist fast unmöglich, denn auf der Gegengraden steht das Wasser. Hier wäre nun ein Kapitänspatent gefragt, doch über das verfügen die beiden Führenden Jarno Trulli (Jordan) und David Coulthard (McLaren) nicht. Beim Anbremsen der letzten Kurve bricht bei beiden schlagartig das Heck aus, worauf hin sie sich im Formationsflug von der Strecke drehen.
Nicht viel besser ergeht es kurz darauf Barrichello und Montoya, doch nur der Kolumbianer strandet im Kiesbett und muss aussteigen. "Sobald ich vom Gas gegangen bin, ist der Motor aufgrund der Motorbremse ausgegangen und es hat mich herumgedreht", berichtete Montoya anschließend bei 'Premiere'. Hätte man bei diesen extremen Bedingungen das Rennen nicht abbrechen müssen? Auf dieser Frage hatten die Piloten damals eine überraschend deutlich Meinung: "Mit Trockenreifen war es unfahrbar, aber mit Regenreifen wäre es gegangen", sagt Montoya, und auch Heidfeld meinte: "Es lag an den Fahrern, die abgeflogen sind. Die haben Fehler gemacht."
Unterdessen bricht in der ebenfalls überfluteten Boxengasse Hektik aus. Schnell müssen die Regenreifen herangeschafft werden, was nicht überall gelingt. Bei Ferrari werden dabei Erinnerungen an den Nürburgring 1999 wach, denn wie seinerzeit Eddie Irvine steht nun Rubens Barrichello mit einem Dreirad aufgebockt vor der Ferrari-Box, wo die Mechaniker verzweifelt das rechte Vorderrad suchen.
Der Reifenpoker von Ferrari geht auf
© LAT
Am Ende war es wie so oft in diesen Jahren: Michael Schumacher gewinnt Zoom
Nicht weniger verzweifelt war der Mann im Cockpit. "Plötzlich sah ich, dass die Mechaniker vorne rechts einen Trockenreifen montieren wollten. Der Motor wurde zu heiß, alles wurde zu heiß und ich sah Michael hinter mir stehen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und musste mich erst einmal beruhigen", schildert Barrichello, dem die Standzeit von knapp über eine Minute wie Stunden vorkommt.
Leidtragender des Chaos ist auch Michael Schumacher, der hinter seinem Teamkollegen an die Box gekommen war und dort warten musste. Doch nicht nur Ferrari findet nicht auf Anhieb den richtigen Reifen, auch Williams sucht eine Weile nach den Pneus für Ralf Schumacher. Durch das Missgeschick der Ferrari-Truppe fallen Barrichello und Michael Schumacher auf die Positionen zehn und elf zurück, zudem sorgt ihre Reifenwahl zunächst für Fragezeichen.
Denn während fast alle Konkurrenten wegen des starken Regens auf Vollregenreifen wechseln, werden bei Barrichello und Michael Schumacher Intermediates aufgezogen. Was im ersten Moment wie eine kapitale Fehlentscheidung wirkt, erweist sich kurz darauf zumindest als mutiger Poker. Denn der Regenschauer hat die Strecke nicht komplett getroffen. Während am Anfang der Start- und Zielgeraden das Wasser auf dem Asphalt steht, ist die Bahn ein paar hundert Meter weiter komplett trocken.
Verstappen kann glänzen
© LAT
Jos Verstappen fuhr im Arrows zwischenzeitlich auf Rang zwei Zoom
Und zunächst droht den Ferrari-Piloten keine Gefahr, denn vorerst geht es hinter dem Safety-Car weiter. Dort lautet die Reihenfolge Coulthard vor Frentzen und Verstappen, dahinter folgen Mika Häkkinen (McLaren), Trulli und Jean Alesi (Prost) sowie Fisichella, Ralf Schumacher und Gaston Mazzacane (Prost). Erst dann folgen Barrichello und Michael Schumacher.
Mittlerweile hat auch der Regen aufgehört, weshalb die Rennleitung nach zehn mehr als turbulenten Runden das Rennen wieder freigibt. Nach dem Neustart zeigt sich, dass der Intermediate-Poker der beiden Ferrari-Fahrer die richtige Entscheidung war. Sofort sind Barrichello und Michael Schumacher die schnellsten Fahrer im Feld und überholen auf der schnell abtrocknenden Strecke Piloten um Piloten.
Fünf Runden nach dem Neustart ist Michael Schumacher von Position elf auf eins gefahren, Barrichello folgt ihm auf zwei. Während sich die Regenreifen ihrer Konkurrenten auflösen, fahren die Ferrari-Piloten auf und davon und werden nicht mehr gesehen. Nach einem im weiteren Verlauf geradezu langweiligen Rennen sieht im Ziel alles so aus, als hätte es das Chaos der ersten Runden nie gegeben.
Michael Schumacher gewinnt mit 23,660 Sekunden Vorsprung vor Barrichello, Dritter wird Coulthard vor Frentzen, Ralf Schumacher und Häkkinen. Doch dieses nackte Ergebnis erzählt nichts über das Drama, das sich an diesem 18. März 2001 in Sepang abgespielt hatte.