Große GTWC-Analyse: So schlug sich Valentino Rossi beim Debüt in Imola

Valentino Rossi machte beim GTWC-Debüt einen ärgerlichen Fehler, doch wie steht er zeitentechnisch da? - Die große Analyse zum GTWC-Saisonauftakt in Imola

(Motorsport-Total.com) - Natürlich wird vom Saisonauftakt der GT-World-Challenge (GTWC) Europe bei den Fans vor allem die Tatsache hängen bleiben, dass Valentino Rossi seinen Boxenplatz verfehlt hat. Viel wichtiger für den weiteren Verlauf der Saison als dieser Lapsus ist jedoch der Grundspeed. Wie hat sich die MotoGP-Legende also beim Debüt geschlagen?

Titel-Bild zur News: Frederic Vervisch, Nico Müller, Valentino Rossi

Valentino Rossi fuhr beim GTWC-Debüt beinahe auf dem Niveau von Nico Müller Zoom

Die beste Orientierung liefern wie immer die Teamkollegen - und hier hat es der "Doktor" gleich mit dem Besten zu tun, was Audi aufzubieten hat. Frederic Vervisch und Nico Müller sind gestandene Audi-Werksfahrer, gegen die Rossi im direkten Vergleich eigentlich nur schlecht aussehen kann. Oder etwa nicht?

Der Blick auf die Rundenzeiten zeigt schnell, dass Vervisch der Starperformer auf dem WRT-Audi #46 gewesen ist. Das überrascht nicht, schließlich verfügt er im Umgang mit dem Audi R8 LMS GT3 über die meiste Erfahrung. Die sechs schnellsten Runden des WRT-Audis #46 gehen auf sein Konto. Rossi ist die vierzehntbeste Runde auf dem Fahrzeug gefahren.

Schnellste gefahrene Runden der jeweiligen Fahrer im Audi #46:
1. Frederic Vervisch - 1:40.837 Minuten
7. Nico Müller - 1:41.248
14. Valentino Rossi - 1:41.525

Top 40 Prozent schnellste Runden: Rossi nur minimal hinter Müller, Vervisch klar am stärksten

Top 40 Prozent schnellste Runden: Rossi nur minimal hinter Müller, Vervisch klar am stärksten Zoom

Um die Zeiten einzuordnen: Vervischs 1:40.837 Minuten reicht in der Liste der schnellsten Runde aller Fahrzeuge des Rennens zu Platz acht.

Rossi hält mit Müller mit

Wichtiger als reiner Speed ist natürlich die Konstanz über mehrere Runden hinweg. Hier ziehen wir den klassischen Indikator heran, die 40 Prozent schnellsten Rundenzeiten. Da Vervischs Stint etwas länger gewesen ist, werden bei ihm 14 Runden herangezogen, bei Rossi und Müller jeweils zwölf.

Alle drei Fahrer hatten etwa sieben bis neun Runden Full Course Yellow beziehungsweise Safety-Car-Phasen in ihren Stints. Die Vergleichbarkeit der Rundenzeiten bleibt also erhalten, einen minimalen Vorteil hat hierbei Vervisch aufgrund seiner größeren Stintlänge.

Top 40 Prozent Sektor 1: Rossi verliert hier auf beide Teamkollegen

Top 40 Prozent Sektor 1: Rossi verliert hier auf beide Teamkollegen Zoom

Wieder zeigt sich, dass der Belgier der schnellste Fahrer auf dem Audi #46 gewesen ist. Rossi kommt jedoch bis auf eine Zehntelsekunde an die Zeiten von Nico Müller heran. Um es nochmal einzuordnen: Hier ist die Rede von einem zweimaligen DTM-Vizemeister und einem bisherigen Motorrad-Piloten, der sein erstes Autorennen auf hochprofessionellem Niveau gefahren ist.

Rossi sagte am Samstagabend vor dem Rennen, dass er noch Aufholbedarf im Mittelsektor sieht - vor allem in den Kurven Piratella bis Variante Alta. Diese Kurven liegen allerdings nicht in einem Sektor - die erste Zwischenzeit wird vor der Villeneuve-Schikane genommen, die zweite unmittelbar vor Acque Minerali, der charakteristischen Bergauf-Rechts.

Im zweiten Sektor war Rossi im Top-40-Prozent-Mittel schneller als Müller!

Im zweiten Sektor war Rossi im Top-40-Prozent-Mittel schneller als Müller! Zoom

Rossi verliert in den besten 40 Prozent gefahrener Runden im ersten Sektor, der aus der Tamburello-Schikane besteht, rund eine Zehntelsekunde auf beide Teamkollegen. Im zweiten Sektor, der die Villeneuve-Schikane, sowie die Kurven Tosa und Piratella beinhaltet, fährt er im Mittel sogar leicht schneller als Müller, während Vervisch beiden knapp eine bis eineinhalb Zehntel einschenkt.

Die meiste Zeit holt Vervisch im letzten Sektor - sowohl gegenüber Müller als auch Rossi, der seinerseits nochmal sieben Hundertstelsekunden auf Müller verliert. Rossi liegt also nicht falsch, wenn er sagt, dass Acque Minerali und Variante Alta seine Problemzonen sind. Allerdings steht er damit nicht alleine da und im Rennen war auch der erste Sektor ein Thema.

Vergleich mit weiteren Fahrern der Kategorie Silber

Wesentlich fairer ist natürlich ein Vergleich mit Fahrern, die seiner Kategorie zugeordnet sind. Im FIA-Kategorienschema (Platin-Gold-Silber-Bronze) fällt Rossi in die Silber-Kategorie, während Vervisch und Müller über Platin-Rankings verfügen.

Im dritten Sektor holt Vervisch die meiste Zeit gegenüber seinen Teamkollegen

Im dritten Sektor holt Vervisch die meiste Zeit gegenüber seinen Teamkollegen Zoom

Bei WRT gibt es sieben weitere Fahrer mit einem Silber-Rating. Einer davon - Maxime Robin - schied vorzeitig aus und wird deshalb hier nicht behandelt.

Die Silber-Kategorie sorgt immer wieder für Reibereien, denn sie gilt als eine Art "Reste-Kategorie" der FIA. Hier werden alle Fahrer einsortiert, die nicht (mehr) als klassischer Amateur durchgehen, aber auch nicht als Profi gelten.

Auch "unbeschriebene Blätter" werden von der FIA in dieser Kategorie einsortiert. So tummeln sich in dieser Kategorie junge Talente, ambitionierte Amateure und Fahrer jeden Alters, bei denen die FIA nicht wirklich weiß, wie sie eingestuft werden sollen.

Auch hier gibt es mit Thomas Neubauer einen Überperformer. Mit 1:41.302 Minuten im Durchschnitt der besten 40 Prozent der gefahrenen Runden fährt der Franzose sogar exakt auf dem Niveau von Frederic Vervisch.

Neubauer fährt seit 2019 in der GTWC Europe und vielen anderen GT3-Serien und gehört nach Ansicht nicht weniger im Fahrerlager in die Kategorie "Gold". Generell fällt der WRT-Audi #30 durch sehr schnelle Zeiten auf. Er gewann nicht durch Zufall den Silver Cup in Imola, denn auch die Teamkollegen waren stark unterwegs.

Vergleich der Fahrer mit Silber-Ranking im Team WRT, wieder Top 40 Prozent aller gefahrenen Runden

Vergleich der Fahrer mit Silber-Ranking im Team WRT, wieder Top 40 Prozent aller gefahrenen Runden Zoom

Einer von Neubauers Teamkollegen ist Benjamin Goethe, Sohn des ehemaligen WEC-Piloten Roald Goethe. Der 19-Jährige gehört zu den aufstrebenden Talenten und fuhr beim GTWC-Auftakt in 1:41.643 Minuten auf hohem Niveau (zur Erinnerung: Nico Müllers Schnitt betrug 1:41.777). Er ist seit 2019 in der GT3-Szene aktiv.

Neubauer und Goethe teilen sich den WRT-Audi #30 mit Jean-Baptiste Simmenauer, der im Rennen gut eine Zehntelsekunde schneller fuhr als Valentino Rossi. Der Franzose ist ebenfalls GTWC-Novize, kommt aber aus dem professionellen Umfeld des Porsche-Supercups, in dem er zwischen 2018 und 2021 aktiv gewesen ist.

Zwei Zehntelsekunden langsamer als Rossi fuhr im Durchschnitt Finlay Hutchison aus dem WRT-Audi #31. Der Brite ist seit 2019 im GT3-Sport aktiv und bringt es auch auf GTE-Erfahrung. Seine Teamkollegen Lewis Proctor (GT3-Novize) und Diego Menchaca (erstmals seit 2019 wieder im GT3) fallen in der Performance deutlich ab. Auch hier zeigt sich, dass Silber nicht gleich Silber ist.

Dass Valentino Rossi gleich beim ersten GTWC-Auftritt mit etablierten GT3-Fahrern mithalten kann, spricht für eine äußerst professionelle Vorbereitung auf das Unterfangen - und ein gewisses Fahrtalent auch auf vier Rädern. Mit dem Audi #30 hat er teamintern zudem eine gute Messlatte neben seinen direkten Teamkollegen.

Seine nächste Chance, sich zu beweisen, ist das Wochenende am 30. April und 1. Mai. Dann steht in Brands Hatch ein Rennen zum Sprint-Cup der GTWC Europe auf dem Programm. Sein Teamkollege ist erneut Vervisch.

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