Windkanal-Verbot: Was dafür und was dagegen spricht

Red-Bull-Teamchef Christian Horner will die Formel 1 mit einem Windkanal-Verbot revolutionieren und so die Kosten senken, doch die Idee spaltet das Fahrerlager

(Motorsport-Total.com) - Die Überraschung war groß, als Christian Horner rund um den Saisonauftakt in Melbourne plötzlich vorschlug, die Kosten in der Formel 1 über ein Windkanal-Verbot zu senken. Ausgerechnet der Red-Bull-Boss, dessen Team vier Mal in Serie wegen einer überlegenen Aerodynamik Weltmeister wurde, will die High-tech-Anlagen aus der Formel 1 verbannen? Nicht wenige dachten an einen Scherz.

Titel-Bild zur News: Christian Horner, Windkanal

Weg damit! Christian Horner spricht sich für ein Windkanal-Verbot aus Zoom

Oder tun es immer noch. "Ich glaube noch immer, das war nur ein Witz", rümpft Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff die Nase. "Die Formel 1 ist ein sehr opportunistisches Umfeld, und manchmal muss man genau darüber nachdenken, was man sagt. Ich würde das nicht so ernst nehmen."

Doch Horner meint es scheinbar wirklich ernst. "Die heilige Kuh, die viele Teams nicht anfassen wollen, ist der Windkanal", betont er erneut. "Red Bull hat eine sehr starke Aerodynamikabteilung und einen guten Windkanal, in den wir in den vergangenen Jahren viel Geld investiert haben. Wenn man sich aber anschaut, wie viel Geld der Betrieb kostet, dann müssen wir in Betracht ziehen, die Windkanäle abzuschaffen, wenn wir die Kostenfrage ernst nehmen."

Würden die Autos wieder unterschiedlicher aussehen?

Lewis Hamilton, Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Daniel Ricciardo, Daniil Kwjat

Durch die hochgezüchtete Aerodynamik ähneln sich die heutigen Boliden sehr Zoom

Horner glaubt, dass durch ein Windkanalverbot in Kombination mit einer festgelegten Rechenkapazität bei den CFD-Computer-Simulationseinrichtungen nicht nur die Kosten gesenkt werden könnten: "Wir könnten dann das Reglement in gewissen Bereichen lockern, wodurch der Erfindergeist wieder mehr in den Mittelpunkt rücken würde." Das hätte auch für den Fan seinen Reiz: "Dann würden auch die Designs der Autos wieder mehr varieren. Wenn man aber jetzt alle Autos gleich bemalen würde, dann wäre es schwierig, sie zu unterscheiden."

Sein Kredo: "Mehr technische Freiheiten beim Reglement, aber mehr Einschränkungen, was die Werkzeuge angeht." Und er steht mit seiner Meinung nicht alleine da. Der Brite hat vor allem aus den Reihen der kleineren Teams längst Unterstützer seiner Revolution gefunden.

Kein Wunder, denn Teams wie Force India besitzen nicht einmal einen eigenen Windkanal und müssen sich um viel Geld bei Anbietern wie TMG in Köln einmieten, um konkurrenzfähig zu sein.

Durch Windkanal-Verbot mehr neue Teams?

Neben Red Bull und Force India beziehen auch Toro Rosso, Lotus und Sauber gegen die Windkanäle Position. Und auch Formel-1-Boss-Bernie Ecclestone stellt klar: "Ich würde das unterstützen." Doch die Krux ist die Strategiegruppe, in der neben je sechs Stimmen von FIA und FOM die Teams Ferrari, McLaren, Mercedes, Red Bull und Williams sowie das in der Konstrukteurswertung des Vorjahres bestplatzierte weitere Team - aktuell Force India - das Sagen haben.

Um Kosten zu sparen, stieg Nick Wirth mit Virgin 2010 ohne Windkanal ein Zoom

Sie geben in Hinblick auf zukünftige Reglements die Richtung vor und sind mehrheitlich gegen ein Windkanal-Verbot. "Wir haben über diese Idee schon vor einer ganzen Weile gesprochen, aber McLaren hat gesagt, sie haben gerade in einen neuen Windkanal investiert, Ferrari auch", erzählt Mercedes-Motorsportchef Wolff.

Für Horner ist dies kein Argument: "Wir müssten sie dann halt anderweitig nutzen, wie es bereits einige Teams mit ihren zweiten Windkanälen machen." Er verweist zum Beispiel auf eine Nutzung durch die Automobilindustrie. Fernley verweist währenddessen auf einen Vorteil des Verbots: die Eintrittsschranken für potenzielle neue Formel-1-Teams würden gesenkt werden: "Eines der Hauptprobleme, wenn es um den Einstieg neuer Teams geht, sind die enormen Kosten eines Windkanal-Programms. Wir würden damit also eines der großen Hindernisse aus dem Weg räumen. Da wäre ich klar dafür."

Luftfahrt dient für Allison als Beweis: Zeit noch nicht reif

Doch es gibt auch Argumente gegen ein Windkanal-Verbot. Ferrari-Technikchef James Allison hält die Idee für "sehr dumm". Und liefert eine Erklärung für seinen Standpunkt: "CFD ist eine tolle Sache, aber kein Werkzeug, das isoliert vom Windkanal funktioniert. Wenn man es aber so verwendet, dann trickst man sich selbst aus. Man glaubt, dass man das Auto hervorragend entwickelt, wird aber nach der Enthüllung des Autos draufkommen, dass vieles davon in der Realität einfach nicht so eintritt wie geplant."

CFD-Simulation

Mit CFD-Technologie kann der Strömungsverlauf berechnet werden Zoom

Seiner Meinung nach ist die CFD-Technologie noch nicht weit genug, um auf die Überprüfung im Windkanal verzichten zu können. "Sie ermöglicht dem Windkanal, sehr effektiv eingesetzt zu werden." Selbst in der Luftfahrt, wo der Luftstrom laut Allison einfacher zu berechnen ist, kommt man nicht ohne Windkanal aus: "Bei der Landekonfiguration, wo es auch die sogenannte Dirty Air gibt, die allerdings viel weniger komplex ist als in der Formel 1, müssen immer noch Windkanäle zur Absicherung für CFD eingesetzt werden."

Außerdem stehe man laut Allison als Formel-1-Team bei den Geldgebern in der Pflicht, ihre Investitionen sinnvoll einzusetzen - ein Auto, das ausschließlich mit CFD-Technologie entwickelt wird, würde das nicht gewährleisten: "Die Sponsoren werden nicht belohnt."

Braucht die Königsklasse Windkanäle?

Und auch Mercedes-Motorsportchef Wolff hält wenig von einem Verbot: "Die Formel 1 soll doch die Königsklasse des Motorsports sein und die konkurrenzfähigsten Autos haben. Das kann nicht gehen, wenn man die aerodynamische Leistung des Fahrzeugs nicht überprüft. Windkanäle gehören zur modernen Formel 1 und zur Straßenwagen-Industrie."

Force Indias stellvertretender Teamchef Robert Ferley will dies nicht gelten lassen. "Die Formel 1 als Königsklasse des Motorsports muss die Grenzen immer wieder verschieben. Das tun wir im im CFD- und im Hybrid-Bereich. Dieser Technologie-Dinosaurier passt da nicht mehr rein", zieht er über die Windkanäle her. "Auch ökologisch gesehen ist das die falsche Botschaft, denn Windkanäle verbrauchen Unmengen von Energie."