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Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Lewis Hamilton
Lewis Hamilton feiert seine Wiederauferstehung: Über abgeschüttelte Dämonen, auserzählte Geschichten und den Drang, an der eigenen Legende zu schrauben
Liebe Leserinnen und Leser,
© Motorsport Images
Crowdsurfing nach seinem neunten Triumph in Silverstone: Lewis Hamilton Zoom
das Rennen neigt sich dem Ende zu: Fünf Runden sind noch zu fahren, von hinten macht Max Verstappen Druck, aber Lewis Hamilton liegt mit seinem Mercedes in Führung, hat seinen 104. Grand-Prix-Sieg vor Augen... und dann crasht Nicholas Latifi.
Ihr ahnt es bereits: Die Rede ist nicht von diesem Sonntag in Silverstone, sondern von jenem schicksalsträchtigen vor über zweieinhalb Jahren in der Wüste von Abu Dhabi. Von dem Moment, in dem die Leidenszeit des Lewis Hamilton begann. Denn so lange ist es tatsächlich her, dass der erfolgreichste Pilot in der Geschichte der Königsklasse auf seinen nächsten Triumph warten musste.
Niemand hat so viele Formel-1-Rennen gewonnen wie Hamilton. Und dennoch, oder gerade deswegen, sticht dieser langersehnte 104. Sieg so heraus aus der Masse - weil Hamilton nicht wusste, ob er ihn noch bekommen wird: Nach dem größten "Schiedsrichterfehler" in der Geschichte der Formel 1, nach zwei Jahren Zero-Pod, nach seinem Entschluss, Mercedes zu verlassen.
All diese Faktoren spielen eine Rolle, um zu verstehen, warum Hamilton am Sonntag so emotional reagierte, wie man ihn wohl noch nie sah: Vater Anthony sprach danach von einem "Überdruckventil", sein Sohn davon, dass sich all das gelöst habe, was sich an Emotionen angestaut hatte in den letzten zweieinhalb Jahren.
Was unweigerlich zu der Frage führt, die mein Kollege Ben Hunt in der Pressekonferenz nach dem Rennen stellte: Ob dieser Sieg Teil des Heilungsprozesses ist, den er nach Abu Dhabi durchlaufen musste, vielleicht sogar das fehlende letzte Stück - und ob dieser nun abgeschlossen sei und er auch im Kopf weiterziehen könne?
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Diesmal behielt Lewis Hamilton die Nase vor Max Verstappen Zoom
"Nur die Zeit wird es zeigen", lautete Hamiltons Antwort, die im ersten Moment so nichtssagend klingt wie ein durchschnittlicher Spruch aus dem Poesiealbum, sich bei genauerem Hinhören jedoch als weitaus vielschichtiger entpuppt - implementiert sie doch, dass er immer noch heilt, aber auch noch lange nicht fertig ist. Nicht mit der Formel 1. Und nicht mit sich. Still I rise ...
Mit Saisonende schlägt der Brite ein neues Kapitel in seiner jetzt schon legendären Karriere auf, das fehlende Kapitel, wenn man so will, das Kapitel in Rot.
Auf Schumachers Spuren, schon wieder ...
Längst ist überliefert, wie ihn sein späterer Mentor Niki Lauda im Herbst 2012 zu Mercedes lotste, und bei Hamilton, wohlgemerkt um zwei Uhr morgens in einem Hotelzimmer in Singapur, den Gedanken in den Kopf pflanzte: Wenn ihm gelingen würde, was Michael Schumacher nicht mehr schaffte, nämlich Mercedes zum Weltmeister zu machen, würde ihn das auf eine ganz neue Stufe stellen.
Hamilton gelang es, ganze sechsmal. Nach WM-Titeln zog er mit Schumacher gleich, und nur etwas mehr als eine halbe Runde fehlte Ende 2021, um den Deutschen sogar zu überflügeln und sich zum alleinigen Rekordchampion zu krönen. Es sollte nicht sein ...
Zumindest noch nicht. Denn dann, im Februar 2024, setzte Hamilton einen Move, den niemand auf dem Zettel hatte: Er unterschrieb bei Ferrari. Bei dem Team, das Schumacher so groß gemacht hatte. Bei dem Rennstall, zu dem sein Idol Ayrton Senna zum Karriereende noch wechseln wollte. Bei der Mythosmarke der Formel 1, die aufgrund ihrer atemberaubenden Historie alle anderen in den Schatten stellt.
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Get In There Lewis - ab 2025 gilt das vor allem fürs Ferrari-Cockpit Zoom
Nun gehen pünktlich mit dem Sieg in Silverstone die Unkenrufe los, Hamiltons Wechsel sei ein Fehler und er bereue ihn bereits - Social Media, Clickbait und allgemeiner Zeitgeist machen's möglich. Fair enough: Die Scuderia steckt aktuell mal wieder in der Formkrise, wohingegen die Silberpfeile endlich den Stein der Weisen wiedergefunden zu haben scheinen.
Doch Hamilton stellt klar: Er bereut gar nichts. "Ich habe das Gefühl, ich treffe die richtigen Entscheidungen im Leben", lächelt er die missgünstigen Stimmen am Sonntag einfach weg und offenbart eine in sich schlüssige Sichtweise:
Bereut hätte er es, wäre seine Zeit bei Mercedes ohne ein weiteres Highlight, wie das in Silverstone, einfach sang- und klanglos ausgetrudelt. So aber sei es der perfekte Abschluss für einen großen Abschnitt seiner großen Karriere.
Ab jetzt geht es nur noch ums Vermächtnis
"Nicht mit einem Tief, sondern mit einem Höhepunkt" wolle er sich verabschieden, so Hamilton. Seit Sonntag ist also auch dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Doch es ändert nichts am großen Bild: Seine Geschichte mit Mercedes ist auserzählt. Wären weitere Siege mit den Silberpfeilen ab jetzt wirklich noch so speziell?
Auch deshalb hat Hamilton sich frühzeitig für den Wechsel nach Maranello entschieden. Er ist an einem Punkt in seiner Karriere angekommen, an dem es für ihn längst nicht mehr um den einen Sieg mehr oder weniger geht, es geht jetzt um sein Vermächtnis.
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Lewis Hamilton greift in Zukunft von Maranello aus nach den Sternen Zoom
Ein bis dato viel zu wenig beleuchteter Punkt in der Debatte um Hamiltons Ferrari-Zukunft ist, dass er bei Ferrari eine Zukunft hat. Die Unterschrift bei den Roten war auch ein sogenannter "career extending move", um mindestens zwei weitere Jahre ab 2025, mit der Option auf ein drittes. Es war der Vertrag, den er bei Mercedes nicht bekommen hat.
Während man sich Hamilton - ja, den eher lustlosen, der über das Zero-Pod-Konzept meckert, nicht den, der den Sieg wittert, und dann die Hammertime folgen lässt - beim Daimler-Konzern eher früher als später in einer Markenbotschafterrolle vorstellen konnte, dafür aber auch kein Vermögen ausgeben wollte, packte Ferrari-Präsident John Elkann die dicken Kohlen auf den Tisch, machte Hamilton wieder zum Topverdiener der Formel 1.
Wie lange wäre es bei Mercedes weitergegangen?
Bei Mercedes wuchs für Hamilton nicht nur die hausinterne Konkurrenz durch George Russell, mit Supertalent Andrea Kimi Antonelli lobte das Team auch den designierten Nachfolger in höchste Höhen: Dass Hamilton drei weitere Jahre im Silberpfeil hätte sitzen können, dürfen, wollen - ein in vielerlei Hinsicht schwer vorstellbares Szenario, noch dazu mit dem Wissensstand von letztem Winter.
Doch der mittlerweile 39-Jährige will langfristig weitermachen in der Formel 1, ist sie doch endlich genau das, was Hamilton, der sich gerne auf Modeschauen oder Filmpremieren blicken lässt, am liebsten schon vor zehn oder fünfzehn Jahren gehabt hätte: Cool, trendy und vor allem am boomen.
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Ein Fall für die ganze Familie: Hamilton und Anhang feiern den Silverstone-Sieg Zoom
"Ich liebe diesen Job einfach. Und es wird nie etwas geben, was dem nahe kommt", macht Hamilton daraus auch am Sonntag nach dem Sieg in Silverstone keinen Hehl. Mit funkelnden Augen erzählt er: "Ich bin sehr dankbar, einer der 20 Fahrer in diesem Sport zu sein, der gerade so eine bedeutsame Zeit erlebt. Heute hatten wir zum Beispiel gerade erst die Premiere des neuen Filmtrailers."
Der Kinofilm mit Brad Pitt und dem einfallsreichen Titel "F1", für den auch am Wochenende in England wieder gedreht wurde, und der im Sommer 2025 anlaufen soll, wird von Hamilton sogar mitproduziert. Wer denkt, dass der Brite genau jetzt, wo die Formel 1 gerade groß wird, wegen der ein oder anderen sportliche Misere seinen Rückzug antreten könnte, der kennt ihn verdammt schlecht ...
Hollywood-Hamilton hofft auf Happyend
Der Sport bewege sich dieser Tage "immer mehr Richtung Hollywood", sagte Daniel Ricciardo am Wochenende so treffend - Hamilton gefällt das: Dabei muss man dem PS-Superstar zugutehalten, dass es ihm mit fast 40 längst nicht mehr nur um die Lifestyle-Parties geht, sondern vor allem darum, seine Schwerpunktthemen wie Gleichberechtigung und Inklusion auf die große Bühne zu bringen, und damit möglichst viele Leute zu erreichen.
Der Formel 1 hat Hamilton mit seinem Ferrari-Wechsel die nächste Hollywood-Story jedenfalls längst auf dem Silbertablett serviert: Weltweit wird der mediale Fokus riesig sein, wenn der Rekordweltmeister seine ersten Runden für die Marke mit dem springenden Pferd dreht.
Ob es sich für ihn am Ende auch sportlich lohnt, sprich der achte Titel wirklich drin ist mit der Scuderia? Schwer zu sagen aus heutiger Sicht - unwahrscheinlich gar, wenn man sich die nach wie vor teilweise katastrophalen Strategieentscheidungen der Italiener anschaut: Man frage am Sonntag nur mal Charles Leclerc ...
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Wie sich die Bilder doch gleichen: Spaß mit Flaggen anno 2021 in Sao Paulo Zoom
Aber ist Hamilton weiterhin imstande solche Leistungen abzurufen wie in Silverstone, kann er trotzdem beruhigt schlafen. Dann wird es nicht das letzte Mal gewesen sein, dass er sich auf der Auslaufrunde eine Flagge schnappt. Sein Jubel mit dem Union Jack erinnerte stark an den in Sao Paulo 2021 mit der Brasilien-Fahne, für mich bis heute immer noch Hamiltons größter Sieg.
Ob er das bleibt, bleibt abzuwarten - denn so wirklich kann man es sich nicht vorstellen, dass nun, wo der Abu-Dhabi-Knoten endlich geplatzt ist, keine weiteren mehr dazukommen sollen. Für vereinzelte Erfolge sollte der Ferrari ab und an schon gut genug sein.
Deswegen bin ich mir sicher: Zumindest einen gewinnt Hamilton noch in Rot. Und wenn es bei seinen geliebten Mischbedingungen in Monza ist, und wir am Ende auch noch die italienische Flagge sehen ... Hollywood-Hamilton ist alles zuzutrauen, auch das nächste Happyend.
Euer Frederik Hackbarth
P.S.: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat, nämlich Sergio Perez, das hat mein Kollege Christian Nimmervoll in der Schwesterkolumne aufgeschrieben, die ihr hier lesen könnt.
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