Rückblick: Formel-1-Weltmeister ohne die meisten Siege

Trotz zehn Saisonsiegen hat Lewis Hamilton den Formel-1-Titel 2016 verpasst, doch der Brite ist nicht der erste, der trotz der meisten Erfolge eines Jahres leer ausgeht

(Motorsport-Total.com) - Zehn Siege haben nicht ausgereicht. Obwohl Lewis Hamilton 2016 eine zweistellige Anzahl an Rennen gewinnen konnte, durfte er den WM-Pokal nicht mit nach Hause nehmen - das hat es in 67 Jahren Formel-1-Geschichte noch nie gegeben. Nico Rosberg holte sich in der abgelaufenen Saison die Krone, obwohl er weniger Rennen gewann als sein Teamkollege - nämlich "nur" neun.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

Nico Rosberg holte zwar nicht die meisten Siege, wurde 2016 aber trotzdem Meister Zoom

Dass man mit so vielen Rennsiegen wie Hamilton nicht Weltmeister wird, ist ein Alleinstellungsmerkmal. Alain Prost hatte es zuvor zweimal nicht geschafft, obwohl er sieben Saisonsiege auf dem Konto hatte. Doch früher war die Formel-1-Saison nicht so lang wie der Rekordkalender 2016, bei dem 21 Rennen auf dem Plan standen.

Dass Hamilton trotz der meisten Siege in einem Jahr nicht Weltmeister werden konnte, das ist jedoch nicht so selten, wie man vielleicht meinen würde. Ginge es nach der damaligen Medaillen-Idee von Bernie Ecclestone würde der Fall nie vorkommen, denn dann würde immer der Fahrer mit den meisten Siegen den Titel holen. Doch so steht Hamilton mit seinem Schicksal zumindest nicht alleine da.

Hamilton profitierte schon einmal

Bereits zwölfmal gewann ein Fahrer einen Titel, obwohl ein anderer Pilot mehr Siege auf dem Konto hatte. Der bislang letzte davon war pikanterweise Lewis Hamilton selbst, der in der Saison 2008 fünfmal ganz oben auf dem Treppchen stand, während Felipe Massa sechsmal triumphierte. Das Ende in Brasilien, bei dem sich der Brasilianer für wenige Sekunden als Champion fühlen durfte, bevor Hamilton in der letzten Kurve Timo Glock passierte, ist allseits bekannt.

Felipe Massa, Lewis Hamilton

Unvergessen: Das WM-Finale 2008 zwischen Massa und Hamilton Zoom

Allerdings ist die Tatsache, dass Massa einen Rennsieg mehr hat, in dieser Saison fragwürdig, denn eigentlich hatte Hamilton damals den Großen Preis von Belgien gewonnen. Jedoch wurde dem Briten der Triumph aberkannt, weil er zuvor die letzte Schikane ausgelassen hatte und anschließend den Ferrari von Kimi Räikkönen überholt hatte - der Sieg wurde damals Massa zugesprochen.

Interessanterweise war dies das erste Mal seit fast 20 Jahren (1989), dass dieser Fall eingetreten war. In den acht Saisons zuvor holten jedoch sechs Fahrer den Titel, die nicht die meisten Siege geholt hatten. Das berühmteste Beispiel hierfür ist wohl Nico Rosbergs Vater Keke, der 1982 das Kunststück fertigbrachte, mit nur einem einzigen Saisonsieg (bei 16 Rennen) für Williams zum Weltmeister zu werden.

1984: Der knappste Vorsprung der Geschichte

Das Glück des Finnen war, dass die anderen Piloten nicht wirklich mehr Siege einfahren konnten. Die Saison begann zwar mit zwei Siegen von Alain Prost (Renault), doch der Franzose ließ im weiteren Verlauf keinen weiteren mehr folgen. Auch Niki Lauda (McLaren), Didier Pironi (Ferrari), John Watson (McLaren) und Rene Arnoux (Renault) gewannen nur zwei Rennen - und so wurde Rosberg am Ende zum ersten und einzigen Mal Weltmeister.

Zwei Jahre später kam es zum bis heute knappsten Vorsprung in der Weltmeisterschaft. Wer dachte, dass der Titelkampf 2007 der bislang statistisch engste war, als Ferrari-Pilot Kimi Räikkönen jeweils nur einen Punkt Vorsprung vor Lewis Hamilton und Fernando Alonso (beide McLaren) hatte, der liegt falsch: 1984 gab es ein heißes Duell bei McLaren zwischen Niki Lauda und Alain Prost, das um nur einen halben Punkt entschieden wurde.


Hinter den Legenden: Ayrton Senna

McLaren-Mitarbeiter Neil Trundle über Ayrton Senna Weitere Formel-1-Videos

Prost verlor das Duell, obwohl er sieben Siege holte - Lauda nur fünf. Knackpunkt der Saison war dabei das Rennen von Monaco, das wegen starkem Regen vorzeitig abgebrochen wurde. Prost bekam statt neun Punkten nur 4,5 für seinen Sieg, Lauda war damals ohnehin schon ausgeschieden. Nun könnte man sagen, dass diese halben Punkte Prost den Titel gekostet haben, allerdings ranken sich noch heute viele Gerüchte um den Rennabbruch.

Prost setzte sich in Führung liegend stark für einen Abbruch ein, weil Ayrton Senna (Toleman) und Stefan Bellof (Tyrrell) in Riesenschritten näher rückten. Rennleiter Jackie Ickx kam der Bitte nach, und es halten sich bis heute Gerüchte, dass der damalige Porsche-Werksfahrer den Sieg eines Porsche-Motors sicherstellen wollte. Dieser Abbruch kostete Prost aber am Ende den Titel - obwohl man nicht sagen kann, was ohne Abbruch noch passiert wäre. Wären Senna und Bellof vorbeigegangen, hätte Prost ohnehin nur vier Punkte bekommen. Und natürlich ist auch ein Ausfall immer drin.

Prost gleich fünfmal involviert

Übrigens ist es nach 1982 und 1983 bereits das dritte Mal in Folge gewesen, dass Prost trotz der meisten Saisonsiege nicht Weltmeister wurde. Dafür profitierte der Franzose bei zwei seiner vier späteren Weltmeisterschaften. 1986 wurde er mit vier Saisonsiegen Champion (Nigel Mansell hatte fünf), 1989 holte er ebenfalls mit vier Erfolgen den Titel, obwohl Ayrton Senna sechsmal ganz oben auf dem Treppchen stand.

Ayrton Senna, Alain Prost

Crash in Suzuka 1989: Prost scheidet aus, Senna wird disqualifiziert Zoom

Beide Saisons sind für ihr furioses Finale berühmt. 1986 hatte eigentlich Nigel Mansell (Williams) in Adelaide die besten Karten, bevor ihm ein Reifenschaden 19 Runden vor Schluss den sichergeglaubten Titel noch entriss. Prost musste seinen McLaren trotzdem noch vor Piquet ins Ziel bringen, um nicht dem Brasilianer den Titel zu überlassen, doch aus Sicherheitsgründen wurde auch beim zweiten Williams noch ein Reifenwechsel vorgenommen - am Ende kam Piquet 4,2 Sekunden hinter Prost ins Ziel.

1989 war es eher das vorletzte Rennen, das in die Geschichte einging. In Suzuka kollidierten die beiden McLaren-Rivalen Senna und Prost in der letzten Schikane miteinander. Für Prost war das Rennen beendet, doch Senna fuhr weiter und gewann das Rennen, was ihm die Meisterschaftschancen erhielt. Doch die FIA um Präsident Jean Marie Balestre hatte etwas dagegen und sorgte für eine Kontroverse.

Senna wurde nach dem Rennen disqualifiziert, weil er die Schikane nach dem Unfall abgekürzt hatte und damit die Runde laut Ansicht der FIA nicht ordnungsgemäß gefahren war. Allerdings wurden andere Piloten für ähnliche Vergehen in der Saison nicht bestraft, wodurch sich Senna hintergangen fühlte. Doch die Disqualifikation blieb bestehen und Prost wurde mit vier Saisonsiegen Weltmeister.

Paradefall Esteban Ocon

Esteban Ocon

Esteban Ocon wurde 2015 in der GP3 mit nur einem Sieg Meister Zoom

Zu den weiteren erinnerungswürdigen Champions gehören auch Jody Scheckter, der 1979 mit drei Saisonsiegen (vier Erfolge für Alan Jones) letzter Ferrari-Weltmeister vor Michael Schumacher wurde, oder John Surtees, bis heute einziger Formel-1- und Motorrad-Weltmeister. Der Brite siegte 1964 zweimal, Jim Clark reichten drei Erfolge nicht. Und ganz deutlich war die Saison 1958, als Stirling Moss vier Siege nicht reichten. Mike Hawthorn holte dagegen nur einen einzigen Sieg, wurde durch fünf zweite Plätze trotzdem Meister.

Dass so ein eklatanter Unterschied übrigens kein Fall für verstaubte Geschichtsbücher sein muss, zeigt ein anderer aktueller Formel-1-Pilot: nämlich Esteban Ocon. Im vergangenen Jahr wurde der Manor-Pilot mit nur einem einzigen Sieg in 18 Rennen GP3-Champion, obwohl Marvin Kirchhöfer und Luca Ghiotto jeweils fünfmal gewannen. Doch Ocon punktete auf andere Weise: Er wurde neunmal hintereinander Zweiter - und das bei einem System mit umgekehrter Startaufstellung für Sprintrennen!