Politik, Populismus und "Petrolheads": Die Causa Sotschi
Die Teams verweisen auf die FIA und Politikferne, Ecclestone steht ohnehin hinter Russland - Jetzt drängt aber die britische Regierung auf eine Absage
(Motorsport-Total.com) - Für die Befürworter ist es der Aufbruch auf einen der wichtigsten Automobil-Märkte des Globus, ein kommerzieller Meilenstein der Motorsport-Geschichte und ein Geschenk für das größte Land der Erde. Kritiker sehen im Formel-1-Gastspiel in Russland die Gefahr, dass die Königsklasse die Augen vor der politischen Situation verschließt und mit ihrer Premiere am 12. Oktober in Sotschi ein Statement abgibt, das sie so nicht abgeben will. Kurzum: An diesem Grand Prix scheiden sich die Geister.
© Renault
Moskau ist zwei Flugstunden von Sotschi entfernt, aber im Zentrum der Diskussion
Dass die Ampeln in der Olympiastadt am Schwarzen Meer noch 2014 auf Grün schalten, scheint rund zwei Monate zuvor so gut wie sicher. Formel-1-Zampano Bernie Ecclestone, der ein inniges Verhältnis zu Staatschef Wladimir Putin pflegt, steht nach dem Abschuss des Malaysian-Airlines-Fluges MH17 und weiteren Sanktionen der USA sowie der Europäischen Union gegen Russland hinter dem Projekt. "Ich sehe kein Problem", sagt erder 'Daily Mail'. "Wir haben mit Politik nichts zu tun und einen Vertrag. Den achten wir zu 100 Prozent und das wird sicher auch Herr Putin tun."
Damit scheint mit dem Inhaber der kommerziellen Rechte eine Instanz, die für eine Absage sorgen könnte, aus dem Spiel. Es gibt weitere, etwa die Teams. Sollten insbesondere die "Großen" den Trip nach Russland boykottieren, ist es fraglich, was Ecclestone unternehmen könnte. Mit einem solchen Schritt ist aber nicht zu rechnen, wie die Bosse in der vergangenen Woche in Budapest klargemacht haben: "Wir haben immer gesagt, dass wir uns davon distanzieren wollen, Dinge politisch zu betrachten", betont Claire Williams.
Teams verlassen sich auf die FIA
Genau wie Force-India-Chef Vijay Mallya, der Russland mit Bahrain vergleicht, will sie sich auf die FIA verlassen: "Sie ist die Regierung, gibt einen Rennkalender aus und wir müssen die Anweisungen befolgen", so Williams. "Wir müssen uns auf sie und den Inhaber der kommerziellen Rechte verlassen." Mallya zeigt sich unpolitisch, bezeichnet sich stattdessen als "Petrolhead". Er wolle Rennen fahren, gewinnen und genießen, nicht im Konzert von Staatschef mitspielen. Mallya betont aber: "Es geht nicht darum, Bernie zu folgen." Ähnlich sieht die Sache Christian Horner.
Der Red-Bull-Teamchef, dem in der Pressekonferenz in Ungarn angesichts zahlreicher kritischer Fragen der Kragen platzte, erinnerte die Journalisten an eigene Prinzipien: "Alle oder die Mehrheit von euch fahren zu diesen Rennen - und warum? Weil ihr diesen Sport liebt oder weil ihr mit der Berichterstattung euren Lebensunterhalt verdient." Als Sport sei es falsch, ein politisches Statement abzugeben. Dieser Grundsatz gilt auch für Mercedes. Die Silberpfeile, die über Hauptsponsor Petronas enge Verbindungen nach Malaysia pflegen, hätten dazu mehr Anlass als die Konkurrenz.
Niki Lauda, in seiner Karriere abseits des Motorsport selbst Pilot und Airline-Besitzer, findet im Gespräch mit der 'Kleinen Zeitung' deutliche Worte für die Causa MH17: "Dass ein Flugzeug heruntergeholt wird, weil jemand auf einen falschen Knopf drückt, ist unglaublich und erbärmlich", meint der Aufsichtsratsvorsitzende des Formel-1-Teams und zeigt sich persönlich betroffen: "Weil ich mit Schicksalen von Flugzeugabsturzopfern selbst zu tun hatte. Das Problem gehört wahrscheinlich mit Gewalt gelöst, anders geht es nicht."
Britischer Premierminister plädiert für Absage
Dennoch respektiert Lauda das Regiment der FIA, verweist auf gültige Verträge und kann sich einen Boykott des Grand Prix seitens Mercedes nicht vorstellen. Aktiver ist die Politik, wenn es darum geht, dem russischen Präsidenten per Entzug von Sportereignissen die Daumenschrauben anzusetzen - sei es auch nur dem Populismus oder Aktionismus geschuldet. Nachdem aus dem Bundestag der Ruf nach einer Verlegung der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 laut wurde, bringt der britische Premierminister Nick Clegg die Formel 1 ins Spiel.
Gegenüber der 'Sunday Times' erklärt der konservative Politiker: "Wenn es eine Sache gibt, um die sich Wladimir Putin kümmert, dann ist das sein politisches Renommee", so Clegg. "Vielleicht ist hat es einen Effekt auf sein Denken, wenn man ihn daran erinnert, dass man seinen Status nicht behalten kann, wenn man den Rest der Welt ignoriert." Rein rechtlich gesehen scheint der Grand Prix trotz Sanktionen durchführbar, schließlich gehen sie nicht soweit, dass der privatwirtschaftlich organisierte Motorsport betroffen wäre.
Trotzdem scheint die politische Klasse Großbritanniens nicht abgeneigt, sich das Sotschi-Rennen als Instrument zu eigen zu machen Der ehemalige Außenminister David Davis wird von der 'Daily Mail' zitiert: "Auch wenn ich nicht dafür bin, Sportereignisse in null Komma nichts abzusagen, gab es den Mord an 298 Zivilisten. Das sollte die Formel 1 meiner Meinung nach bedenken." Aus dem Kreis der mitregierenden Liberaldemokraten heißt es, es sei angesichts der öffentlichen Meinung schwierig zu akzeptieren, dass Putin den Beifall für den Grand Prix erntet.