• 23.04.2002 12:28

  • von Fabian Hust

Elektronische Fahrhilfen seit einem Jahr im Einsatz

Vor einem Jahr gab der Motorsportweltverband FIA für den Einsatz elektronischer Fahrhilfen grünes Licht

(Motorsport-Total.com) - Vor einem Jahr, beim Großen Preis von Spanien, durfte die Formel 1 zum ersten Mal seit dem Verbot Ende 1993 wieder Traktionskontrollen und Automatikgetriebe einsetzen. Klar ist nach einem Jahr der Verwendung von Traktionskontrollen: Auf eine Runde macht diese im Trockenen nur wenig aus, auf eine Distanz gesehen werden die Reifen aber weniger stark abgenutzt, was zu konstanteren Rundenzeiten führt. Auch im Regen sind die Rundenzeiten nicht stark gesunken, da die Fahrbarkeit der Motoren früher ohne Traktionskontrolle bereits ausreichend gut war. Und: Am Kräfteverhältnis in der Formel 1 hat sich durch die Freigabe der Elektronik nichts geändert.

Titel-Bild zur News: Toyota

Rauchende Reifen adé - mit der Traktionskontrolle raucht nichts mehr

Einige Fahrer beklagten sich vor einem Jahr bitter über die Rückkehr der Traktionskontrolle, weil sie glauben, dass "schlechtere" Fahrer davon profitieren. In der Tat ist jetzt ein sensibler Gasfuß nicht mehr ganz so wichtig wie noch zuvor: "Die Rückkehr der Traktionskontrolle ist dumm und besudelt den Ruf der Formel 1", so die klaren Worte von Vollblutrennfahrer Jean Alesi. "Man sagt, dass wir die besten Fahrer der Welt sind, aber dies nivelliert ganz klar das Feld. Traktionskontrollen sind für einen Herr Müller oder Maier in Ordnung. In der Formel 1 haben sie aber nichts zu suchen." Doch noch heute ist ein sensibler Gasfuß von Vorteil, denn wenn die Traktionskontrolle einsetzt, verliert das Auto an Vortrieb, besser ist es, der Fahrer dosiert das Gas von sich aus so, dass die Traktionskontrolle erst gar nicht einsetzen muss.

Weniger Überholmanöver durch die Traktionskontrolle?

Mike Coughlan, Technischer Direktor des Arrows-Team befürchtet, dass die Traktionskontrolle zu weniger Überholmanövern führt: "Die Rundenzeiten verändern sich durch sie kaum. Während dem Rennen bringt sie etwas, weil die Autos leichter zu fahren sind, die Reifen länger halten und die Fahrer weniger Fehler machen. Das führt aber auch dazu, dass das Überholen schwieriger wird, weil man normalerweise nur überholen kann, wenn der Fahrer vor einem einen Fehler macht."

Coughlan weiter: "Der größte Vorteil ist, dass wir nun ein ausgeglichenes Feld haben, da es nun nicht mehr die Ungewissheit gibt, welches Team ein solches System einsetzt und welches nicht", spricht der Brite das Problem an, dass der Motorsportweltverband FIA gezwungen war, die Traktionskontrolle freizugeben, da sie in den Tiefen der Elektronik nicht mehr nachweisbar war.

Dass Top-Teams wie Ferrari schon zu Anfang der Saison 2001 Systeme eingesetzt hatten, die denen der Traktionskontrolle nahe kommen, ist längst bekannt, aber sie waren nun einmal nicht illegal. Der Präsident des Automobilverbandes FIA Max Mosley bestätigt aber, dass ein Team in den letzten Jahren einmal geschummelt hat: "Die Teams hatten schon immer ausgeklügelte Motor-Management-Systeme, aber eine echte Traktionskontrolle - mit der Ausnahme eines konkreten Falls vor einiger Zeit - wurde nicht eingesetzt und mit Sicherheit nicht in der Saison 2000."

Einfachere Reifenentwicklung

Bridgestone beobachtete zunächst, dass die Reifen durch den Einsatz von Traktionskontrolle kurioserweise mehr litten als wenn die Piloten ohne Traktionskontrollen fuhren. Mittlerweile jedoch ist die Software so ausgefeilt, dass die Reifen konstanter abgenutzt werden. Dadurch kommt es zu geringeren Abnutzungsschwankungen, was bei der Reifenentwicklung mehr Spielraum lässt und generell weichere und damit schnellere Reifen zulässt.

Schumacher sieht sich im Vorteil

Michael Schumacher - dessen Ferrari-Team verdächtigt wurde, schon in den letzten Jahren mit einer Traktionskontrolle unterwegs gewesen zu sein - begrüßte die Einführung des Systems, das Ende 1993 verboten wurde und glaubt sogar, dass er als einer der besten Fahrer davon profitiert: "Wir können mit dem System schneller und extremer am Limit fahren. Man muss nicht mehr auf irgendwelche Leistungsspitzen des Motors achten." Michael Schumacher beruft sich auf Erkenntnisse, die er in den letzten Jahren durch die Telemetrie-Aufzeichnungen gewinnen konnte: "Man hat nun mehr Freiheiten, das Auto am Limit zu bewegen. Die Fähigkeit, ein Auto ständig am Limit zu bewegen macht einen guten Fahrer aus. Die guten Fahrer werden die besten Fahrer bleiben."

Mehr Stabilität in den Kurven

McLaren-Mercedes-Pilot David Coulthard kann der Erfahrung Schumachers zustimmen: "Die Traktionskontrolle hilft einem nicht nur, wenn einem die Traktion abbricht, sondern auch, wenn das Auto ins Rutschen kommt, da zu diesem Zeitpunkt ein Hinterrad sich schneller dreht als das andere. Wenn ich zuvor eine Kurve vielleicht mit 160 km/h bei Halb-Vollgas durchfahren bin, so kann ich das nun mit rund 165 km/h unter Vollgas durchfahren, da ich weiß, dass sich das Auto selbst korrigiert, wenn das Heck ausbricht. Das bedarf allerdings vollsten Vertrauens in die Elektronik und es dauert natürlich eine Weile, bis man an diesen Punkt gekommen ist."

Michael Schumacher glaubt im Gegensatz zu Mike Couglan allerdings, dass die Top-Teams wie Ferrari, Williams oder McLaren trotz der Freigabe der Elektroniken dennoch einen Vorteil haben, weil sie in der Lage sind, bessere Systeme zu entwickeln als die Konkurrenz. Dies sei auch der Grund gewesen, warum Ferrari 2001 zunächst gegen die sofortige Freigabe gewesen sei. Die Konkurrenz vermutete damals, Ferrari wolle sich einen Vorteil sichern, Ferrari behauptete, man hätte ein solches System nicht schnell genug entwickeln können: "Ich denke, dass die guten Teams weiterhin im Vorteil sein werden."

Höhere Sicherheit bei Nässe

Für Michael Schumacher, der Sprecher der Fahrervereinigung GPDA ist, hat die Traktionskontrolle vor allem im Regen einen positiven Einfluss auf die Sicherheit. Tatsächlich ist es extrem schwer, das Heck eines Formel-Autos auf nasser Strecke im Griff zu haben - wer selbst schon einmal das Vergnügen hatte, einen echten Rennwagen zu steuern, weiß um die "Giftigkeit" des Gaspedals. Somit, so Schumacher, seien nicht nur die Verdächtigungen aus der Welt geräumt, sondern auch noch die Sicherheit verbessert worden.

Neben der Traktionskontrolle sind auch Automatikgetriebe erlaubt, was sich allerdings so gut wie nicht auf die Rundenzeiten auswirkt, besonders im Regen aber ebenfalls die Stabilität der Autos erhöht. Ein weiteres erlaubtes System - die Startautomatik - bereitete den Teams zu Beginn noch massive Schwierigkeiten. Während die Teams in dieser Saison nur noch selten Probleme mit der so genannten Launch-control haben, brachten Fehler in der Software 2001 vor allem die McLaren-Mercedes- und Jordan-Honda-Piloten zur Weißglut.

Die Probleme haben laut FIA-Präsident Max Mosley gezeigt, dass kein Team vorher eine Startautomatik eingesetzt hatte: "Im vorletzten Jahr bekamen wir viele informelle Beschwerden, dass ein oder mehrere Top-Teams eine illegale Launch-control einsetzen. Doch den Gegenbeweis konnte man leicht sehen, wenn die Hinterräder durchdrehten. Jetzt, wo die Systeme erlaubt sind, ist es völlig klar, dass die Anschuldigungen grundlos waren, da so viele Teams ihre Schwierigkeiten haben, ihre Launch-control zuverlässig zum Arbeiten zu bekommen. Wie wir gesehen haben, hatte jedes einzelne Team so seine Problemchen."

Folgende Systeme sind seit einem Jahr in der Formel 1 erlaubt:

Traktionskontrolle
Mit den Motorenparametern Drosselklappenansteuerung, Benzineinspritzung und Benzingemisch können die Teams spielen wie sie möchten. Damit ist eine Traktionskontrolle einsetzbar, die automatisch verhindert, dass die Antriebsräder beim Beschleunigen durchdrehen. Die Traktionskontrolle ist so einstellbar, dass die Fahrer weiterhin ein Durchdrehen der Räder ermöglichen können, um zum Beispiel am Start auf den Startplatz Gummi zu legen oder auf der Stelle nach einem Dreher zu "wenden". Ferner kann ein wenig Schlupf an der Hinterachse das Durchfahren der Kurven je nach Fahrstil erleichtern und die Beschleunigung am Start erhöhen.

Startautomatik
Erlaubt ist eine Startautomatik, so dass die Fahrer optimal vom Fleck kommen, weil die Kupplung und das Schalten völlig automatisch von der Elektronik geregelt werden. Zu viel Drehzahl oder zu wenig ist damit nicht mehr möglich. Verboten sind allerdings Systeme, die automatisch erkennen, wenn die Startampel auf grün umschaltet. Damit soll es beim Start wenigstens noch auf die Reaktionsgeschwindigkeit der Fahrer ankommen.

Automatikgetriebe
Aus dem Stand können die Autos ohne das Betätigen der Kupplung losfahren, beim Start, an der Box oder nach Drehern wird es also nicht möglich sein, dass ein Fahrer das Auto aus Versehen abwürgt. Erlaubt sind auch Automatikgetriebe, das heißt, die Fahrer betätigen keine Schaltwippen mehr zum Rauf- und Runterschalten, sondern dies erledigt automatisch die Elektronik. Allerdings setzten diese Technik nicht alle Fahrer ein. Die Betätigung der Kupplung zum Schalten war bereits in den letzten Jahren nicht mehr nötig, da halb-automatische Getriebe erlaubt waren, nun sind auch vollautomatische Getriebe erlaubt.

Folgende Fahrhilfen sind weiterhin verboten:

Dynamische Aufhängungen verboten
Verboten ist die Verwendung von dynamischen Aufhängungen. Scheinbar nutzten Teams 2000 und 2001 Aufhängungen, die unterschiedliche Federhärten aufweisen konnten, in dem man zum Beispiel Stoßdämpfer eingesetzt hat, die mit chemischen Stoffen arbeiten, die sich durch Stromfluss in ihrer Eigenschaft verändern ließen.

Kraftunterstützte Bremsen verboten
Nicht erlaubt sind kraftunterstützte Bremsen. Dies soll verhindern, dass die Teams im Bereich der Bremsen auf die Mithilfe der Elektronik setzen und so ABS-ähnliche Systeme entwickeln, die die Stabilität der Autos beim Bremsen erhöhen oder gar die Kurvenlage der Autos durch gezieltes Eingreifen in den Bremskreislauf optimieren (Stichwort ESP).

Elektronisch Servolenkung verboten
Elektronische Servolenkungen, die einige Teams erst in den letzten Jahren nach und nach eingebaut haben, sind seit dieser Saison verboten. Damit soll sichergestellt werden, dass nicht ein Computer die Lenkarbeit übernimmt. Erlaubt sind aber mechanische Servolenkungen.

Drehmoment-gesteuerte Differenziale sind verboten
Auch im Bereich der Differenziale haben die Teams nun mehr Freiräume. Nicht erlaubt ist das Abgleichen von zwei Rädern mit unterschiedlichen Umdrehungsgeschwindigkeiten, Drehmoment-gesteuerte Differenziale sind damit verboten. Ansonsten können die Teams im Bereich der Differenziale ihren Ideen freien Lauf lassen.

Trotz der Freigabe einiger Elektronikbereiche, wird der Motorsportweltverband auch in Zukunft unregelmäßig die Autos auf die Installation von Software hin kontrollieren. Dies funktioniert, in dem jede neu eingesetzte Software von der FIA abgesegnet wird und dann bei Bedarf an der Rennstrecke mit der aufgespielten Software verglichen ist, wobei die so genannte "Black Box" als zusätzliche Maßnahme von der FIA noch versiegelt wird.