Analyse GP Eifel 2020, Nürburgring: Fragen & Antworten zum Rennen

Wir beantworten die wichtigsten Fragen des Eifel-Grand-Prix: Wo Lewis Hamilton das Rennen gewonnen hat und warum Romain Grosjeans Finger gebrochen ist

(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamilton hat beim Grand Prix der Eifel auf dem Nürburgring Geschichte geschrieben. Mit seinem 91. Sieg in einem Formel-1-Rennen stellte der Mercedes-Fahrer ausgerechnet in Deutschland den Allzeit-Rekord von Michael Schumacher ein - und machte gleichzeitig in der Weltmeisterschaft 2020 einen Riesenschritt in Richtung Titelgewinn (69 Punkte Vorsprung auf Valtteri Bottas).

Titel-Bild zur News: Daniel Ricciardo, Lewis Hamilton, Max Verstappen

Lewis Hamilton feiert den 91. Sieg seiner Karriere - Schumacher-Rekord eingestellt! Zoom

Bis zur letzten Runde sah es sogar danach aus, als würde er mit 70 Punkten Vorsprung zum nächsten Rennen in Portimao (Portugal) reisen. Doch im allerletzten Versuch pulverisierte Max Verstappen (Red Bull) die Hamilton-Bestzeit noch um 0,006 Sekunden und sicherte sich damit den Bonuspunkt für die schnellste Runde.

Aus deutscher Sicht verlief das Rennen gemischt: Nico Hülkenberg (Racing Point) krönte sein Blitz-Comeback nach einer konzentrierten Vorstellung mit vier WM-Punkten für Platz acht, nur 1,8 Sekunden hinter Ferrari-Pilot Charles Leclerc. Sebastian Vettel im zweiten Ferrari schrammte auf P11 um 0,8 Sekunden an einem Punkt vorbei.

Wo hat Hamilton das Rennen gewonnen?

Am Start schien er schon an Polesetter Bottas vorbei zu sein. In der ersten Kurve drängte er den Finnen ganz schön hart nach außen. Doch Bottas ließ sich diesmal nicht unterkriegen und konterte vor der zweiten Kurve. "Valtteri hat den Gasfuß stehen lassen und wie ein Rallyefahrer dagegengehalten. Das hat mir gefallen", sagt Teamchef Toto Wolff.


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In Runde 13 dann der Führungswechsel. Bottas verbremste sich in der ersten Kurve, wurde nach außen getragen - und Hamilton zog innen vorbei. Bottas handelte sich dabei auch noch einen Bremsplatten ein und kam am Ende der Runde an die Box.

Warum ist Bottas ausgeschieden?

"Sieht danach aus, dass es die MGU-H war", sagt Wolff. Also ein Teil des Hybridsystems. Pikant: Mercedes hatte für den Nürburgring in beide Autos neue Power-Units eingebaut. Es ist der dritte Antrieb aus dem Kontingent. Pro Saison sind drei erlaubt. Ob die MGU-H noch einmal verwendet werden kann, konnten die Ingenieure vor Ort noch nicht untersuchen.

Nach seinem Boxenstopp ging Bottas rasch am Renault von Daniel Ricciardo vorbei und lag damit wieder an dritter Stelle. Doch in Runde 17 meldete er: "No Power!" Als er erneut an die Box kam, konnte er nur noch abstellen. Weil das Auto unter Spannung stand, mussten die Mechaniker dabei isolierte Handschuhe tragen.

War Hamiltons Sieg danach je in Gefahr?

"Nur einmal", sagt der Mercedes-Star, "nämlich beim Re-Start." Während der defekte McLaren von Lando Norris geborgen wurde, kam das Safety-Car auf die Strecke. Hamiltons Glück: Verstappen verschlief die Situation, hatte gleich ein paar Längen Rückstand und kam danach nie wieder in Schlagdistanz.

"Ich habe versucht, Lewis zu folgen", erklärt er. "Das Tempo war ganz gut, aber letztendlich bin ich mein eigenes Rennen gefahren. Am Ende ist es mir immerhin noch gelungen, die schnellste Runde zu fahren und den Punkt zu holen. Das freut mich."

Warum haben sich Hamilton und Verstappen über das Safety-Car beschwert?

Bei neun Grad Luft- und 16 Grad Asphalttemperatur war es am Nürburgring schwierig, die Reifen auf Temperatur zu halten. Hamilton und Verstappen waren die Ersten, die von Bernd Mayländer eingefangen wurden und das Tempo reduzieren mussten, während die anderen von hinten aufschlossen und es dadurch leichter hatten, ihre Reifen länger auf Temperatur zu halten.

"Die Reifen sind hier schon kalt, wenn du aus der Box fährst", sagt Verstappen. "Ich habe nicht verstanden, wieso das Safety-Car so lang draußen bleiben musste. Die Strecke war doch bereinigt. Ich verstehe, dass sie vorhaben, auch die Überrundeten aufschließen zu lassen. Aber wenn die Reifen so kalt sind, ist das meiner Meinung nach gefährlich."

Übrigens: FIA-Rennleiter Michael Masi gab das Kommando "Safety-Car in this Lap" zu einem Zeitpunkt, als nur die Top 5 beisammen lagen und alle anderen noch nicht wieder aufgeschlossen hatten. Doch Hamilton zog das Tempo erst so spät an, dass das Feld schon wieder komplett zusammen war, als es wirklich losging.

Warum war der Vorsprung von Hamilton und Verstappen so groß?

Erstens, weil die Performance von Mercedes und Red Bull überlegen war. Phasenweise waren bis auf die Top 5 alle überrundet. Zweitens, weil die beiden beim Boxenstopp Glück hatten. Nach der Kollision von Kimi Räikkönen (Alfa Romeo) und George Russell (Williams) in Kurve 1 wurde das virtuelle Safety-Car aktiviert, um eine sichere Bergung des Williams zu ermöglichen.

Just in dem Moment fuhren Hamilton und Verstappen gerade im letzten Sektor und nutzten die Gelegenheit zu einem Boxenstopp. Als der Drittplatzierte, Ricciardo, zum Reifenwechsel kam, war die VSC-Phase schon wieder beendet. Perfektes Timing für die beiden Spitzenreiter, deren Vorsprung damit noch größer wurde.

Wie lief das Rennen von Vettel?

Nicht nach Wunsch. Schon in der ersten Runde verlor er eine Position und fiel auf P12 zurück. Weil er es mit einer Einstoppstrategie probierte, fiel er nach Rennmitte immer weiter zurück - unter anderem wurde er von Leclerc, Pierre Gasly und Hülkenberg überholt, die allesamt frischere Reifen hatten.

Als klar wurde, dass mit seinen Hard-Reifen nichts mehr anzufangen ist, kam Vettel noch einmal an die Box und wechselte auf einen frischen Satz Soft. Standzeit: bescheidene 4,4 Sekunden. Die Ferrari-Crew hat schon mal schneller gearbeitet als beim Eifel-Grand-Prix (gilt auch für Leclercs Mechaniker). Vettel kam als 15. wieder auf die Strecke und wurde letztendlich Elfter.

Tiefpunkt: der Dreher in Kurve 1, als er erfolglos versuchte, Antonio Giovinazzi (Alfa Romeo) zu überholen und dabei zu aggressiv am Lenkrad drehte. "Ein klarer Fahrfehler", sagt 'ORF'-Experte Alexander Wurz. Kurz vor Schluss machte der den Fauxpas wieder gut, als er an der gleichen Stelle ein erfolgreiches Überholmanöver gegen Kevin Magnussen (Haas) exekutierte - trotz zweimaliger Berührung.

"Im Moment ist ein bisschen der Wurm drin", gibt Vettel zu. "Ich habe mich schwergetan, Autos zu überholen, obwohl ich schneller war. Ich bin viel Risiko eingegangen. Beim ersten Mal ging das in die Hose. Danach haben wir versucht zu retten, was zu retten war. Mit der Safety-Car-Phase wären vielleicht noch ein paar Punkte drin gewesen. Aber zum Ende hatte ich dann keine Reifen mehr."

Und Hülkenberg?

Sehr gut, wenn auch mit Anlaufschwierigkeiten. Am Start verdrückte er sich gleich mal am Lenkrad, obwohl er in der Nacht aufgrund diverser Meetings kaum geschlafen und sich so gut es geht vorbereitet hatte. Dadurch war er auf den ersten Metern im falschen Power-Modus. Trotzdem hatte er nach der ersten Runde drei Gegner überholt und war 17.

Von da an fuhr er ein sauberes, weitgehend fehlerfreies Rennen mit einigen Überholmanövern und kluger Strategie. In der Endphase überholte er Romain Grosjean (Haas) und hetzte Leclerc, dessen Reifen stärker gebraucht waren. Es reichte jedoch nicht, den Ferrari noch zu überholen.

"Charles hatte ältere Mediums als ich. In den ersten zwei, drei Runden nach dem Re-Start hatte er Probleme, die auf Temperatur zu bekommen", analysiert Hülkenberg. Trotzdem bot sich keine echte Chance mehr, eine Attacke zu reiten. "Wäre schön gewesen, von Anfang an dabei zu sein", sagt er im Nachhinein über sein unerwartetes Heimrennen.

Wie hart war der Kampf ums Podium?

Härter als auf den ersten Blick ersichtlich. Ricciardo hatte vor der Safety-Car-Phase zwar komfortablen Vorsprung auf Perez - aber der Racing-Point-Pilot witterte seine Chance: "Vor dem Safety-Car hatte ich eine Chance. Das Auto lief echt gut, und die Medium-Reifen waren in der Phase ein großer Vorteil."

Doch dann war sein Reifenvorteil dahin, weil während der Safety-Car-Phase alle an die Box kamen. Perez übrigens eine Runde später als Carlos Sainz (McLaren), was ihn beinahe noch den vierten Platz gekostet hätte. Gegen Ricciardo schaffte er im Finish bei ausgeglichener Reifensituation keine ernsthafte Attacke mehr.

"Ich habe meine Reifen geschont, um am Ende nicht auf verlorenem Posten zu stehen. Aber phasenweise war er eine Sekunde pro Runde schneller als ich", gibt Ricciardo zu. "Ich glaube, wir wären ohne Safety-Car nicht an die Box gekommen, sondern wären auf Risiko gegangen. Das wäre sicher haarig geworden gegen ihn!"

Perez war einer der kämpferischsten Piloten im Feld. Sein Duell mit Leclerc gegen Rennmitte war sehenswert. In Runde 34 ging er vor der NGK-Schikane am Ferrari vorbei und erkämpfte sich damit P4 - vor Kurve 1 ließ er sich aber auskontern. Eine Runde später erledigte Perez die Angelegenheit dann mit einem weiteren Angriff in der NGK-Schikane. Diesmal erfolgreich.

Wie hat sich Romain Grosjean verletzt?

Gleich zu Beginn meldete er sich schmerzverzerrt am Boxenfunk: "Ich hoffe, dass mein Finger nicht gebrochen ist!" Nach dem Rennen klärt er auf: "Ich kann den Finger bewegen, er ist aber sicher gebrochen. Kimi fuhr ins Kiesbett. Dabei hat er Steine aufgewirbelt." Einer davon hat Grosjean getroffen. "Muss in einer Kurve gewesen sein", vermutet Experte Wurz. "Denn nur beim Lenken hat er die Hand über der Cockpitwand."

Fünf Fahrer sind ausgeschieden. Warum?

Norris (McLaren) lag auf Kurs zu einem möglichen Podium, als seine Motorleistung nachgab. Der Brite wirkte am Funk schon ziemlich verzweifelt, wurde aber vom Renningenieur aufgefordert, nicht aufzugeben und einfach weiterzufahren. Das ging nicht lange gut. Im Nachhinein stellte sich heraus: Es war ein Problem mit der Zündung, ganz ähnlich wie bei Sainz in Spa.

Bei Alexander Albon (Red Bull) gab es ein Problem mit dem Honda-Motor. Esteban Ocon (Renault) lag unmittelbar hinter Ricciardo, als seine Hydraulik einging. Bottas, wissen wir, schied wegen der MGU-H aus. Und Russell wegen der Kollision mit Räikkönen (für die der "Iceman" übrigens zehn Sekunden Strafe kassierte).

Wie war die Leistung von Albon?

Als er ohne ersichtliches Problem an die Box kam und ausstieg, unkten hämische Kommentatoren: "Das muss das erste Mal sein, dass Helmut Marko einen Fahrer während des Rennens feuert!" Denn Albon hatte bis dahin eine der schlechtesten Leistungen seiner Karriere abgeliefert.

Das Drama begann mit einer verlorenen Position am Start. In Runde 7 musste er schon Reifen wechseln, weil er sich einen Bremsplatten eingehandelt hatte. In Runde 16 crashte er ausgerechnet mit Daniil Kwjat im AlphaTauri, dessen Rennen damit gelaufen war - Frontflügel weg. Albon hatte ihm ausgangs NGK-Schikane einfach den Weg abgeschnitten.

Die Rennleitung bestrafte diese Aktion mit fünf Sekunden Strafe. Bevor er die absitzen konnte, hätte er mit einem weiteren Verbremser in Kurve 1 beinahe den zweiten AlphaTauri von Pierre Gasly aus dem Rennen geschossen. Nach dem Rennen wirkte Albon sichtlich geknickt. "Sieht für mich nicht so aus, als könne er sein Cockpit 2021 behalten", kritisiert 'Sky'-Experte Nico Rosberg.

Wie geht's jetzt weiter?

Die Formel-1-Saison 2020 geht am 25. Oktober mit dem ersten Grand Prix in Portimao (Portugal) weiter. Während in der Fahrer-WM schon eine Vorentscheidung gefallen ist, wird der Kampf um P2 immer spannender. Zwischen Bottas (161) und Verstappen (147) liegen nur noch 14 Punkte.

Bei den Konstrukteuren steht bereits nach elf von 17 Rennen fest, dass nur noch Mercedes (391) und Red Bull (211) Weltmeister werden können. Spannend bleibt der Kampf um P3 zwischen Racing Point (120), McLaren (116) und Renault (114).

(F1-Paddock live: Der Rennsonntag am Nürburgring)