Nico Hülkenberg: Le Mans ist der größte Sieg meines Lebens
Nico Hülkenbergs Sternstunde von Le Mans: Wie er am Start zurückfiel, in der Nacht den Grundstein für den Sieg legte und in den Aston-Martin-Crash verwickelt wurde
(Motorsport-Total.com) - Noch nie zuvor in seinem Leben ist Nico Hülkenberg vor 263.500 Zuschauern ein Autorennen gefahren, und dieses dann auch noch zu gewinnen, ist für einen, der es in seiner Karriere nicht immer leicht hatte, fast ein Märchen. "Der Sieg hier ist das Größte, was ich in meiner Karriere und in meinem Leben erreicht habe", sagt der Porsche-Fahrer, gemeinsam mit Earl Bamber und Nick Tandy Sieger bei der 83. Auflage der 24 Stunden von Le Mans, unmittelbar nach der Siegerehrung in einer kleinen Runde deutscher Journalisten.
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Nico Hülkenberg und Co. jubeln über ihren sensationellen Sieg in Le Mans Zoom
Hülkenberg ist ein Kind des Formelsports, für den es immer nur das große Ziel gegeben hat, Formel-1-Weltmeister zu werden. Dementsprechend wird man, wenn man nach dem bisher größten Triumph seiner Karriere bei ihm steht, auch das Gefühl nicht los, dass es noch dauern wird, bis er die Tragweite von Le Mans im internationalen Motorsport richtig einordnet. Das 24-Stunden-Rennen mag medial nicht so präsent sein wie die Formel 1, doch die Begeisterung um Le-Mans-Sieger in Frankreich sprengt alle Grenzen, die die Formel 1 kennt.
Und Hülkenberg genoss das Bad in der Menge - immerhin war es sein erster Sieg seit dem GP2-Rennen in Portimao 2009. Formel BMW, A1GP, Formel 3, GP2 - der 27-Jährige hat alles gewonnen, wo er bisher angetreten ist. Schumacher-Starmanager Willi Weber erkannte sein Talent und brachte ihn bei Williams unter, einem ehemaligen Weltmeister-Team. Aber plötzlich stagnierte der Himmelssturm - und nach einem Wechsel zu Force India und einem Abstecher zu Sauber ist Hülkenberg nun wieder bei Force India zurück. Das hatte er sich eigentlich anders vorgestellt.
Nur zu Beginn hinter Audi zurückgefallen
In Le Mans lieferte er aber eine Talentprobe ab, fuhr schon im Qualifying fast so schnell wie sein überragender Teamkollege Nick Tandy und stand diesem auch im Rennen kaum nach. Lediglich im Startstint, den er selbst fuhr, fiel er vom dritten hinter die Audis auf den sechsten Platz zurück. "Der Plan war eigentlich, dass wir vorne zusammenbleiben und uns in Dreierformation ein bisschen absetzen können", gibt Hülkenberg zu. "Aber die Audis waren am Anfang zu stark und zu schnell. Ich konnte die nicht abhängen, sie waren sehr aggressiv."
Doch ganz im Stile eines Sportwagen-Routiniers (der er ja nicht ist) "war meine Strategie, die Füße stillzuhalten und die machen zu lassen, aber natürlich gleichzeitig den Anschluss zu halten". Und als am Samstagabend langsam die Nacht über Le Mans hereinbrach, die Temperaturen sanken und die Porsches vier statt drei Stints mit einem Reifensatz fahren konnten, schlug die große Stunde der Porsches und im weiteren Verlauf dann auch der #19. Insbesondere die Nachtstints von Tandy waren Langstreckensport vom Allerfeinsten.
Nach der dritten Safety-Car-Phase "war ich auf einmal hinter dem Audi P2. Der ist dann an die Box gegangen, und von da an ist der Porsche-D-Zug vorne weggefahren", erinnert sich Hülkenberg. Denn in der Nacht machte Audi gegen Porsche vom Speed her keinen Stich mehr: "Wenn man permanent fährt, kommt mehr Gummi drauf, und das hilft unserer Vorderachse, weil wir viel Dampf und Power auf der Vorderachse haben. Je mehr Gummi kam, desto besser ging das eigentlich. Und vielleicht sind wir auch in ein Temperaturfenster gerutscht, das für ins günstig war."
Souverän durch die letzten Rennstunden
Als über Le Mans die Sonne aufging und die Porsches immer noch Vierfach-Stints fahren konnten, auch Bamber seinen Einsatz tadellos über die Bühne brachte und die #19 kein Anzeichen von Schwäche zeigte, da dämmerte plötzlich einigen rund um die Strecke, dass es tatsächlich die Sensation geben und ausgerechnet der Porsche mit den "jungen Wilden" gewinnen könnte. "Man sieht's natürlich", so Hülkenberg über diese Situation, "aber es sind immer noch fünf Stunden nach 10:00 Uhr."
"Der Himmel sah ein bisschen grau aus und ich habe dem Braten nie getraut. Man fängt natürlich an, ein bisschen zu träumen und schwärmen, muss sich aber runterholen und fokussieren", sagt er. "Ich glaube, wir hatten alle drei einen mega Rhythmus, sind alle drei super gefahren. Die Pace war einfach da. Wir haben das ganze 24-Stunden-Rennen gepusht wie die Blöden, sind volles Rohr gefahren die ganze Zeit. Dadurch hatten wir am Ende dann die Sicherheit."
Brenzlig wurde es nur einmal, als er in den Porsche-Kurven in einen Zwischenfall mit dem Aston Martin von Roald Goethe verwickelt wurde. "Das war nicht ganz ohne", räumt der Formel-1-Star ein. "Ich hatte die gleiche Situation wahrscheinlich 100 Mal in dem Rennen, bin innen rein. Er hatte blaue Flagge, hat aber nicht in den Spiegel geguckt. In den Porsche-Kurven sieht man da natürlich auch nicht viel, und wir kommen mit so einem Über-Speed da an."
Brenzlige Situation mit einem GT-Fahrzeug
"Ich glaube, der hat einfach nicht damit gerechnet, dass auf einmal einer da ist, aber ich war da. Ich habe gesehen, dass er einlenkt, aber es war schon zu spät, um zurückzuziehen. Ich bin innen auf den Kerb, um ihm aus dem Weg zu gehen, und das hat das Auto ein bisschen versetzt. Aber ich habe gar keine Berührung gespürt", schildert er den Aston-Martin-Crash, der für Goethe trotz der enormen Unfallkräfte zum Glück ohne nennenswerte Folgen geblieben ist.
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Im Finish wurde dann Hülkenberg die große Ehre zuteil, nach dem Start- auch noch den Zielstint zu fahren, während Bamber und Tandy nervös an der Box zuschauen mussten. Und als in den letzten zwei Stunden eine riesige Regenfront den Circuit de la Sarthe streifte, es zu tröpfeln begann, aber nie richtig zu schütten, spätestens da flatterten auf dem Porsche-Kommandostand die Nerven. Beim letzten Tankstopp ließ man daher auch noch die Reifen wechseln, zog sicherheitshalber Michelins vielgepriesenen Intermediate-Slick auf.
Oft schildern Rennfahrer in solchen Situationen, dass sie jedes noch so kleine Geräusch verängstigt wahrnehmen, doch bei Hülkenberg war das "gar nicht" der Fall: "Ich bin einfach gefahren", winkt er ganz lässig ab. "Dann kam dieser Nieselregen, und die in der Box wurden ziemlich nervös. Sie haben mich immer drum gebeten, langsamer zu fahren, aber es war alles unter Kontrolle. Das Auto hatte keinerlei Anzeichen von irgendwelchen Problemen."
Nachts hat Hülkenberg am meisten Spaß
Auch dass nicht das Auto, sondern er selbst den Sieg verlieren könnte, beunruhigte den Deutschen keineswegs: "Ich mag diese Situationen, wo ein bisschen Druck da ist und man unter Druck die Leistung bringen muss", sagt er. "Nachts fahren, das ist mein Spezialding. Das hat mir richtig Spaß gemacht, das war geil." Und als er am Sonntagmorgen kurz mal müde wurde, "hat sich die Strategie durch das Safety-Car eh wieder geändert. Das Rennen hier hat so eine Dynamik, da ändert sich die ganze Zeit irgendwas."
Auch die Vierfachstints, von denen ein einziger zwei Grand-Prix-Distanzen entspricht, konnten Hülkenberg nicht ernsthaft zusetzen: "Es ist anstrengend, aber es geht. Du hast hier natürlich sehr viele Geraden, dadurch viele Ruhephasen", erklärt er. "Aber am Ende spürt man Nacken und Rücken schon, denn es gibt auch hier viele schnelle Ecken, viele Bodenwellen, die dich dauerhaft belasten. Und mental bist du immer angespannt."
Nach dem Märchen von Le Mans geht es für Hülkenberg nun mit der Formel 1 in Spielberg weiter, vor einem im Verhältnis zum 24-Stunden-Rennen minimalen Publikum - und in einem Auto, mit dem er nicht gewinnen kann. Aber vielleicht ändert sich das ja bald. "Was es auslöst? Ich denke, nur Positives", meint der Force-India-Fahrer. "Aber wo die Reise hingeht in der Zukunft, ob ich hier noch mal fahre oder nicht? Ich denke ja, aber das wird sich jetzt dann alles selbst aussortieren."