Mercedes erklärt Start auf harten Reifen: P1 und P3 wären möglich gewesen

Warum Mercedes beim Großen Preis von Monaco mit beiden Fahrern auf den harten Reifen setzte und wie Lewis Hamiltons zweiter Stopp zum großen Risiko wurde

(Motorsport-Total.com) - Das Mercedes-Formel-1-Team spielte im taktisch geprägten Monaco-Rennen die Hauptrolle. Nicht nur starteten sowohl George Russell als auch Lewis Hamilton auf den harten Reifen, denn nach der roten Flagge nach der ersten Rennrunde richtete sich die Pace aller Topfahrer dem Bummeltempo von Russell, ehe Mercedes gegen Ende des Rennens mit einem zusätzlichen Boxenstopp von Lewis Hamilton wieder in den Vordergrund rückte.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton beim Großen Preis von Monaco 2024 Zoom

Andrew Shovlin, der leitende Mercedes-Renningenieur an der Strecke, hat in einem Mercedes-Video die teils unkonventionelle strategische Herangehensweise seines Teams in Monaco erklärt, darunter auch, warum gleich beide Piloten auf den harten Reifen ins Rennen gingen, obwohl man weiß, dass ein frühes Safety-Car oder eine frühe rote Flagge Gift für diese Strategie ist.

"Die Wahrscheinlichkeit, dass in der ersten Runde eine rote Flagge geschwenkt wird, ist eigentlich nicht so hoch", erklärt Shovlin. "Der Vorteil, mit dem harten Reifen zu starten, war, dass wir bei einer roten Flagge später im Rennen in einer sehr starken Position gewesen wären, weil wir erwartet hätten, dass die vier vorderen Autos alle gegeneinander fahren würden und sich alle irgendwann gegenseitig an die Boxen bringen."

"Wir dachten nicht, dass wir ein großes Risiko von hinten haben würden. Wir rechneten damit, uns von Tsunoda absetzen zu können, und wenn man von hinten nicht bedroht wird, kann man immer weiterfahren und auf eine rote Flagge warten."

Shovlin: So hätte Mercedes das Rennen gewinnen können

Mit einem späten Safety-Car oder noch besser einer späten roten Flagge "um Runde 40, 50 oder 60", wäre Mercedes laut Shovlin in der Position gewesen "am Sonntag auf den Plätzen eins und drei zu landen", da die beiden Ferraris und McLarens mit ihren Medium-Reifen wohl schon eher an die Box gekommen wären, was George Russell in die zwischenzeitliche Führung des Rennens gespült hätte.

"Wir haben uns auch die anderen Szenarien ansahen, wie zum Beispiel, was passiert, wenn es schief geht? Und was ist, wenn [die rote Flagge] in Runde eins kommt? Aufgrund des Leistungsunterschieds zwischen unseren Autos und Tsunoda hätten wir nicht wirklich Positionen verloren. Das hat man im Rennen gesehen."

"Wir waren in der Lage, den Medium-Reifen mit George ins Ziel zu bringen. Das hatten wir nicht erwartet, aber in Monaco kann man den Reifen sehr gut managen. Aber die einfache Antwort ist, dass man mit den Autos auf Hard einen Vorteil hat und die besten Ergebnisse erzielen kann. Das Schlimmste, was hätte passieren können, wäre nicht viel anders gewesen, als wenn wir mit beiden auf Medium gestartet wären."


Vor dem Rennen habe man laut Shovlin auch diskutiert, die Strategien zu splitten, doch man wollte ein mögliches Szenario verhindern, dass Hamilton mit weichen Reifen eher an die Box kommt und einen Undercut gegen seinen Teamkollegen fährt, was das Strategiemanagement erschwert hätte.

"Aber es lag mehr daran, was ihre besten Rennszenarien waren", so Shovlin. "Wenn sie auf den harten Reifen starten, während die Autos vor ihnen auf dem Medium-Reifen unterwegs sind, und wir in diesem Zeitfenster Glück mit einer roten Flagge haben - sagen wir in Runde 40, 50 oder 60 -, dann hätten sie einen deutlichen Platzgewinn erzielen können."

Wie Hamiltons zweiter Stopp zum Risiko wurde

Nach der für Mercedes ungünstigen roten Flagge in der ersten Runde sahen sich eigentlich beide Fahrer gezwungen, auf den Medium-Reifen die 77 restlichen Runden zu absolvieren. Um das zu ermöglichen, fuhr George Russell im Bummeltempo, doch in Runde 51 kam Teamkollege Hamilton noch einmal an die Box, da dahinter genug Platz vor Yuki Tsunoda war.

Mercedes wollte sich damit eigentlich nur die schnellste Rennrunde sichern, doch der Taktik-Poker ging fast daneben, da Hamiltons Outlap nicht schnell genug war und Max Verstappen vor ihm gleich eine Runde später zum Reifenwechsel kam und in der Folge Russell unter Druck setzte.

"Wir hätten ohnehin nicht geglaubt, dass wir einen Undercut gegen Max machen könnten", sagt Shovlin über den Stopp von Hamilton. "Denn die Realität sieht so aus: Wenn wir stoppen, weil niemand hinter uns ist und wir freie Bahn haben, werden sie [Red Bull] nicht reagieren, wenn sie nicht das Delta haben, um vor uns wieder rauszukommen."


"Wir dachten, es würde darauf hinauslaufen, dass Lewis dann zu Max aufschließt, weil er nicht reinkommt. Max ist auf einem gebrauchten Reifensatz unterwegs, Lewis hat einen neuen Reifensatz, und er hätte Max unter Druck setzen können. Wir dachten nicht, dass sich die Situation im Rennen dadurch wirklich ändern würde, aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass George Schwierigkeiten hätte, ins Ziel zu kommen, hatten wir so eine kleine Versicherungspolice."

"Was nicht so gut lief, war, dass wir Lewis nicht sagten, er solle in seiner Outlap-Runde Vollgas geben", fügt Shovlin hinzu. "Max hatte die Lücke, um den Boxenstopp zu machen, und so konnte er schnell zu George aufschließen. Das war zwar nicht ideal, aber wie man sehen konnte, sah es nicht so aus, als ob George seine Position verlieren könnte."

"Er hatte sich die Reifen gut eingeteilt und hatte am Ende noch guten Gummi. Wir hätten etwas aufgeräumter sein können, und wir hätten die Meldung etwas klarer formulieren können. Aber dann hätten wir Lewis auf frischem Gummi gehabt, und er hätte immer noch die schnellste Runde fahren können. Das war einer der Gründe, warum wir das tun wollten, um Max ein wenig unter Druck zu setzen."

Zweiter Stopp: Deshalb hat man den Soft nicht genommen

Dass man Hamilton den Medium- und nicht den Soft-Reifen aufgeschnallt hat, hat laut Shovlin den simplen Grund, dass es nicht genügend Daten gab: "Wir dachten, angesichts des Risikos von Graining und des Mangels an Daten - niemand hatte den Soft-Reifen lange gefahren - wäre es kein guter Reifen, um darauf zu setzen", sagt er.

"Man hat gesehen, dass Stroll den Soft-Reifen genommen hat. Er hat sogar jemanden auf diesem Reifen überholt. Aber wenn man sich das Tempo anschaut, das er gefahren ist, dann war er etwa anderthalb Sekunden langsamer als Lewis auf dem harten Reifen, als er seine schnellste Runde fuhr. Somit sind wir immer noch zuversichtlich, dass der harte Reifen für die Aufgabe, die er erfüllen sollte, die richtige Wahl war. Das wurde auch durch die Tatsache bestätigt, dass Max dasselbe tat."

"Hätte es zehn Runden vor Schluss ein Safety-Car gegeben, hätten wir zweifelsohne den Soft-Reifen genommen, denn dann hätte man den Aufwärmvorteil und die Möglichkeit gehabt, die Autos beim Restart anzugreifen, wenn alle beisammen sind. Für den längsten Stint, den wir zu fahren hatten, schien der harte Reifen der klare Favorit zu sein."