• 15.01.2016 08:08

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Frag Gary Anderson: Wird der Sound 2016 besser?

Ex-Jordan-Technikchef Gary Anderson beantwortet die Fragen der Fans: Wird der Sound in der neuen Saison besser und was bringt die neue weiche Mischung?

(Motorsport-Total.com) - Das neue Jahr bringt auch in der Formel 1 einige Änderungen: Neben einer neuen, besonders weichen Reifenmischung sollen vor allem die Motoren wieder lauter werden. Um das zu gewährleisten, darf das Wastegate-Ventil der Antriebseinheiten nicht mehr mit dem Auspuff-Endrohr verbunden sein, sondern muss in ein oder zwei separate Rohre münden. Das soll neben der Lautstärke vor allem die Klangqualität deutlich verbessern. Doch was hält der ehemalige Jordan-Technikchef und Experte Gary Anderson von dieser Lösung? Der Ire beantwortet Fanfragen und nimmt auch zu diesem heißen Thema Stellung.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton, Fans

Viele Fans vermissen in der Turbo-Ära den kreischenden Sound der Saugmotoren Zoom

Sarah Morris (E-Mail): "Kann man heute überhaupt noch sagen, dass Formel-1-Autos von einer Einzelperson designt werden? Mir ist klar, dass viele Einzelpersonen zum Design der einzelnen Teile beitragen, aber in Anbetracht dessen, dass der Technikchef dies beaufsichtigt, kann man ihm dann noch anrechnen, das Auto designt zu haben?
Gary Anderson:"Jedes Schiff braucht einen Kapitän. Und in dem Moment, wo es den nicht gibt, weiß man nicht, wohin die Reise geht. Und wenn man das nicht weiß, wie soll man dann die Richtung ändern, um auf den richtigen Weg zu kommen?"

"In Wahrheit ist das alles, was ein Technikchef wirklich tun muss. Er oder sie muss die Vision haben, und er muss dafür sorgen, dass jeder Beteiligte ebenfalls diese Richtung anvisiert. Solange das passiert, kann die Richtung jederzeit geändert werden."

"Nie war eine Einzelperson für das Design eines Formel-1-Autos verantwortlich, und im Laufe der Jahre passierte eine der größten Änderungen, mit denen ein Formel-1-Team klarkommen musste, bei der Mitarbeiteranzahl. Alle Beteiligten - hinunter bis zum Reinigungspersonal - haben einen Anteil am Erfolg oder Misserfolg eines Teams. Und in einem Team sollte jeder die Wertschätzung erhalten, die er verdient."

Sound: Anderson hat schlechte Nachrichten

Eggry (Twitter): "2016 kann die Antriebseinheit zwei separate Wastegate-Endrohre haben. Wird sich dadurch der Sound verbessern?"
Anderson: "In der heutigen Welt der elektronischen Steuerung wäre ich schon sehr enttäuscht, wenn einer der Hersteller das Wastegate-Ventil in größerem Ausmaß nutzt. Nach der Philosophie der Regeln will jeder Abgase reduzieren. Ich rechne nicht mit einer großen Veränderung."

"Die größte Veränderung beim Lärm passiert, wenn der Fahrer Gas gibt. Und in diesem Zeitraum sollten weder elektronische noch mechanische Wastegate-Ventile in Verwendung sein. Andererseits ist der Sound ziemlich gut, wenn der Fahrer nicht am Gas steht, denn man hört den Turbo und die Reifen quietschen."


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Paul Kiefer jr. (E-Mail): "Welche Auswirkungen wird die Öffnung des Motoren-Tokenreglements dieses Jahr haben?"
Anderson: "In unserer Zeit beschweren sich alle über die Kosten - und das wird definitiv noch mehr Kosten verursachen. Positiv ist aber, dass dies den Herstellern, die ins Hintertreffen geraten sind, erlauben sollte, den Rückstand aufzuholen - solange sie wissen, in welche Richtung sie entwickeln müssen."

Was bewirkt die neue weiche Reifenmischung?

"Ich bin kein Fan dieses Token-Systems. Es macht eine bereits sehr verwirrende Angelegenheit noch verwirrender. Wir allen wünschen uns eine spannende Konkurrenz, und wenn ein Hersteller einen Vorteil hat, dann ortet dies in einer Dominanz aus. Mehr Leistung ist immer nützlich, ganz egal, wie die Streckencharakteristik aussieht. Das ist im Rennsport eine Grundregel."

Warren Nel (Twitter): "Wird die neue weiche Mischung von Pirelli die Charakteristik der Rennen verändern?"
Anderson: "Das neue Reifenreglement, das es den Teams erlaubt, einen eigenen Reifen zu nominieren, sorgt nur für noch mehr Verwirrung, was die Frage angeht, wer wann was benutzt. Je weicher die Reifenmischung ist, desto besser muss die Balance des Autos sein. Wenn man also von der Medium-Mischung auf die weiche Mischung wechselt, dann wird das Auto von Natur aus mehr untersteuern. Eine zusätzliche weichere Mischung wird das Problem noch verstärken."

"Manche Teams bringen den Reifen auf eine Runde besser zum Arbeiten, andere verstehen es, ihn im Rennen besser über die Distanz zu bringen. Die wahre Herausforderung ist es, beides gleichzeitig hinzubekommen."

"Alles hängt von der aerodynamischen Charakteristik des Autos ab. Wenn sich der aerodynamische Druckpunkt ständig verschiebt, dann muss man das Auto steifer stellen, um das in den Griff zu kriegen. Dadurch kommen die Reifen schneller auf Temperatur. Wenn die Aerodynamik stabil ist, dann kann das Auto ein bisschen weicher abgestimmt werden, wodurch das Auto gutmütiger mit den Reifen umgeht und sie über eine längeren Zeitraum schont."

Anderson: Einer wie Eddie Jordan fehlt der Formel 1

Bernie Ecclestone, Eddie Jordan

Eddie Jordan erwies sich in der Formel 1 stets als kritischer Geist Zoom

Stuart Harris (E-Mail): "Ich habe mit Interesse Ihre Artikel gelesen, wie man die Formel 1 verbessern könnte. Meine Frage ist, ob Sie sich auch gerne in den Entscheidungsfindungs-Prozess einbringen würden, damit Ihre Ideen auch umgesetzt werden. Leider bin ich nicht Bernie Ecclestone, also kann ich Ihnen den Job nicht anbieten."
Anderson: "Stuart, ich denke, dass ich für so eine Rolle bereits mein Ablaufdatum überschritten habe. Ich war viele Jahre in der Formel 1 aktiv, und in diesen Jahren gab es viele Änderungen. Manche gingen in die richtige, andere in die falsche Richtung, aber zumindest gab es mit Bernie jemanden, der sich der Sache annahm und sie umsetzte."

"Ich erinnere mich daran, dass Eddie Jordan, Bernie und ich bei der Rückreise von einem Rennen ein Gespräch hatten und Eddie sich wie üblich über alles beschwert hat. Bernie hat sich ihm zugewendet und meinte: 'Jordan, das Problem ist, dass du nur siehst, was schlecht ist, aber nicht, was gut ist'."

"Heute habe ich das Gefühl, dass die Verantwortlichen nur auf ihre eigenen Interessen schauen und das Gesamtbild außer Acht lassen. Sie müssen - so wie es Eddie getan hat - die Probleme erkennen, bevor jemand sich der Lösung annimmt."

Michael Lewis (E-Mail): Wie konkret ist der Zeitplan für die Updates, wenn das Auto zum ersten Mal auf die Strecke geht? Wissen die Teams da bereits, welche neuen Teile beim Spanien-Grand-Prix und später in Silverstone kommen werden, oder hängt das davon ab, wie es bis dahin läuft?"
Anderson: "Michael, jedes Teil am Auto muss hergestellt werden. Wenn die Autos also beim ersten Test auf die Strecke gehen, dann kommen die bestmöglichen Teile zum Einsatz, die bis dahin designt und überprüft werden konnten. Danach bringt jedes Team entweder beim letzten Test oder vor dem ersten Rennen ein Update. Das stellt dann das tatsächliche 2016er-Auto dar."

"Die meisten Teams haben ungefähr drei ordentliche, geplante Updates pro Saison. Barcelona, Silverstone und Monza sind die Rennen, die die Saison im Groben in Segmente unterteilen. Deswegen rechne ich bei diesen Rennen mit Modifikationen."

"Man muss aber auch sagen, dass jedes Team auf die Leistungen des Autos bei den ersten Tests reagiert und den Entwicklungsplan dementsprechend an die Probleme anpasst."

Wie erkennt man einen reifenschonenden Fahrer?

Jenson Button, Fernando Alonso

Sanfte Lenkbewegungen: Button hat in der Formel 1 den Ruf des "Reifenflüsterers" Zoom

David Bates (E-Mail): "Immer wieder sagen Leute, dass Autos so designt werden, dass sie die Reifen schonen. Ist das in der Formel 1 wirklich möglich? Die Art und Weise, wie das Auto gefahren wird, macht doch sicher einen viel größeren Unterschied..."
Anderson: "Ich habe diese Frage im Grunde schon vorhin bei meiner Antwort über die weichen Reifen beantwortet. Es stimmt, dass ein gefühlvoller rechter Fuß den Reifen gut tun kann, aber die Charakteristik des Autos spielt auch eine Rolle, ob der Fahrer vorne ist oder aufholen muss."

"Wenn man ein sehr steifes Auto fährt, dann ist es sehr schwierig, das Verhalten des Autos im Vorhinein einzuschätzen - man reagiert immer nur darauf. Wenn das Auto weicher und gutmütiger ist, dann spürt man früher, welche Kräfte sich aufbauen, und kann reagieren, bevor es heikel wird."

"Das sieht man ganz gut, wenn man die Lenkbewegungen des Fahrers beobachtet. Das sagt normalerweise alles: Wenn er ruckartig und mit Gewalt lenkt, dann nimmt er die Reifen härter ran als ein Fahrer, der gefühlvoll und sanft agiert."

Mike Jones (E-Mail): "Wann wurden Formel-1-Autos so kompliziert, dass sie nicht mehr von einem normalen Rennteam ohne Elektronik- und Antriebseinheits-Spezialisten betrieben werden können? Warum wurde es so kompliziert?"
Anderson: "Mike, das ist einfach im Laufe der Zeit so gekommen. Ich erinnere mich noch daran, als ich mit Patrick Tambay im McLaren M26 testen ging - und mit dabei waren nur ich und der Truckfahrer. Heute ist alles komplizierter, und man benötigt einfach mehr Leute, damit alles so funktioniert, wie es soll."

"Das zeigt aber, dass die Verantwortung, das beste aus dem Auto herauszuholen, dem Fahrer entzogen wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass junge Fahrer wie Max Verstappen oder Carlos Sainz deswegen auf Anhieb in der Formel 1 konkurrenzfähig sind. Sie sind gute Fahrer, aber in der heutigen Situation zählt Erfahrung nicht viel, da die meisten Erkenntnisse im hinteren Teil der Garage gewonnen werden."