Das Funkverbot und was es für die Fahrer bedeutet
Was verändert sich durch das Funkverbot für die Fahrer in ihren Formel-1-Autos? Vor dem Singapur-Grand-Prix spekulieren die Piloten über die neuen Regeln
(Motorsport-Total.com) - Es war einmal in der Formel 1, dass der Kommandostand dem Fahrer wichtige Tipps ins Cockpit funken konnte. Diese Kommunikation ist zwar weiterhin erlaubt, wird aber zum Großen Preis von Singapur erheblich eingeschränkt. Die Ingenieure dürfen nicht mehr länger "Fahrlehrer" spielen, die Piloten müssen viele Einstellungen selbst vornehmen. Ohne die Hilfe von außen, die bisher gewährt wurde.
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Die Formel 1 erlaubt ab Singapur nicht mehr so viele Funksprüche ins Cockpit wie bisher Zoom
Das bringt große Veränderungen mit sich. Veränderungen, die aber durchaus begrüßt werden. Lewis Hamilton (Mercedes) äußert sich beispielsweise sehr positiv über die Neuerungen: "Es ist schon cool, dass solche Regeln das, was bei mir im Auto passiert, bei mir belassen. Da kommt es mehr auf den Fahrer an." Die Piloten gewinnen durch das Funkverbot also ein bisschen die Kontrolle über das Geschehen zurück.
"Es hat keinen Spaß gemacht, immer zu hören, dass ich in Runde sieben auf Benzineinstellung fünf gehen soll", meint Romain Grosjean (Lotus) und fügt hinzu: "Ich bin froh darüber, dass es nicht mehr erlaubt ist. Es war einfach zu viel." Die neue Situation sei viel besser für alle Beteiligten - für Fahrer und Zuschauer. "Im Auto zählt am Ende halt der Pilot", sagt Grosjean. Und das sei auch gut so.
Das Lenkrad-Display gewinnt an Bedeutung
Einfacher wird es für das fahrende Personal aber nicht. Vielmehr bringt das Funkverbot mit sich, dass die Piloten künftig mehr Zeit damit verbringen werden, die Daten auf dem Lenkrad-Display abzurufen, auszuwerten und umzusetzen. Alles Aufgaben, die zuletzt vom Kommandostand übernommen worden sind, um es den Fahrern einfacher zu machen und die Leistung des Gesamtpakets zu optimieren.
Der Formel 1 steht an diesem Wochenende also eine große Änderung ins Haus. Wie groß diese ausfällt, bleibt abzuwarten. Daniel Ricciardo (Red Bull) rechnet jedenfalls nicht damit, dass sich sein Arbeitsprofil von heute auf morgen komplett verändert: "Wir werden etwas mehr Zeit damit verbringen, Dinge vom Display abzulesen. Wir werden dann die Dinge umsetzen, so wie wir sie gelesen haben."
Und nach einer gewissen Zeit würden sich diese Abläufe automatisieren, so Ricciardo weiter. "Ich denke, das wird ganz normal werden. Es wird den Rennverlauf nicht gravierend ändern. Die Jungs sind alle intelligent genug, um das zu machen", meint er. Einige seiner Konkurrenten haben ihre Zweifel. Vor allem angesichts der schieren Informationsflut, die es seit 2014 zu bewältigen gilt.
Größere Unterschiede beim Rennstart?
Hamilton bringt es auf den Punkt: "Es fliegen einfach mehr Bälle in die Luft, die es zu fangen gilt." Zum Beispiel in der Einführungsrunde vor dem Rennstart. "Da gibt es so viel zu tun", erklärt der Formel-1-Weltmeister von 2008. "Von der richtigen Bremsbalance bis hin zum richtigen Mapping - an all das musst du dich erinnern." Kein Ingenieur mehr, der die entsprechenden Punkte nacheinander abfragt.
Das könnte Konsequenzen haben, glaubt Jenson Button (McLaren). "Die einzige wirklich sichtbare Veränderung wird wahrscheinlich sein, dass es weniger gleichmäßige Starts gibt. Jetzt liegt es viel mehr an uns, den Sprit richtig einzuteilen, auf die Reifen zu achten und die richtige Bremsbalance zu finden. Und das ist gar nicht so einfach", sagt er. Der Fahrer sei nun eben auf sich alleine gestellt.
"Bisher", so Nico Rosberg (Mercedes), "konnten wir uns auf unsere Ingenieure verlassen, die uns die richtigen Einstellungen durchgegeben haben. Das gibt es jetzt nicht mehr. Jetzt liegt es an mir." Mit allen Facetten der modernen Formel 1, was Sebastian Vettel (Red Bull) auch kritisch sieht. Denn viele Parameter kamen 2014 neu hinzu. Und bisher haben sich stets die Techniker darum gekümmert.
Weniger Funk, mehr Risiko?
Das tun sie zwar weiterhin, dürfen ihre Erkenntnisse aber nicht mehr unmittelbar an den Fahrer weitergeben. Die Piloten müssen die Informationen eigenständig sichten und auswerten - und nebenbei ihr Rennen fahren. Was Vettel ins Grübeln bringt: "All das uns Fahrern jetzt noch zusätzlich ins Cockpit zu werfen, ist vielleicht nicht ganz richtig. Aber wir müssen schauen, wie wir es hinkriegen."
Ein Sicherheitsrisiko sei es nicht, meint der viermalige Weltmeister. "Natürlich: Für die Sicherheit ist es immer besser, wenn man beide Hände am Lenkrad hat." Inzwischen ist es in der Formel 1 aber gang und gäbe, dass die Fahrer Knöpfe, Schalter und Hebel im Cockpit betätigen, um die Leistung ihres Autos zu verbessern. "Es sind jetzt aber ein paar Dinge dabei", so Vettel, "da fragt man sich: Muss das sein?"
Ja, das muss es ab Singapur. Was Fragen aufwirft. Zum Beispiel bei Felipe Massa (Williams). Er fürchtet sich vor dem komplexen und komplizierten Gebilde, das ein aktuelles Formel-1-Auto ist: "Es gibt so viele Einstellungen am Auto, die, wenn du sie nicht vornimmst, bewirken, dass zum Beispiel die Batterie zu heiß wird. Dadurch könnte sich das Auto entzünden, es könnte auch einen Unfall geben."
Versteht ein Fahrer die Komplexität des Autos?
Als Fahrer könne man unmöglich den Überblick über sämtliche Funktionsweisen des Fahrzeugs haben. "Und wenn du nicht die richtigen Einstellungen hast, kannst du die Sache gleich komplett vergessen", meint Massa. Worauf der erfahrene Formel-1-Pilot vor allem hinaus will: Vieles im Formel-1-Fahrzeug hat der Fahrer nicht so unter Kontrolle wie beispielsweise seine Reifen.
Vettel erklärt, was es damit auf sich hat: "In den vergangenen Jahren haben wir über die Telemetrie geschaut, was mit dem Wagen los ist, aber in diesem Jahr gibt es viel mehr, auf das man aufpassen muss." Die neuen Antriebsstränge mit Hybridelementen haben die Formel 1 selbst für absolute Insider noch kniffliger gemacht. "Es ist nicht mehr so einfach wie beispielsweise damals mit KERS", sagt Vettel.
"Wenn das der Fall wäre, dann wäre das Funkverbot kein Problem, aber es könnte zum Problem werden, wenn man das ganze Rennen über den Ladezustand der Batterie managen muss und man nicht weiß, was vor sich geht. Das ist ein bisschen komplizierter, weil es bei der verfügbaren Energie ein gewisses Limit von der FIA gibt. Dieses Limit können wir beim Auto aber nicht einsehen."
Tipps und Tricks vom Kommandostand
"Wir können nicht sehen, dass wir - wie beim KER-System - beispielsweise noch zehn Prozent oder fünf Prozent mehr benutzen können", sagt Vettel. Hinweise, die bis jetzt vom Kommandostand kamen, aber von dort nicht mehr kommen dürfen. Oder vielleicht doch? Denn wer sagt eigentlich, dass die Teams nicht codierte Botschaften einsetzen werden, um doch "verbotene" Informationen zu geben?
Massa glaubt, dass man zumindest darüber nachdenkt. "Wir haben viele Codewörter, die kein Außenstehender kennt", sagt der Williams-Pilot. "Damit kann man natürlich spielen und niemand wird es merken. Und wenn du selbst mit einer Durchfahrtsstrafe noch in den Punkten landen würdest, dann könnte man das schon riskieren." Vor allem, wenn sonst ein Schaden am Auto zu befürchten wäre.
"Sagt das Team in einem solchen Fall nichts, dann läufst du als Rennfahrer Gefahr, das Auto kaputtzumachen. Und das ist ja auch nicht gut", meint Massa. "Nicht für das Team und nicht für die Zuschauer." Und solche Situationen gäbe es zuhauf. Valtteri Bottas (Williams), Massas Teamkollege, hat erst beim jüngsten Formel-1-Rennen in Monza erlebt, wie gut es ist, eine wachsame Crew zu haben.
Im Freien Training wird getestet...
Er berichtet: "Meine Bremsen an der Hinterachse haben überhitzt und ich musste die Bremsbalance nach vorn verlagern. Das Team hat mich darauf hingewiesen. Hätten sie es nicht gemacht, hätte ich das Rennen wahrscheinlich nicht beenden können." So aber kam er über die Distanz und wurde Vierter, sammelte wichtige WM-Punkte. Und ist in Zukunft alleine für seine Bremstemperatur verantwortlich.
"Bisher konntest du dich da auf das Team verlassen. Als Fahrer hast du nun also mehr Arbeit damit", sagt Bottas und fügt hinzu: "Im Training werden wir uns damit vertraut machen." Blöd nur, dass es ausgerechnet in Singapur so weit sein wird, einem überaus schnellen Stadtkurs, wo Aufmerksamkeit das A und O ist. So wird das Nachtrennen der Formel 1 also auch teilweise eine Fahrt ins Ungewisse.