• 25.06.2001 13:27

Bruder Gnadenlos statt lieber Bruder

Die heile "Schumi-Welt" ist aus den Fugen, das "Familienfest schon vorbei" und das nächste Rennen steht bevor

(Motorsport-Total.com/dpa) - Von wegen Bruderliebe. Die heile Schumacher-Welt ist nach wochenlang demonstrierter Harmonie ausgerechnet beim Heimspiel der beiden rasenden Kerpener gehörig aus den Fugen geraten. Ralf flog umgehend zurück ins neue Domizil nach Salzburg, Michael musste am Abend erstmals ohne ihn feiern - und die internationale Presse staunte über die gnadenlosen "Kratzbrüder" der Formel 1. "Natürlich kann ich verstehen, dass er verärgert ist, das ist normal", sagte der Weltmeister über den High Noon am Nürburgring und den Kampf gegen den jüngeren Bruder, dem er beim Start eine Lektion erteilt hatte. "Es war eng, und vielleicht erscheint es dem, der nachgeben muss, unfair, aber so sind die Regeln", spielte der Ferrari-Star das Duell herunter. "Bei anderen wäre ich härter gewesen."

Titel-Bild zur News:

Dicke Luft statt Gratulation - Die Schumacher-Brüder nach dem Rennen

Hatte sich der "Große" vor zwei Wochen in Kanada noch gönnerhaft über den Sieg des "Kleinen" gefreut, so geriet das harmonische Familienbild unweit des Elternhauses ins Wanken. Erstmals in seiner Grand-Prix-Karriere gab Ralf Schumacher kein Interview. Ohne sich mit Michael auszusprechen, suchte der BMW-Williams-Pilot nach dem Rennen zusammen mit seiner Verlobten Cora Brinkmann das Weite. Ganz gegen seine Gewohnheit wies der 25-Jährige sämtliche Frager ab. Den offiziellen Kommentar des zweimaligen Saisonsiegers gab es später nur schriftlich in der wie üblich verteilten Presse-Mitteilung des Teams.

"Ich bin außerordentlich enttäuscht über den Rennausgang. Schließlich habe ich die Chance gehabt, vor heimischem Publikum zu gewinnen. Unter den Umständen muss ich aber wohl froh sein, am Ende noch Vierter geworden zu sein", hieß es da recht moderat. Hinter den Kulissen dürfte die Wortwahl schärfer ausgefallen sein. "Bild" und Kölner "Express" berichteten am Montag, dass Ralf seinem Bruder erstmals nicht zum Sieg gratuliert habe. Zudem soll dies der Jüngere bereits vorher über Boxenfunk angekündigt haben.

Die Beobachter kommentierten den gnadenlosen Wettstreit am Montag mit drastischen Worten. 'Bild' schrieb von "Brutalo-Start" und "Bruder-Krieg". Der 'Express' titelte kurz und bündig: "Jetzt kracht's". Die Engländer ergriffen Partei für den Unterlegenen. "Ralf muss Michaels Rücksichtslosigkeit spüren", urteilte die 'Sun'. Die 'Daily Mail' erfand den Begriff "Kratzbrüder". Der 'Guardian' kritisierte: "Es ist eine kuriose Anomalität, dass ein Fahrer seinen Bruder ungestraft zur Seite drängen darf", aber jener später wegen des Überfahrens der weißen Linie nach dem Boxenstopp mit einer Zeitstrafe belegt und um die Siegchance gebracht worden sei. Auch im Ferrari-Land wurde die verwandtschaftliche Rivalität zum Thema. "Das Familienfest der Schumachers ist schon vorbei", bemerkte 'La Repubblica'.

Tatsächlich ist die Argumentation des älteren Schumachers aus Rennfahrer-Sicht völlig korrekt. Eine Abmachung der Piloten verbietet beim Kampf um die wichtige erste Kurve bei einem Grand Prix zwar Zickzackfahren, doch ein einmaliger Spurwechsel - wie Michael dies tat, als er nach innen zog und seinen Bruder zum Nachgeben zwang - ist erlaubt. "Ich musste alle Register ziehen, um Ralf hinter mir zu lassen", erklärte der 32-Jährige. "Wir schenken uns nichts, weil wir für verschiedene Teams arbeiten." Ob es nicht unfair sei, den Bruder in Richtung Mauer zu drängen, wurde der Ferrari-Pilot gefragt. Der Anfang der Antwort war zwar richtig, klang aber äußerst hart: "Ich glaube nicht, dass er die Mauer berührt hat."

Die äußerst ehrgeizige Fahrweise ist logisch für Formel-1-Piloten, passt aber nicht zu den Aussagen Michael Schumachers, als er vor dem neunten WM-Lauf zum Top-Thema "Bruderkampf" befragt worden war. "Er wird immer mein Bruder bleiben. Unser Verhältnis ist so gut, dass ich ihm Erfolge gönne." Zudem habe er selbst schon alles erreicht. Den möglichen Sieg am Nürburgring gönnte ihm der 49-malige Grand-Prix- Gewinner offenbar nicht, zumal BMW-Williams immer konstanter wird und Ralf zwischendurch zum Titelrivalen avanciert war.

Selbst die Experten bewerteten die Aktion unterschiedlich. "Das war wirklich hart, aber das war okay. Er war schon härter", meinte Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug. BMW-Direktor Gerhard Berger urteilte: "Man konnte sehen, dass Ralf beim Start schneller war und als Erster in die erste Kurve hätte ziehen können." Die Gelegenheit zur brüderlichen Versöhnung ergab sich im Fahrerlager nicht mehr. Als Michael nach seinem Interview-Marathon endlich zur üblichen Feier ins Zelt von Formel-1-Wirt Karl-Heinz Zimmermann kam, war Ralf schon lange weg. Dafür dauert es bis zur nächsten Grand-Prix-Begegnung nur noch sechs Tage: Schon an diesem Sonntag findet der Große Preis von Frankreich in Magny-Cours statt - und damit der nächste Akt im Bruder-Kampf.