Boullier: "Nach zwei Neustarts wurde Team Weltmeister"
Eric Boullier bemüht sich um die Moral der zerbröckelnden Truppe in Enstone, erklärt die Gründe für die Finanznot und die Herangehensweise bei der Fahrerwahl
(Motorsport-Total.com) - Eric Boullier hat es als Teamchef nicht leicht. 2010 übernimmt er von Renault einen Rennstall, der nur noch ein Schatten des einstigen Weltmeister-Teams ist, nach der Crashgate-Affäre mussten die einstigen Erfolgsgaranten Flavio Briatore und Pat Symonds ihren Hut nehmen - auch Fernando Alonso war dem Team abhanden gekommen.
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Lotus, quo vadis? Das Team aus Enstone fährt wieder einmal ins Ungewisse Zoom
Mit Robert Kubica sichert sich Boullier einen Toppiloten, baut den Rennstall um den schnellen Polen auf, doch ein Jahr später verunglückt Kubica bei einem Rallyecrash schwer. Das Team steht mit einem radikalen Auto vor einem Neustart - das Konzept geht nicht auf, dann zieht sich auch noch Namensgeber Lotus als Geldgeber zurück, die finanziellen Sorgen werden größer.
2011 riskiert man, Kimi Räikkonen nach zwei Jahren Pause ein Comeback zu ermöglichen - nach der mäßig erfolgreichen Rückkehr von Michael Schumacher bei Mercedes ein durchaus gewagtes Spiel. Die Rechnung geht auf, das Team schafft die Rückkehr in die Riege der Topteams, gewinnt mit dem Finnen sogar zwei Rennen, doch nach den Abgängen von Räikkönen, Technikchef James Allison und Chefaerodynamik Dirk de Beer droht die starke Truppe nun auszubluten, weil man keinen Investor findet und das finanzielle Loch immer größer wird.
Enstone hat Übung bei Neustarts
Über 100 Millionen Euro Schulden hat man bereits angehäuft. "Es stimmt, dass ein neues Kapitel in Enstone beginnt", ist Boullier bewusst, dass nun bereits der dritte Neustart seiner kurzen Teamchef-Ära bevorsteht. "Wir verlieren wertvolle Leute und einen offensichtlich sehr charismatischen Fahrer."
Doch der Standort Enstone hat Umstrukturierungen schon mehrmals gut überstanden: Ende der 1980er-Jahre übernahm Briatore das Benetton-Team von Peter Collins ohne Formel-1-Erfahrung und führte es mit Michael Schumacher 1994 und 1995 zum WM-Titel. Ende der 1990er-Jahre kam es dann zu einer Übergangsphase mit David Richards und Rocco Benetton als Teamchefs, doch als Briatore Anfang des vergangenen Jahrzehnts zurückkehrte, wurde man mit Alonso 2005 und 2006 erneut Champion.
"So etwas ist in Enstone schon zweimal passiert, und jedes Mal wurde das Team gleich darauf Weltmeister", verweist Boullier auf die eben erwähnten erfolgreiche Umstrukturierungen der Vergangenheit. "Ich bin also ziemlich motiviert und sage: Lasst uns ein neues Kapitel aufschlagen und so erfolgreich sein wie früher."
Erfolg wichtiger als Wirtschaftlichkeit
Dass Räikkönen das Team verlassen hat, weil Zahlungen offen sind, ist für Boullier eine Enttäuschung, er glaubt aber nicht, dass die offene Erklärung des Finnen "die Marke oder das Team beschädigen". Am wichtigsten sei es eben, auf der Strecke konkurrenzfähig zu sein, meint er. "Und so gehen wir auch mit unserem Cashflow um. Leider sind wir nicht so reich wie andere Teams im Feld. Es ist nachvollziehbar, dass ein Team, das dieses Jahr siegfähig ist und um Podestplätze kämpft, kein so nachhaltiges Geschäft ist, wie es das sein könnte."
Es stimme, dass man Räikkönen noch Geld schulde, das sei aber auch im Vorjahr zu diesem Zeitpunkt der Fall gewesen und soll mit Jahresende beglichen werden. Doch wie geht man nun bei der Fahrerwahl für 2014 vor? Romain Grosjean hat einen Vertrag für die kommende Saison und wurde von Boullier in Singapur bestätigt. Der Franzose ist durch seine Verbindungen zu Mineralöl-Sponsor Total und Renault für das Team wichtig.
Paydriver nur als Notlösung
Nun streiten sich Nico Hülkenberg, Felipe Massa und Paul di Resta um das verbleibende Cockpit. Auch Pastor Maldonado mit seinen PDVSA-Millionen wurde bereits mit Lotus in Verbindung gebracht. Boullier deutet an, dass fahrerisches Talent für ihn weiterhin Priorität habe, dies aber auch von den Entwicklungen in den kommenden Wochen abhängt.
"Wir werden die gleiche Strategie anwenden wie das seit vielen Monaten der Fall ist", erklärt er. "Genii hat uns geholfen, das Team aufzubauen, jetzt wollen wir eine bessere Finanzierung und mehr Sponsoren, um einen Schritt zu machen und einige Jahre lang für Stabilität zu sorgen. Wir arbeiten noch immer daran und müssen das schaffen. Bei Kimi hat das Timing leider nicht gepasst, aber wenn wir das schaffen, dann würde es uns erlauben, einen Fahrer wegen seines Talents auszusuchen, was natürlich unsere erste Wahl wäre."