• 19.12.2018 11:13

  • von Stefan Wagner

Ford Fiesta ST (2019) im Test: Kann das Spaß-Hot-Hatch auch Alltag?

Kein ganz gewöhnlicher Test des neuen Ford Fiesta ST 2018. Wir machen den Alltags-Check mit allen Facetten. Was das Hot Hatch gut macht und was nicht

(Motorsport-Total.com/Motor1) - bDer neue Ford Fiesta ST: Sein Vorgänger (vor allem der ST200) ist bekanntermaßen ein reichlich wilder Hund und setzte Maßstäbe beim bezahlbaren Fahrspaß. Wir lieben den kleinen Racker für seine fast schon grenzwertige Verspieltheit und würden ihn in der reinen Dämliche-Grinser-pro-Euro-Rechnung einem VW Polo GTI oder dem aktuellen Renault Clio R.S. jederzeit vorziehen. 

Titel-Bild zur News:

2018 Ford Fiesta ST Test Zoom

Der neue ST tritt also in ziemlich gewaltige Fußstapfen und Ford hätte es sich ziemlich leicht machen können, indem sie einfach alles so gelassen hätten, wie es war. Haben sie aber nicht. Klar, der neue ST sieht anders und auf etwas verschrobene Weise erwachsener aus. Aber die größte (und mutigste) Änderung findet unter dem neugeformten Häubchen statt. Jap, der Ober-Fiesta hat jetzt nicht mehr vier, sondern nur noch drei Zylinder. Einer davon kann sich sogar abschalten. 200 PS und 290 Nm quetschten die Ingenieure trotzdem irgendwie aus dem 1,5 Liter kleinen Motörlein. 

Dazu kommt ein neu abgestimmtes Fahrwerk mit McPherson-Federbeinen vorne und Verbundlenkerachse hinten. Erstmals gibt es nun auch in einem Fiesta ST die unvermeidlichen Fahrmodi (Normal, Sport und Track) und wenn Sie das 1.100 Euro teure Performance-Paket buchen, kriegen Sie neben einer Launch Control auch eine Vorderachssperre. Keine halbgare elektronische Lösung wohlgemerkt, sondern ein echtes mechanisches Sperrdiff von Quaife.

All das wissen Sie womöglich schon, weil bereits sehr viel und in der Regel sehr positiv zum neuen Fiesta ST berichtet worden ist. Die Frage ist nur: Was kann der Kölner ADHS-Flummi im Alltag? Gibt er weiterhin den begnadeten Landstraßen-Feger, ohne einen bei den täglichen Aufgaben an den Rand des Wahnsinns zu treiben? Wir haben ihn zwei Wochen lang in alle erdenklichen Lagen versetzt und Antworten gefunden. 

Und? Bahnbrechende Erkenntnisse dabei? 

Selbstverständlich. Zuerst einmal sei angemerkt, dass sich Freunde des alten Fiesta ST keinerlei Sorgen machen müssen. Der Nachfolger hat den fuchsteufelswilden Spieltrieb vollständig konserviert, womöglich sogar noch ein bisschen gesteigert. Damit Sie schöne Bilder und ein großartiges Video begutachten können, sind wir aufs knapp 2.000 Meter hohe Hahntennjoch geklettert und was der neue ST hier abgezogen hat, ist schlicht und einfach grandios. Von Zeit zu Zeit auch etwas beängstigend, aber grandios. 

"Das kurveninnere Hinterrad ist wirklich sehr gerne in der Luft."

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Dieses Auto ist in seinen zahmeren Fahrmodi und bei aktiviertem ESP jederzeit narrensicher, freundlich und herrlich zugänglich. Ein nahezu beispielloser Quirl ist es allerdings auch hier schon. Mit einer absurd direkten Lenkung (nur zwei Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag) und einem Heck, dass sich wunderbar mit eindreht, ohne Ihnen die blanke Panik ins Antlitz zu fahren.


Ford Fiesta ST 2019 im Test

Der Ford Fiesta ST schockt den modernen Autofahrer schon beim ersten Einlenken. Aktuell sucht man vergeblich nach Konkurrenten, die so fahraktiv sind Weitere Auto-Videos

Aber ganz nach guter alter ST-Tradition geht es natürlich auch anders. Bewegen Sie Ihre Hand in Richtung Mittelkonsole, drücken Sie den Modus-Knopf auf "Track" (ganz Mutige deaktivieren dazu das ESP vollständig) und erleben Sie, wie sich die Dinge aufs Amüsanteste dramatisieren. Jetzt zappelt der Ford durch die Biegungen wie ein Eichhörnchen nach einer Palette Energydrinks.

In der Regel auf drei Beinen (das kurveninnere Hinterrad ist wirklich sehr gerne in der Luft) und mit einem Heck, das schneller fliegt als ein Fussballlehrer an der Elbe. Wenn Sie also gerne in einem Fronttriebler übersteuern, gibt es nach wie vor nichts besseres als diesen Knirps mit dem blauen Oval im Grill.   

Bei all dem Spaß, den man mit Herumrutschen und Gegenlenken hat, vergisst man fast, dass der Fiesta ST auf Wunsch über ein ausgezeichnetes Sperrdifferenzial verfügt. Klar ist es lustiger, den Kleinen mit 10 km/h zu viel in die Ecke zu jagen, kurz das Gas zu lupfen und zuzusehen, wie das Heck den Rest erledigt. Aber man kann dieses Auto eben auch halbwegs sauber aus der Kurve herausbeschleunigen. Mit viel Grip und gutem Vortrieb an der Front. Wer es mit diesem Auto etwas ernster meint, legt sein Geld beim Performance Paket auf jeden Fall richtig an. 

Ford Fiesta ST (2019)

Ford Fiesta ST (2019) Zoom

Ich sage trotzdem "halbwegs sauber", weil es einen Punkt gibt, der mich an diesem vortrefflichen Dynamiker massiv stört und das ist die Abstimmung der Lenkung. Die Rückstellkräfte sind hier so hoch, dass sich das Lenkrad nach jedem Einlenken förmlich in die Mittellage zurück katapultiert. Vermutlich soll das mehr Direktheit vermitteln, in Wahrheit nervt es aber nur, weil es unnötig schwer fällt, den ST richtig zu positionieren und weil man viel mehr mit dem Auto kämpft, als es sein müsste.

Wie ist der Motor?

Er ist winzig und wunderbar. Vermutlich der Punkt, der mich am neuen Fiesta ST am meisten überrascht hat. Den Vierzylinder vermisst man nicht eine Sekunde. Ganz im Gegenteil spendiert der aufmüpfig trommelnde Dreipötter dem Auto eine Schicht Charakter, die es so vorher nicht gab. Er spricht vernünftig an und zieht erstaunlich rabiat und propper durch. Von 0-100 km/h geht es in 6,5 Sekunden, die offizielle Höchstgeschwindigkeit liegt bei 232 km/h.

Das Drehmoment ist genauso hoch wie vorher, liegt jedoch über einen größeren Bereich (1.600 bis 4.000 Touren) an. So steht der 1.200 Kilo schwere ST grundsätzlich gut im Futter. Wenn Sie also nicht gerade mit vier wohlgenährten Herren an Bord einen steilen Berg hochfahren, werden Sie sich in diesem Wagen immer ziemlich schnell vorkommen. 

"Das Sechsgang-Schaltgetriebe gehört zum Besten, was ich in den letzten Jahren hin und her hebeln durfte"

Warum der Antrieb hier so exzellent funktioniert, hat aber auch noch zwei weitere, eher emotionale Gründe. Punkt eins: Das Sechsgang-Schaltgetriebe gehört zum Besten, was ich in den letzten Jahren hin und her hebeln durfte. Es ist nicht mal sonderlich kurz geführt, aber es klackt so präzise, unmissverständlich und mit der exakt richtigen Portion Gewicht in die Gassen, dass einem das Herz aufgeht.

Punkt zwei: Der Klang, den Ford aus gerade mal drei 0,5-Liter-Behältern extrahiert, frotzelt und krakeelt so unverblümt nach Aufmerksamkeit, dass man zwangsläufig aus dem Schmunzeln nicht mehr rauskommt. Klar, so gut wie alles, was hier dröhnt und plärrt, ist aus dem Lautsprecher (sprich: ein pures Kunst-Gebilde), aber hier war jemand am Werk, der weiß, wie man Gehöre stimuliert, ohne ins Peinliche abzudriften.

Interessant, wenn Sie Ihren künftigen ST auch gerne mal zu Randzeiten auf die Autobahn entführen: Selbst bei Geschwindigkeiten über 200 ist der Dreizylinder noch in der Lage ordentlich auszuteilen, 240 Sachen waren laut Tacho auch kein Problem. Weniger angenehm: Unser Testverbrauch von acht Liter. Wobei dieser Fiesta zugegebenermaßen schon stark zu einer eher ungenierten Fahrweise verführt.

Sollte das hier nicht eigentlich ein Alltagstest sein? 

Das stimmt. Schließlich gibt es auch in einem Fiesta ST ein Leben, in dem alle Räder tatsächlich Bodenkontakt haben. Hier schlägt er sich deutlich besser als sein Vorgänger, hat aber verglichen mit einem ... sagen wir einfach mal ... Polo GTI noch immer das Nachsehen. 

Cockpit des Ford Fiesta ST (2019)

Cockpit des Ford Fiesta ST (2019) Zoom

Warum besser als der Vorgänger? Weil zwar noch immer straff, aber nicht mehr annähernd so knochenbrecherisch gefedert. Und weil der Innenraum keine Knopf-übersäte Hartplastik-Wüste mehr ist, inklusive Navi-Bildschirm, den man mit bloßem Auge kaum erkennen kann. Stattdessen ist nun Moderne eingezogen.

Der große Screen auf dem Armaturenbrett funktioniert ordentlich und kann auch Apple CarPlay/Android Auto. Außerdem sind die Platzverhältnisse hinten recht passabel und die Materialqualität wirkt insgesamt stark verbessert. Ein gut zu packendes, unten abgeflachtes Lenkrad, Alupedale, ein schick gemachter Schalthebel und heftigst ausgeformte Recaros lassen Kompaktsport-Fans jubeln. 

Letztere sind aber auch der Grund für ein mittelschweres Komfort-Problem. Die Dinger sind so verflucht eng geschnitten, dass alles über 85 Kilo am besten gleich ein eigenes Sauerstoffzelt mit einpackt. Außerdem klagten mehrere Kollegen (zu denen auch ich mich zähle) nach längeren Fahrten über eine gewisse Taubheit rund ums Sitzfleisch. Was bringt der beste Seitenhalt, wenn man sich fühlt wie in einem Sandwichmaker? 

Leider steht das Dilemma rund ums Gestühl ein bisschen exemplarisch für das tägliche Leben mit diesem so irre talentierten und fidelen Sportler. Die knallengen Schraubstöcke, die widerspenstig schnalzende Lenkung, die hemdsärmelige Federung ... der Fiesta ST ist verglichen mit vielen Konkurrenten einfach nicht sonderlich bequem. Wenn das der Preis für ein herrlich echtes, kantiges und liebenswert zügelloses Fahrverhalten ist, dann ist mir das aber noch immer tausendmal lieber als ein weiteres Auto mit perfekten Manieren aber ohne Charakter. 

Soll ich ihn kaufen?

Wenn Sie nur ein Fünkchen für Fahrdynamik über haben, dann auf jeden Fall. Der neue Fiesta ST ist mindestens genauso radikal abgestimmt wie sein glorreicher Vorgänger, wirkt aber reifer, komfortabler und innen um Klassen besser. Außerdem ist sein mächtig aufgepumpter Dreizylinder ein echter Triumph. Ein bisschen teurer ist es allerdings schon geworden, wenn man ST fahren will.

Beim Blick auf die 30.225 Euro unseres Testwagens fiel kurz die Kinnlade, selbiger hatte aber auch alles an Bord, was die Liste hergibt. Los geht es bei 22.600 Euro für den Dreitürer, der Fünftürer ist ab 23.400 Euro zu haben. Immer dabei: Etwas weniger Rundschliff aber deutlich mehr Gaudi als bei der gesammelten Segment-Konkurrenz.

Fazit: 8 von 10

+ unerreicht spaßiges, hecklastiges Fahrverhalten; exzellentes Fahrwerk; hervorragender Dreizylinder; unterhaltsame Klangkulisse; verbessertes Interieur

- noch immer etwas straff; unausgewogene Lenkung; viel zu enge Sitze; mit Ausstattung kein Schnäppchen mehr

Technische Daten Ford Fiesta ST 5-Türer 2018

Motor: Reihen-Dreizylinder-Turbo; 1.497 ccm
Leistung: 147 kW (200 PS) @ 6.000 U/min
Max. Drehmoment: 290 Nm @ 1.600-4.000 U/min
Antrieb: Vorderradantrieb
Getriebeart: 6-Gang-Handschalter
Beschleunigung 0-100 km/h: 6,5 s
Höchstgeschwindigkeit: 232 km/h
Verbrauch: Werksangabe: 6,0 Liter; Testverbrauch: 8,1 Liter
Emission: 136 g/km
Leergewicht: 1.208 kg
Kofferraumvolumen: 292 - 1.093 Liter
Basispreis: 23.400 Euro
Preis des Testwagens: 30.225 Euro

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