Kolumne: Was Kalle Rovanperäs Teilzeit-Entscheidung für die Rallye-WM bedeutet

Kalle Rovanperäs Entscheidung für eine Teilzeit-Kampagne in der WRC wirft für Redakteur Tom Howard Fragen über den Sport und seine persönliche Zukunft auf

(Motorsport-Total.com) - Kurz nach dem Saisonende der Rallye-Weltmeisterschaft (WRC) 2023 wurden die Karten für das kommende Jahr völlig neu gemischt. Die Entscheidung von Kalle Rovanperä, 2024 nur noch Teilzeit zu fahren, wirft Fragen über den Sport und seine persönliche Zukunft auf, auch wenn der Finne 2025 wieder voll angreifen will.

Titel-Bild zur News: Kalle Rovanperä

Kalle Rovanperä wird 2024 nur einzelne Rallyes bestreiten Zoom

Spekulationen, dass Rovanperä 2024 nicht mehr Vollzeit fahren wird, kamen nach der Rallye Zentraleuropa im vergangenen Monat auf, bei der der 23-Jährige als erst sechster Fahrer in der Geschichte der Rallye-Weltmeisterschaft seinen Titel verteidigen konnte.

Eine solche Entscheidung schien undenkbar, doch je mehr der Finne die Gründe für seine Pause erläuterte, desto sinnvoller erschien dieser Schritt zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere. Seit die Nachricht bekannt wurde, gab es im Internet sowohl Unterstützung als auch Kritik. Doch von außen betrachtet kann man die Entscheidung eines anderen Menschen nie fair beurteilen.

In erster Linie muss man sich festhalten: Zu wissen, wann es Zeit für eine Pause ist, ist lobenswert. Aber man kann auch nicht leugnen, dass die Entscheidung angesichts des jungen Alters von Rovanperä auf den ersten Blick befremdlich wirkt, vor allem wenn man bedenkt, dass einige seiner Konkurrenten schon seit mehr als einem Jahrzehnt Jahr für Jahr in der Rallye-Weltmeisterschaft unterwegs sind.

Es wirft sicherlich kein gutes Licht auf die Weltmeisterschaft, wenn ein so junger Champion nach vier Jahren in der Königsklasse eine Pause einlegt, weil er sich von den Strapazen des Wettbewerbs erschöpft fühlt. Es bleibt aber zu hoffen, dass sich daraus einige positive Schritte für die Meisterschaft ergeben.

Rovanperäs Entscheidung hat viele Facetten und Auswirkungen. Die offensichtlichste ist die große Lücke, die sich im Kampf um den Titel 2024 auftut. Mit dem Weltmeister, der nur eine halbe Saison bestreitet, und seinem Toyota-Teamkollegen Sebastien Ogier sowie Hyundai-Pilot Esapekka Lappi, die nächstes Jahr ebenfalls nur noch Teilzeit fahren, wird die Meisterschaft realistischerweise zwischen vier Vollzeit-Piloten ausgetragen.

Karten im Titelkampf 2024 völlig neu gemischt

Der dreimalige Vize-Weltmeister Elfyn Evans wird das Toyota-Team an der Seite von Takamoto Katsuta anführen. Für Evans könnte es die beste Chance sein, den Titel zu holen und der dritte britische Weltmeister zu werden. Gleichzeitig steigt der Druck auf Katsuta, der nun Nummer zwei bei Toyota ist.

Elfyn Evans

Elfyn Evans ist Top-Favorit auf den WM-Titel 2024 Zoom

Es bleibt abzuwarten, wie Toyota die Einsätze von Rovanperä und Ogier im nächsten Jahr aufteilen wird - auch mit Blick auf die Herstellerwertung. Sollten sich die beiden das dritte Auto für die gesamte Saison teilen, könnte das Starterfeld weiter schrumpfen, nachdem Toyota in diesem Jahr bei acht von 13 Läufen vier Autos eingesetzt hat. Ein enttäuschendes Szenario, bei dem nur acht Rally1-Fahrzeuge an den Start gehen, droht.

Da M-Sport voraussichtlich ein Junior-Team einsetzen wird, werden Evans und Katsuta vom starken Hyundai-Duo Thierry Neuville und Neuzugang Ott Tänak, dem Weltmeister von 2019, herausgefordert. Evans, Neuville und Tanak haben in diesem Jahr zusammen sieben Siege eingefahren, was theoretisch einen spannenden Titelkampf erwarten lässt.

Könnte Rovanperä doch um den Titel kämpfen?

Auf der anderen Seite unterstreicht dies aber auch den Mangel an Top-Piloten, die in der Lage sind, Rallyes zu gewinnen. Ein Problem, das angegangen werden muss, das aber auch mit dem Mangel an Plätzen in der Königsklasse zusammenhängt, der wiederum auf den Mangel an Teams und Herstellern zurückzuführen ist.


Fotostrecke: Alle Rallye-Weltmeister seit 1979

Dass Rovanperä aber durchaus ein Faktor im Titelkampf sein kann, zeigt das Beispiel Ogier in dieser Saison. Mit drei Siegen liegt er in dieser Wertung gleichauf mit Weltmeister Rovanperä und Vize-Weltmeister Evans, die die gesamte Saison bestritten haben. Das lag auch daran, dass Ogier als Teilzeit-Pilot am Freitag oft die bessere Startposition hatte.

Das könnte im kommenden Jahr auch Rovanperä passieren. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass der Finne im nächsten Jahr bei jedem Start um den Sieg kämpfen kann. Geht man von der unglaublichen Konstanz aus, die Rovanperä in diesem Jahr an den Tag gelegt hat, erscheint die Titelverteidigung nicht ganz unrealistisch - wenn alles nach Plan läuft.

Trotz jungen Jahren schon lange Rallye-Profi

Als Hauptgrund für seinen Teilrücktritt nannte Rovanperä, dass er nach dem Titelkampf in den vergangenen zwei Jahren, der ihn mental stark gefordert habe, "seine Batterien wieder aufladen" müsse. Angesichts seines jugendlichen Alters von 23 Jahren eine beunruhigende Aussage.

"Es kostet viel Zeit und Energie, diese Saisons zu fahren, und das ist definitiv der Hauptgrund", sagte Rovanperä. "Wir sind die ganze Zeit auf der ganzen Welt unterwegs, und wenn man die ganze Zeit um Meisterschaften und Siege kämpft, ist man die ganze Saison mental im Wettkampfmodus, und das kostet viel Kraft und Energie."


Kalle Rovanperä mit acht Jahren im Rallye-Auto

Rovanperä ist ohne Zweifel ein Superstar. Ein Talent, das es nur einmal in einer Generation gibt. Ein Talent, das von klein auf gefördert wurde, unterstützt von seinem Vater, dem ehemaligen Rallyefahrer Harri Rovanpera. Eine kurze Suche auf YouTube zeigt Videos, in denen der achtjährige Kalle über den Schnee driftet.

Und genau das spielt eine entscheidende Rolle, denn Rovanperä fährt schon viel länger, als sein Alter vermuten lässt - insgesamt 15 Jahre. Er saß viel früher im WRC-Auto als Legenden wie Ogier oder Sebastien Loeb.

"Bei Kalle muss man bedenken, dass er mit 23 Jahren noch sehr jung ist, aber eigentlich fährt er schon seit seinem achten Lebensjahr Rallyeautos, und ich würde seinen Weg in die Königsklasse nicht als professionell, sondern eher als semiprofessionell bezeichnen", sagt Toyota-Teamchef Jari-Matti Latvala.

"Mit 17 Jahren war er bereits Profi. Das bedeutet, dass er bereits Tausende von Kilometern gefahren ist, während andere Fahrer mit 17 Jahren nur Hunderte von Kilometern zurückgelegt haben. Kalle hat schon enorm viel geleistet und jetzt ist es an der Zeit, dass sich sein Geist etwas erholt, damit er Energie für die kommenden Jahre hat."

Was die WRC so anstrengend macht

13 WM-Läufe mögen im Vergleich zu einer Formel-1-Saison mit 24 Rennen im Jahr 2024 wenig erscheinen, doch nicht umsonst gelten die Fahrer der Rallye-Weltmeisterschaft oft als die besten der Welt. Die Rallyes zeichnen sich durch einen oft brutalen Zeitplan aus, bei dem die Teams zwölf Stunden am Stück unter extremsten Bedingungen fahren.

Von den Fahrern wird erwartet, dass sie auf unglaublich schwierigen und gefährlichen Straßen, die sie vorher nur ein einziges Mal gesehen haben, bei jedem Wetter Zehntelsekunden herausholen. Das ist eine atemberaubende Leistung, die höchste mentale und physische Anforderungen stellt. Die langen Tage und die fast pausenlose Analyse der Onboard-Videos hinter den Kulissen fordern ihren Tribut.

Diese langen Tage wurden in diesem Jahr in Frage gestellt, was die Fahrer dazu veranlasste, eine Verkürzung der Rallyes zu fordern. Der Vorschlag, die Mindestdistanz auf 250 Kilometer zu reduzieren, um den Veranstaltern mehr Flexibilität zu geben, ist Teil einer Reihe von Vorschlägen, die Attraktivität der Veranstaltungen zu steigern. Die Forderung von Rovanperä dürfte nun im Vorfeld der Sitzung des FIA Motorsport-Weltrates im kommenden Monat für Gesprächsstoff sorgen.

Auch Rovanperäs Charakter wird fehlen

Dass Rovanperä nur die Hälfte der Rallyes bestreitet, hat natürlich auch eine andere Seite. Der Finne ist dank seines unglaublichen Talents, aber auch wegen seines witzigen Humors schnell zu einem der sympathischsten Piloten der Meisterschaft geworden. Wenn der Finne auf der Powerstage bei einem seiner "Full-Send"-Runs so richtig aufdreht, gehört das zu den Attraktionen im weltweiten Motorsport, und es wäre schade, wenn das 2024 nicht mehr so wäre.

Seine Interviews nach den Wertungsprüfungen, seine Sprüche über das Streicheln von Hunden zwischen den Wertungsprüfungen, seine Sprüche über Rallye-Größen wie Markku Alen oder sein Vergleich des Rallyesports mit Mario Kart - all das macht seine Persönlichkeit aus.

Solche Persönlichkeiten braucht die Meisterschaft, um neue Fans zu gewinnen. Da ist es beruhigend zu wissen, dass Rovanperäs Teilpause nur bis 2024 dauern soll und er 2025 wieder voll einsteigen will.

Wenn wir etwas von Rovanperä in den letzten Jahren gelernt haben, dann, dass er weit über sein Alter hinaus gereift ist - man denke nur an seinen Sieg bei der diesjährigen Akropolis-Rallye. Seine jüngste Entscheidung, etwas kürzer zu treten, wird sich zweifellos als inspirierte Entscheidung erweisen. Ein verjüngter Rovanperä wird seinen Konkurrenten 2025 einiges abverlangen.

Neueste Kommentare