Kolumne zum WEC-Restart: Richtige Entscheidung falsch kommuniziert
Der Restart der 6 Stunden von Spa-Francorchamps war die richtige Entscheidung, im Sinne der Fans wurde trotzdem nur halb gehandelt, findet Heiko Stritzke
(Motorsport-Total.com) - Liebe Freunde der Langstrecke,
© Motorsport Images
Volles Haus bei den 6h Spa 2024: Die Zuschauer hätten bessere Informationen verdient gehabt Zoom
Zunächst einmal freue ich mich für alle, die sich dieses Sportwagen-Spektakel von der Tribüne aus angesehen haben. Ich selbst habe mir das zweite Freie Training am Donnerstag auf der Raidillon-Tribüne gegönnt, auch dieser Job darf seine schönen Seiten haben. Was in dieser Saison in nur zwei Klassen an optischer und akustischer Vielfalt geboten wird, ist gigantisch. Den Machern der WEC sei an dieser Stelle ein großes Lob ausgesprochen.
Natürlich können wir Journalisten nicht ohne zu meckern, aber ich denke, da wird mir jeder zustimmen: Die Verkehrssituation rund um den Circuit de Spa-Francorchamps ist mit katastrophal noch freundlich umschrieben. Ich selbst stand zwei Stunden im Stau, einige Kollegen berichteten von dreieinhalb Stunden. Tausende Fans dürften den Start verpasst haben. Das kann nicht sein.
Es gibt derzeit einige Baustellen in der Umgebung. Die haben bei einem Ansturm von 88.000 Zuschauern am Wochenende den Verkehr zum Erliegen gebracht. Randnotiz: Man muss es der WEC lassen, 88.000 ist eine eher konservativ geschätzte Zahl für den subjektiven Eindruck.
Aber wenn Ende Juli die Formel 1 hier gastiert, dann dürfte es noch voller werden, die Baustellen werden aber noch nicht verschwunden sein. Im Moment kann ich von einem Besuch nur abraten - außer man übernachtet gleich auf der Tribüne. Auch die FIA dürfte über diese Situation sehr unglücklich sein. Natürlich kann man dem Veranstalter keinen Vorwurf machen. Ärgerlich ist es trotzdem.
Restart mit voller Länge: Warum erst um 18:49 Uhr verkündet?
Kommen wir zum Rennen selbst. Der Rekordkulisse die vollen sechs Stunden zu geben, war perfekt. Wir hatten einen Samstag mit Tageslicht bis nach 21 Uhr. Diesen Fans ein Drittel des Rennens zu nehmen, wäre sehr bitter gewesen. Also Chapeau auch für diese Entscheidung, auch wenn sie sportlich fragwürdig ist (dazu weiter unten mehr) und uns einige Überstunden beschert hat.
Aber, und das ist ein ganz großes ABER: Warum wird so etwas erst verkündet, kurz bevor die Rennzeit vorbei ist? Man konnte deutlich sehen, wie sich die Tribünen ab 18:30 Uhr merklich zu leeren begannen. Denn zu diesem Zeitpunkt lief die Uhr noch runter, was auch überall so angezeigt wurde.
Viele Fans rechneten nicht mehr mit Restart und wollten wohl dem Verkehrschaos auf dem Rückweg entgehen. Sie gingen enttäuscht zu ihren Autos. Auch wenn es nur ein paar Hundert waren (ich glaube, es waren mehr), so hat man diese Leute doch sehr vor den Kopf gestoßen.
© Motorsport Images
Die Ränge begannen sich ab 18:30 Uhr merklich zu leeren Zoom
Es wäre ein Leichtes gewesen, den Zuschauern schon um 18 Uhr (immerhin schon 50 Minuten nach dem Unfall) oder noch früher zu versichern, dass es noch Rennaction geben wird. Oder zumindest, dass man alles daran setzen würde, die Boliden noch einmal zu sehen. Wenn die Barriere dann nicht mehr zu reparieren gewesen wäre, dann war es eben so.
Ich möchte nicht wissen, was in den Köpfen der abreisenden Fans vorgegangen sein muss, die angesichts des Verkehrschaos eine ganz rationale Entscheidung getroffen haben, um wenigstens einen Frust zu vermeiden.
Was müssen sie gedacht haben, als sie zu Hause erfuhren, dass sie fast ein Drittel des Rennens verpasst hatten? Ganz zu schweigen von einem vielleicht kleinen Teil, der vielleicht schon den Start verpasst und früher abgereist ist, und damit insgesamt nur die Hälfte des Rennens gesehen hat?
Warum Mick sein erstes Podium verpasste!
Mick Schumacher war in Spa kurz davor, mit seinem Alpine-Team zum ersten Mal aufs Podium in der WEC zu fahren.
Das hätte man viel besser machen können. Auf jeden Fall mein Beileid an alle Fans, die vorzeitig abgereist sind und sich am Samstagabend wahrscheinlich mächtig in den Hintern gebissen haben.
Lassen sich Abbrüche fairer gestalten?
Bleibt die sportliche Seite. Der Frust von Ferrari ist verständlich. Der Protest gegen eine Tatsachenentscheidung war wohl eher ein symbolisches Zeichen. Die Frage bleibt: Kann man Rennunterbrechungen fairer gestalten?
Die Situation ist vergleichbar mit der eines Safety-Cars. Dieses halte ich im Zeitalter von FCY für eine überholte Maßnahme aus einer vergangenen Motorsport-Epoche. Den Einwand, dass Marshals ohne SC gefährdet würden, lasse ich nicht gelten. Ich erwarte von einem Fahrer mit Internationaler B-Lizenz und höher, dass er mit 80 km/h (notfalls auch weniger) an einer Unfallstelle vorbeifahren kann, ohne jemanden zu gefährden.
Eine Rote Flagge bringt jedoch einen großen Unterschied mit sich. Im Gegensatz zum Safety-Car gibt es hier keine Alternative. Dass hier massiv ins Renngeschehen eingegriffen wird, liegt in der Natur der Sache. Abstände werden zusammengeschoben, Strategien über den Haufen geworfen.
WEC Spa 2024: Rennhighlights
Dennoch könnte man darüber nachdenken, ob der Nachteil nicht beseitigt werden könnte. Die Nürburgring-Langstrecken-Serie (NLS) hat 2022 bei ihrem 12-Stunden-Rennen einen Restart versucht, der die Abstände beibehalten sollte. Das hatte zwar ein paar kleine Schönheitsfehler, war aber im Kern eine sehr gute Idee.
FIA und ACO täten gut daran, sich das einmal anzusehen. Zwei Runden hinter dem Safety-Car und dann ein Start wie beim Biathlon-Verfolgungsrennen könnte theoretisch alle Abstände erhalten und damit auch die Strategien nicht verzerren. Das wäre eine Überlegung wert.
Es bleibt nur der Zweifel, dass dies vielleicht gar nicht gewollt ist. Das neue Safety-Car-Prozedere bei den 24 Stunden von Le Mans hat ja bereits gezeigt, dass die WEC eher eine Amerikanisierung anstrebt. Das muss man im Hinterkopf halten. Freuen wir uns dennoch auf ein Rennen, das eine Herstellerschlacht vom Feinsten wird.
Euer
Neueste Kommentare