Kolumne: Wickens vs. Rossi - IndyCars verpasste Chance

IndyCar hätte durch die Kollision zwischen Robert Wickens und Alexander Rossi Schlagzeilen machen können - Doch europäische Erziehung macht es zunichte

Liebe Freunde der ästhetischen Aerokits,

Titel-Bild zur News: Robert Wickens, Alexander Rossi

Zündstoff, der nicht explodiert ist: Wickens und Rossi halten den Ball zu flach Zoom

das war doch mal ein Auftakt nach Maß! die IndyCar-Serie hat ihren Neuanfang wirklich perfekt in Szene gesetzt. Ein spannendes Rennen vor malerischer Kulisse mit neuen Fahrern, die das Feld der Ü30-Stars endlich einmal richtig aufmischen, jeder Menge Rennaction und einem dramatischen Finale. Robert Wickens dürfte in diesem Rennen mehr Fans gewonnen haben als in seiner ganzen Zeit in Europa. Und trotzdem: Für IndyCar war die Kollision leider eine vertane Chance, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen - obschon die Rennserie selbst nicht viel dafür kann.

Man muss sich das einmal vor Augen führen: Da wird ein Rookie im ersten Rennen gerade kurz vor dem Ziel um den Sieg im ersten Rennen gebracht - ein Kunststück, das seit Sebastien Bourdais 2003 niemandem mehr gelungen ist (was für eine Ironie, dass ausgerechnet der Franzose profitierte!). Und dann stellt sich der Kanadier ganz professionell hin und gibt ein Interview, das so emotional war, als hätte er gerade einen achten Platz geholt. Gratulation an Mercedes, eure Medientrainings für DTM-Fahrer haben ganze Arbeit geleistet.


Fotostrecke: St. Pete: Unfall zwischen Wickens und Rossi

Versteht mich nicht falsch: Es ist wirklich bewundernswert, wie Wickens in dieser Situation so professionell agiert. Nur macht man so keine Schlagzeilen. Man stelle sich vor, was für ein Echo es gegeben hätte, wenn er gesagt hätte, dass Rossi beim nächsten Rennen dran ist? Ich wette, NBCSN hätte sich in Phoenix über eine neue Rekordquote gefreut - passend zum neuen Exklusivdeal ab 2019. Aber sich gleich hinzustellen und die Freundschaft neben der Strecke zu Alexander Rossi zu betonen, ist in etwa so spannend, wie das Indy 500 mit Bobby Cars auszutragen.

Der Bad Boy, der keiner sein will

Wenn schon nicht Wickens, so hätte sich zumindest Rossi in dieser Nummer profilieren können. Wenigstens setzte der US-Amerikaner nicht gleich auf De-Eskalation, sondern versuchte zumindest noch, Wickens zum Übeltäter zu machen. Doch seine Ausrede, dass er in die Marbles abgedrängt worden sei, wirkte eher wie die Rechtfertigung eines kleinen Kindes, warum es sein Förmchen demoliert hat, als wie die Aussage eines gestandenes Mannes, der bereit ist, alles für den Sieg zu tun und dabei über Leichen zu gehen.

Man stelle sich vor, er hätte sich hingestellt und gesagt: "Wenn der so blöd ist und so eine Lücke lässt, ist doch klar, dass ich es versuche. Willkommen in den USA, Grünschnabel." Das wäre mal Schneid gewesen. Und hätte ihn ganz nebenbei zum echten "Bad Boy" gemacht. Ein Image, das ihm bei einigen seiner Manöver auf der Strecke gar nicht so schlecht stehen würde, dem er sich aber beständig verweigert. Auch hier hat die europäische Erziehung auf dem Weg bis in die Formel 1 Wirkung gezeigt.

PR-Floskeln lassen kein Image zu

In den USA geht es darum, sich ein Image aufzubauen und dieses Teil der Show werden zu lassen. Das ist etwas, was der IndyCar-Serie so sehr fehlt: Seit dem (unfreiwilligen) Rücktritt von Helio Castroneves als Vollzeit-Pilot wäre höchstens Will Power vermarktungstechnisch wirklich interessant, der regelmäßig zwischen Genie und Wahnsinn schwankt (was er in St. Pete wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat) und sich nicht davor scheut, dem Rennleiter schonmal zwei Mittelfinger gleichzeitig entgegen zu strecken.

IndyCars aktuelle Kampagne mit Josef Newgarden ("The Spark"), Scott Dixon ("The Iceman"), James Hinchcliffe ("The Mayor") und Takuma Sato ("The Fighter") wirkt auch eher wie der verzweifelte Versuch einer Marketingfirma, irgendwie Fahrern Profil zu verleihen, die regelmäßig betonen, wie toll das Team gearbeitet hat und wie welche harte Arbeit Chevrolet/Honda in den letzten Monaten investiert haben, um diesen Erfolg möglich zu machen.

Dieser Unfall beim ersten Rennen hätte die ganze Kampagne überflüssig werden lassen können. Man hätte perfekt die Werbetrommel rühren können: Was passiert, wenn Rossi und Wickens wieder aufeinandertreffen? Schaut euch an, wie sie es sich in Phoenix wieder geben! Leider kam diese Kollision wohl gerade für Wickens einfach zu früh.

Fehden müssen keinen persönlichen Hass bedeuten

Dass man sogar guten Kontakt pflegen kann, während man sich der Öffentlichkeit als Rivalen inszeniert, haben einst Dale Earnhardt und Jeff Gordon perfekt bewiesen. Beide wussten genau, dass sie mit ihrem inszenierten Kampf Gut gegen Böse einen Nerv beim amerikanischen Publikum treffen. So etwas sollte auch 20 Jahre später noch immer funktionieren, selbst wenn die Öffentlichkeit kritischer geworden ist.

So bleibt der Unfall eine Anekdote, von der man sich zwar noch erzählen wird, der aber für das Tagesgeschäft schnell wieder in der Versenkung verschwindet. Robert Wickens dürfte noch am ehesten profitieren und zahlreiche neue Fans gewonnen haben, aber alles geht seinen gewohnten Gang fort. In Phoenix werden wieder deutlich weniger als eine Million Zuschauer einschalten, es werden Tribünen geschlossen bleiben wie in den vergangenen Jahren auch.

Bleibt die Hoffnung für IndyCar, dass sich der positive Trend auch ohne eine neue Rivalität fortsetzt, die als Katalysator im Aufstieg hätte wirken können, der zweifellos vorhanden ist.

Gerald Dirnbeck

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