Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Carlos Sainz

Vom Krankenbett zum Sieg: Norman Fischer über die Heldengeschichte von Carlos Sainz und wie Australien seine Chancen auf dem Transfermarkt erhöht

Liebe Leser,

Titel-Bild zur News: Carlos Sainz (Ferrari) nach dem Formel-1-Rennen in Australien 2024

Carlos Sainz fuhr vom Krankenbett auf das Podium Zoom

ich muss meinen Hut ziehen, und zwar vor Carlos Sainz. Ich weiß, Formel-1-Fahrer sind harte Hunde, und bis man sie erst einmal aus dem Auto bekommt, muss eine Menge passieren.

Doch das, was der Spanier am Wochenende in Melbourne geleistet hat, verlangt mir Respekt ab.

Noch vor wenigen Tagen war nicht einmal klar, ob Sainz in Australien überhaupt würde starten können. Denn nach seiner Blinddarm-OP vor gerade einmal zwei Wochen war er noch nicht einmal annähernd wieder bei 100 Prozent.

Ersatzfahrer Oliver Bearman stand parat, um ein zweites Mal bei Ferrari einzuspringen. Doch bei einem Formel-1-Fahrer ist klar: Sobald auch nur der Hauch einer Chance besteht, das Rennen durchzustehen, dann fährt er auch.

Zwar hütete Sainz laut eigener Aussage in den Tagen zwischen Dschidda und Melbourne das Bett; trotzdem wollte er am Freitag im Training austesten, ob sein Gesundheitszustand zum Fahren reicht.

Sein Vorbild: Alexander Albon, der 2022 ebenfalls mit einer Blinddarmentzündung ausfiel und schon beim nächsten Rennen wieder am Start war - und das mit Singapur beim wohl brutalsten Rennen des Jahres.

Mit rutschenden Gedärmen in Startreihe eins

Daher habe ich schon damit gerechnet, dass Sainz wieder fahren wird. Vernünftig mag vielleicht etwas anderes sein, aber am Ende ist es seine Entscheidung, und der Erfolg gibt ihm Recht.

Nun, ich selbst weiß nicht, wie man sich nach einer Blinddarm-OP fühlt - ich habe meinen noch. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Arzt mir raten würde, nach zwei Wochen schon wieder einen solchen Hochleistungssport zu betreiben.

Aber gut, ich bin auch kein durchtrainierter Formel-1-Fahrer, sondern nur ein Hobbysportler, der einmal pro Woche zum Squash geht. Aber ich glaube, auch darauf hätte ich erst einmal eine Weile verzichtet.

Sainz' Schilderungen am Samstag dürften bei dem ein oder anderen zumindest ein paar unappetitliche Gedanken verursacht haben. Zwar betonte er, keine Schmerzen zu haben, dafür hatte er das Gefühl, dass sich in seinem Inneren alles etwas mehr bewegt - rutschende Gedärme sozusagen. Klingt nicht so prickelnd, vor allem nicht bei 6g.

Umso erstaunlicher ist die Leistung, die Sainz an diesem Wochenende vollbracht hat: Schnellster in Q1, Schnellster in Q2. Gut, NUR Zweitschnellster in Q3 hinter Dauerdominator Max Verstappen, aber das kann man einem Fahrer, der sich immer noch etwas ungelenk im Fahrerlager bewegt, wohl verzeihen.

Zumal der Fahrer, der sein Cockpit bei Ferrari behalten darf, nur Fünfter wurde.

Max überholt: Die Formel-1-Welt schaut zu

Die große Bewährungsprobe folgte ohnehin am Sonntag: eine komplette Renndistanz. Doch auch die schaffte Sainz und scheute sich auch nicht davor, Verstappen schnurstracks zu überholen, als sich ihm die Chance bot.

Hinterher wissen wir, dass der Niederländer mit seinem Red Bull zu kämpfen hatte. Trotzdem hat sein Manöver die ganze Formel-1-Welt gesehen - und auch, wie er danach souverän zu seinem dritten Formel-1-Sieg gefahren ist.

Seine Aktien auf dem Fahrermarkt dürften durch den Erfolg sicher nicht gesunken sein - im Gegenteil. "Das hat sicher nicht geschadet", lacht Sainz, der offiziell noch immer kein Cockpit für das kommende Jahr hat. Aber ich bin mir sicher: Er wird eines finden.

Sainz hat seinen Wert für Ferrari bewiesen und seinen eigentlich höher eingeschätzten Teamkollegen Charles Leclerc immer wieder vor Probleme gestellt. 2021 gewann er das teaminterne Duell, und 2023 hätte er es auch fast gewonnen, wenn Leclerc nicht noch einen Wahnsinns-Schlussspurt eingelegt hätte.

Auch war es nicht der Monegasse, sondern Sainz, der im vergangenen Jahr den einzigen Nicht-Red-Bull-Sieg eingefahren hat. Und das mit einer überlegten Leistung in Singapur, wo er Lando Norris als Schutzschild gegen die ankommenden Mercedes benutzt und ihm absichtlich DRS gegeben hatte.

Nun ist es auch wieder Sainz, der die Siegesserie von Max Verstappen nach neun Rennen stoppt.

Sainz mit guten Karten auf dem Fahrermarkt

"Ich glaube, jeder hier kennt den Wert von Carlos", sagt sein Teamkollege Leclerc. "Von daher mache ich mir keine Sorgen um seine Zukunft. Ich bin sicher, dass viele Teamchefs mit ihm sprechen."

Optionen hätte der 29-Jährige in der Theorie zur Genüge, denn im Grunde sind nur Ferrari und McLaren blockiert.

Audi wird in seinem Zusammenhang immer wieder als mögliche Variante genannt. Geschäftsführer Andreas Seidl schätzt den Spanier und kennt ihn aus gemeinsamen Tagen bei McLaren - und mit einem Werksteam in der Formel 1 zu fahren, ist sicherlich nicht das Schlechteste.


Fotostrecke: Die Vertragslaufzeiten der aktuellen Formel-1-Fahrer

Allerdings müsste er sich 2025 auf ein schwieriges Jahr einstellen, wo er im Glücksspiel-Werbeauto von Sauber wahrscheinlich Probleme haben würde, im ganzen Jahr auf die Punkte zu kommen, die er alleine am gestrigen Sonntag eingefahren hat.

Warum nicht in der Zwischenzeit zu Mercedes gehen? Die Silberpfeile sind auf der Suche nach einem Nachfolger für Lewis Hamilton und könnten mit Sainz einen Fahrer holen, der langjährige Erfahrung aus einem Spitzenteam mitbringt - und Know-how.

So könnte man vielleicht die Zeit überbrücken und Junior Kimi Antonelli erst einmal seine Sporen bei einem kleineren Team verdienen lassen. Und Sainz hätte ein gutes Cockpit und könnte sich dort für mehr empfehlen.

Schließt sich der Kreis mit Red Bull?

Oder was wäre mit einer Rückkehr zu Red Bull? Das halte ich nicht für ausgeschlossen. Zwar hatte sich Sainz vor einigen Jahren aus dem Red-Bull-Kosmos verabschiedet, doch ich bin sicher, dass die Brücken noch vorhanden sind.

Sergio Perez konnte in Australien zumindest wieder nicht überzeugen und hat in seinen mittlerweile mehr als drei Jahren bei Red Bull einiges vermissen lassen. Dass man Yuki Tsunoda oder Daniel Ricciardo hochzieht, daran glaube ich nicht. Schon Helmut Marko sagte vor dem Rennen, dass beide zu langsam sind. Rumms!

Ricciardo enttäuscht bislang in allen Rennen, und ob Yuki Tsunoda ein Upgrade zu Perez wäre, das bezweifle ich auch.

Carlos Sainz, Max Verstappen

Max Verstappen und Carlos Sainz waren 2015 Teamkollegen bei Toro Rosso Zoom

Aber Sainz könnte eines sein. "Manchmal muss man auch außerhalb des Pools schauen", sagt Teamchef Christian Horner und deutet an: "Heute hat ein sehr schneller, aber arbeitsloser Fahrer das Rennen gewonnen."

Rein nach Performance "kann man keine Möglichkeit ausschließen", meint er auf Sainz angesprochen.

Ich finde, das hätte etwas.

Sainz hat bewiesen, dass er durchaus ein Teamplayer ist, der Max Verstappen helfen könnte. Und er könnte für Red Bull Rennen wie gestern gewinnen, bei denen der Niederländer einmal nicht problemfrei zum Sieg fahren kann.


Auch wenn der Fahrer auf der anderen Seite Max Verstappen heißt: Die Chance auf eines der dominantesten Autos der Geschichte würde sich Sainz doch nicht entgehen lassen, oder?

Die Gespräche mit diversen Teams dürften in den kommenden Monaten intensiver werden. Und mit dem Sieg in Australien hat Sainz noch einmal gewichtige Argumente auf seiner Seite.

Der Spanier dürfte letzte Nacht sicherlich gut geschlafen haben - und das nicht nur, weil er körperlich noch völlig erschöpft sein dürfte.

Ihr


Norman Fischer

P.S.: Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat, das erfahrt ihr in der Schwesterkolumne unseres Chefredakteurs Christian Nimmervoll.