Theissen: "Es ist nicht problemlos gelaufen"
BMW Motorsport Direktor Mario Theissen im Interview über den Spionagefall, das Qualifying in Belgien und die Zukunft von Timo Glock
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Herr Theissen, zum FIA-Urteil gegen McLaren-Mercedes gibt es unterschiedliche Meinungen. Manche sagen, darin wird nichts Definitives nachgewiesen, andere sagen, da sind so viele Informationen geflossen, das sei ein starkes Stück. Was ist ihr Fazit?"
Mario Theissen: "Die einen sagen, die Strafe ist nicht hart genug, die anderen sagen, sie ist zu hart. Da gehen die Meinungen weit auseinander. Das zeigt zunächst mal, dass sicher nicht jeder denselben Informationsstand hat. Der meine ist auf jeden Fall lückenhaft, und darüber bin ich auch nicht traurig, denn wir sind in diesen Fall eben nicht involviert und haben damit auch keinen Zugang zu den Details."
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Mario Theissen erwartet morgen in Belgien einen spannenden Grand Prix
"Von außen betrachtet muss man klar sagen: Es ist die härteste Strafe, die im Sport jemals ausgesprochen wurde, da sind sich alle einig. Es hat in meinen Augen die Signalwirkung, die es haben soll, nämlich jedem Team und auch den Personen das klare Signal zu geben, dass das, was dort abgelaufen ist, nicht akzeptabel ist."#w1#
Frage: "Haben Sie die 15 Seiten Urteilsbegründung von der FIA gelesen?"
Theissen: "Nein. Die liegen immer noch auf meinem Tisch."
Frage: "Ein Fachmagazin schreibt, dass der Mercedes-Motor um 20 PS mehr leistet als der von Ferrari. Halten Sie das bei der heutigen Homologierung überhaupt für möglich?"
Theissen: "Ich schätze, dass die Motoren im Feld etwa um den Betrag auseinander liegen oder streuen, nicht mehr mehr. Aber 20 PS zwischen den starken und schwächeren halte ich für denkbar."
Frage: "Und damit kann man hier trotzdem in die erste Startreihe fahren, wie es Ferrari heute geschafft hat?"
Theissen: "Ich habe nicht gesagt, dass der Ferrari ein schwächerer ist..."
Frage: "Aber wäre es möglich?"
Theissen: "Ich sage nur: Ich schätze die Bandbreite auf 20 bis vielleicht 30 PS zwischen dem Stärksten und dem Schwächsten. Wer das ist? Keine Ahnung."
Frage: "Kann man so ein PS-Defizit mit Auto und Aerodynamik aufholen?"
Theissen: "Ja. Die Streuung im Feld zwischen dem schnellsten und langsamsten Auto ist viel größer als das, was 20 bis 30 PS ausmachen würden. Das heißt, im Fahrzeug selbst sind ebenfalls große Streuungen. Wenn sie das schwächste Auto mit dem besten Motor kombinieren, dann wird das Paket nicht so weit vorne sein wie das beste Auto mit dem schlechtesten Motor."
Frage: "Wie ist denn der Samstag aus sportlicher Sicht für ihr Team verlaufen?"
Theissen: "Einigermaßen. Es ist heute bei uns natürlich nicht problemlos gelaufen. Robert (Kubica; Anm. d. Red.) hat durch das Motorproblem am Vormittag die ganze Einheit auslassen müssen. Wir hatten über Nacht am Auto noch einiges umgebaut, das er damit vor dem Qualifying nicht kannte. Er ist aus diesem Grund im ersten Qualifyingteil auch zweimal rausgegangen, um sich auf die neue Einstellung einzustellen. Ich muss sagen, er hat das sehr gut gemacht, er ist dann vor allem auch im dritten Qualifyingteil eine sehr gute Zeit gefahren. Er hat das Ziel, nämlich Platz fünf, erreicht, und rutscht damit trotz der Strafe nicht zu weit nach hinten. Ich glaube, er hat ganz gute Chancen, daraus noch etwas zu machen."
Frage: "Ist Williams mit Nico Rosberg ein Problem für euch?"
Theissen: "Das werden wir sehen. Auf jeden Fall hat Nico eine klasse Runde hingelegt. Bei Nick (Heidfeld; Anm. d. Red.) war es nicht ganz so - im entscheidenden Versuch hat er im Mittelsektor Zeit verloren und damit auch diese eine Position."
Frage: "Was war heute die Ursache für den Motorschaden von Robert Kubica im Freien Training?"
Theissen: "Die Ursache wissen wir noch nicht. Es ist zu sehen, dass ein Ventil beschädigt ist, aber ob das jetzt ein fehlerhaftes Ventil war oder ob sonst was passiert ist, das werden wir erst nach der Zerlegung in München feststellen können."
Frage: "Wann ist letztmals ein vergleichbarer Defekt vorgekommen?"
Theissen: "Das weiß ich nicht. Es ist auf jeden Fall einige Zeit her. Ich glaube, Indy 2006."
Frage: "Lag das Motorenproblem auch daran, dass sie in der Weltmeisterschaft einzementiert sind und jetzt experimentieren können?"
Theissen: "Nein, auf keinen Fall. Der Motor ist homologiert. Ich weiß nicht, was das Thema war, aber im Prinzip fahren wir hier mit derselben Motorspezifikation wie auch in den Rennen davor."
Frage: "Sie haben hier im Juli getestet. Was kann man von diesen Daten ein paar Monate später noch übernehmen?"
Theissen: "Schon einiges. Sie können im Prinzip alles das übernehmen, was sich nicht ändert. Da ist zunächst mal vorausgesetzt, die Streckenverhältnisse bleiben gleich. Wir hatten bei dem Test hier zeitweise Regen, aber im Trockenen, bei vergleichbarem Setup, bei vergleichbarer Aerodynamik, da können Sie auch die Ergebnisse in der Regel übertragen. Jetzt haben wir natürlich weiterentwickelt, wir haben wieder ein paar Aeroteile dran. Das lässt dann wiederum Rückschlüsse zu, wie sich die neuen Aeroteile verhalten."
Frage: "Was ist im Rennen für ihr Team möglich?"
Theissen: "Bei Nick wird es drum gehen, Nico Rosberg möglichst bald zu überholen. Dann muss er schauen, wie nahe er sich an den Autos vor ihm halten kann. Bei Robert wird es drum gehen, aus dem Mittelfeld anzugreifen und sich da vorzuarbeiten. Das wird sicher spannend für ihn."
Frage: "Gibt es etwas Neues zu eurem Testfahrer? Bleibt Timo Glock?"
Theissen: "Es gibt nichts Neues. Wir würden ihn gerne halten, aber es gibt noch keine Entscheidung."
Frage: "Solange es keine Entscheidungen gibt, darf er auch nicht testen, oder?"
Theissen: "Doch. Er ist in diesem Jahr Testfahrer, damit wird er auch eingesetzt. Die Entscheidung hat ja nichts mit diesem Jahr zu tun."
Frage: "Aber wenn er schon woanders unterschrieben hat, würde man ihn doch nicht mehr ins Auto lassen..."
Theissen: "Das ist ja auch nicht der Fall. Er hat nirgendwo unterschrieben. Die Situation ist offen."
Frage: "Wie ist die Regelung für Japan jetzt, wo ja parallel das Saisonfinale der GP2 in Valencia stattfindet?"
Theissen: "Für Japan ist die Regelung so: Falls Timo bei den letzten Rennen in Valencia um den Titel kämpft, wird er dort antreten. Falls am Freitag bei uns in Japan ein Fahrer ausfällt, holen wir ihn rüber - dann muss er auf das Valencia-Rennen verzichten. Im anderen Fall kann er fahren. Passiert bei uns was am Samstagvormittag, haben wir Pech gehabt. Das Risiko gehen wir ein."
Frage: "Das heißt, ihr drückt ihm jetzt ganz fest die Daumen, dass er morgen gewinnt, richtig?"
Theissen: "Ja, das ist allerdings außer Reichweite."
Frage: "Sie haben gesagt, die Aufgabe des Testpiloten ist nicht mehr die, die es einmal war. Ist das ein Nachteil für ein Team?"
Theissen: "Nicht für das Team, aber für die jungen Piloten. Bei den Teams ist es für alle gleich: Wir testen weniger - jeder muss aus weniger Kilometern das Beste machen. Das bedeutet auch: Jeder Kilometer muss maximal genutzt werden, und das führt einfach dazu, dass wir die Stammfahrer möglichst viel im Auto haben wollen. Das ist natürlich ein Nachteil für junge Fahrer, die reinkommen wollen und Erfahrung sammeln müssen."