• 08.11.2016 23:53

  • von Daniel Halder

Ross Brawn: Auf Irrwegen zu Hamiltons Verpflichtung

Der ehemalige Mercedes-Boss bestätigt, dass er Lewis Hamilton 2012 zu den Silberpfeilen lotste - Warum das Geheim-Treffen beinahe aufgeflogen wäre....

(Motorsport-Total.com) - Es war ein Paukenschlag in der Formel 1: Ende September 2012 verkündete McLaren-Zögling Lewis Hamilton seinen Wechsel vom britischen Traditionsrennstall zum Mercedes-Werksteam. Dort übernahm Hamilton 2013 das Cockpit von Michael Schumacher, um in den Folgejahren zu zwei Weltmeistertiteln mit dem Silberpfeil zu fahren. Eine gute Entscheidung, für die in erster Linie der damalige Mercedes-Teamchef Ross Brawn verantwortlich ist. "Ross sprach in der Küche meiner Mutter mit mir darüber, zu Mercedes zu kommen", so der Dreifach-Champion, der damit auch der Version seines jetzigen Aufsichtsratschef Niki Lauda widerspricht.

Titel-Bild zur News: Ross Brawn, Lewis Hamilton, Sebastian Vettel

Ross Brawn (l.) war 2013 Mercedes-Teamchef von Lewis Hamilton Zoom

Lauda hatte stets betont, er habe nach dem verpatzten Singapur-Grand-Prix 2012 Hamilton zum Wechsel überredet. Brawn, der Mercedes nach der Saison 2013 verließ, bestätigt in einem Interview mit der 'BBC' die Version seines Ex-Piloten. Das Gespräch in der Küche von Hamiltons Mutter Carmen Lockhart bleibt dem Briten noch aus einem anderen Grund unvergessen: Er hatte sich auf dem Weg dorthin verfahren. "Das Ganze musste damals sehr diskret ablaufen, denn er stand ja bei McLaren unter Vertrag", berichtet der 61-Jährige. "Also fragte ich ihn, wo wir uns heimlich und abgeschieden treffen können - und er sagte: 'Bei meiner Mum.'"

Tatsächlich sei der damals 27-Jährige aber etwas geschockt gewesen, als Brawn nach der Adresse fragte. "Er dachte wohl nicht, dass ich wirklich ins Haus seiner Mutter komme, aber für mich klang der Plan logisch. Das Problem war nur: Auf dem Weg habe ich mich verfahren und konnte es nicht finden. Also rief ich ihn an und er hat es beschrieben. Als ich schließlich ankam, stand er mitten auf der Straße und winkte mir", verrät Brawn lachend. "Und ich dachte mir: Ups, das ist jetzt vielleicht nicht so heimlich, wie ich es geplant hatte..."

Große Überwindung, McLaren zu verlassen

Trotz der kleinen Panne verlief das anschließende Gespräch aber reibungslos und gut. "Seine Mutter ist reizend und wir tranken ein paar Tassen Tee. Ich habe ihm alles erklärt und ihm gesagt, dass Mercedes für ihn in den kommenden Jahren ein toller Platz wäre." Die Stuttgarter hatten sich damals auf ein langjähriges Formel-1-Engagement festgelegt, das im Aufbau befindliche Werksteam erzielte stetige Fortschritte und entwickelte sich in Richtung eines Siegerteams. Argumente, die bei Hamilton verfingen.

Dennoch wollte Brawn auf Nummer sicher gehen und arrangierte ein weiteres Treffen. "Diesmal mit Bob Bell (damals Technischer Direktor; Anm. d. Red.) und Andy Cowell (Mercedes-Motorenchef; Anm. d. Red.). Ich habe mich absichtlich zurückgezogen, weil ich wollte, dass sie Lewis alles erklären, was wir mit dem Chassis und dem Motor vorhatten." Nach diesem Meeting sei Hamilton vom Silberpfeil-Projekt überzeugt gewesen, so der ehemalige Teamchef, der nicht leugnen will, dass es den McLaren-Piloten große Überwindung kostete, sein gemachtes Nest in Woking zu verlassen.


Lewis Hamiltons Karriere in Bildern

"Für ihn war das schon schwierig", vermutet Brawn. "Er war McLaren gegenüber sehr loyal und zeigte viel Respekt für die Leute dort, die ihn sein ganzes Leben gefördert haben." Dennoch sei Hamilton damals an einem Punkt seiner Karriere gewesen, an dem er eine neue Umgebung und Herausforderung kennenlernen wollte. "So etwas haben wir doch alle schon mal erlebt. Ich habe Ferrari auch nach zehn Jahren verlassen, einfach weil ich dachte, jetzt sei der richtige Zeitpunkt dafür", sagt der ehemalige Weltmeistermacher von Michael Schumacher.

Privatleben hat keine Auswirkungen auf Hamiltons Leistungen

Ein Jahr lang arbeitete Brawn in der Formel-1-Saison 2013 mit dem Top-Piloten zusammen, ehe er selbst Mercedes den Rücken kehrte. In dieser Zeit lernte er seinen Landsmann als leidenschaftlichen und professionellen Fahrer kennen. "Er ist sehr professionell, sehr auf seine Fitness bedacht. Ich weiß, dass viele über sein Privatleben reden. Aber alles was er tut, hatte noch nie irgendwelche negativen Auswirkungen auf seine Leistung", so das ehemalige Teamoberhaupt.

Ross Brawn (Teamchef), Michael Schumacher

Mit Michael Schumacher gewann Brawn bei Benetton und Ferrari sieben WM-Titel Zoom

Zudem habe Hamilton sein technisches Verständnis laut Brawn in den vergangenen Jahren extrem verbessert. "Ich weiß nicht, wie sie es zuvor bei McLaren gehandhabt haben. Aber ich wusste von Fahrern wie Schumacher, dass sie sie sich extrem in die technische Entwicklung einmischen. Lewis besaß diese Fähigkeiten auch, aber erst in den letzten Jahren hat er sie geschärft und bringt sich nun auch verstärkt so ein", verrät der 61-Jährige.

Gebannt verfolgt der Brite auch heute noch das erbitterte Duell seiner beiden ehemaligen Piloten und langjährigen Mercedes-Fahrer. "Nico (Rosberg; Anm. d. Red.) und Lewis zu beobachten ist hochinteressant. Jeder von beiden hat andere Vorzüge und es ist spannend zu sehen, wie sie voneinander lernen und sich manchmal etwas vom anderen abschauen, ohne jemals vom eigenen Weg abzukommen", schwärmt der Ex-Boss, der aus emotionalen Gründen dieses Jahr lieber Rosberg als Champion sehen würde.