Horner-Affäre: Warum der angebliche "Barrister" nicht unabhängig sein kann
Der "unabhängige" Ermittlungsanwalt von Red Bull vertritt in Wahrheit den Yoovidhya-Clan - und die Frau hat den Fall jetzt einem Arbeitsgericht gemeldet ...
(Motorsport-Total.com) - Auch wenn es in Melbourne und Suzuka den Anschein hatte, es sei wieder Ruhe eingekehrt ins Formel-1-Programm bei Red Bull: In Wahrheit ist die Affäre um Teamchef Christian Horner noch lange nicht beendet. Erstens, weil noch zwei Verfahren gegen den 50-Jährigen laufen. Und zweitens, weil immer wieder neue Details auftauchen, deren Optik nicht gerade dazu beiträgt, das Thema als erledigt zu den Akten legen zu können.
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Zwischen Chalerm Yoovidhya und Christian Horner besteht ein Nahverhältnis Zoom
Dass sich der englische Boulevard, die sogenannte "Fleetstreet", mit Zeitungen wie der Sun oder der Daily Mail, seit Wochen konsequent an Horner abarbeitet, ist nicht neu. Doch jetzt hat auch die altehrwürdige BBC mit einem Bericht für Aufsehen gesorgt, in dem erstmals eine Person aus dem Umfeld jener Frau auspackt, die die Vorwürfe gegen Horner ursprünglich erhoben hat.
In dem Bericht stechen zwei Details ins Auge. Erstens: Horners ehemalige Assistentin hat den Fall bereits bei einem öffentlichen Arbeitsgericht registriert, weil sie "fest entschlossen" sei, "dass die Wahrheit rauskommt".
Und zweitens: "Sie versteht nicht, angesichts der vorliegenden Informationen, wie ein unabhängiger Prozess zu den Schlüssen kommen kann", zu denen die Compliance-Untersuchung des Red-Bull-Konzerns gekommen ist. Und sie verstehe auch nicht "die Handlungen, die daraus abgeleitet wurden".
Über die Unabhängigkeit der Horner-Untersuchung wurden von Anfang an Zweifel gestreut. Jetzt ist auch klar warum. Das Branchenmagazin BusinessF1 hat in seiner Aprilausgabe erstmals den Namen jenes "unabhängigen Ermittlungsanwalts" veröffentlicht, der seitens Red Bull beauftragt war, die Vorwürfe auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.
Wer ist eigentlich der angebliche "Barrister" oder "KC"?
Es handelt sich dabei laut BusinessF1 um Peter Blake-Turner, einen 74-jährigen Juristen, der weder "Barrister" noch "KC" (Kronanwalt) ist, wie von englischen Medien wochenlang berichtet wurde, sondern ein ganz normaler Rechtsanwalt, der eigenen Angaben nach gerade erst von seinem Nebenjob als Vorsitzender einer kleinen Versicherungsgesellschaft zurückgetreten ist.
Blake-Turner schreibt auf seiner eigenen Website, er berate "den Vorstand eines internationalen Privatunternehmens auf höchster Ebene", und zwar "insbesondere die Mehrheitsaktionäre dieses Unternehmens". Das internationale Privatunternehmen ist Red Bull. Und die Mehrheitsaktionäre sind die Mitglieder des Yoovidhya-Clans, der 51 Prozent des Red-Bull-Konzerns kontrolliert.
Dass ausgerechnet dieser Mann die Red-Bull-interne Untersuchung gegen Horner durchgeführt hat, obwohl in der Branche bekannt ist, dass ein persönliches Nahverhältnis zwischen Chalerm Yoovidhya und Horner besteht, wirkt von außen betrachtet äußerst fragwürdig und erklärt, warum im Paddock seit Wochen an der Unabhängigkeit der Untersuchung gezweifelt wird.
BusinessF1 schreibt unter anderem: "Die Personalabteilung von Red Bull wartete auf seinen Bericht [...]. Doch Blake-Turner kündigte plötzlich an, dass er für zwei Wochen in den Urlaub fahren und der Bericht nicht fertig sein würde, bis er zurückkehrt. Ob er in den Urlaub fuhr oder nicht, das weiß niemand. Wahrscheinlich brauchte er die zwei Wochen, um den Bericht zu überarbeiten."
Welche drei Verfahren jetzt noch laufen
Angesichts solcher Erkenntnisse über die Horner-Affäre werden Rufe lauter, die in der Formel 1 eine Verpflichtung zu mehr Transparenz fordern. Die könnte zum Beispiel der Automobil-Weltverband FIA schaffen, dessen Compliance von Horners ehemaliger Assistentin ebenfalls aufgefordert wurde, den Fall zu untersuchen. Das Verfahren ist bereits im Gange.
Red-Bull-intern hat die Frau von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht, gegen die erstinstanzliche Entscheidung, die Horner von jeder Schuld freigesprochen hatte, Berufung einzulegen. Welche Kanzlei von Red Bull damit beauftragt wurde, den Berufungsprozess durchzuführen, ist nicht bekannt. Blake-Turner LLP kann es angesichts der jüngsten Medienberichte wohl nicht mehr sein.
Verschwiegenheitserklärung: Frau darf nicht sprechen
Christian Horner schweigt indes weiterhin eisern. Auch zum Bericht der BBC. Konkret auf die Aussagen der Person aus dem Umfeld der Frau angesprochen und ob er diese kommentieren möchte, meinte er am Sonntagabend in Suzuka nur: "Nein."
Kein Wunder: Ein Sprecher von Red Bull Racing hat inzwischen gegenüber der BBC bestätigt, dass Horner und die Frau eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben haben, die ihnen nicht erlaubt, über den Fall zu sprechen. Eine Vereinbarung, die, so hört man das zumindest, nicht von der Frau ausging, sondern die Horner ein besonderes Anliegen gewesen sein soll.
BBC berichtet: Es geht um Vorwürfe sexueller Belästigung
Die BBC schreibt darüber hinaus in ihrem Bericht: "Bis jetzt wurde die Beschwerde als eine über unangemessenes und kontrollierendes Verhalten beschrieben. Red Bull sagt, sie können nicht bestätigen, dass es sich auch um Vorwürfe sexueller Belästigung handle. Aber BBC Sport hat entsprechende Beweise gesehen."
In diesem Zusammenhang bestätigt die Person aus dem Umfeld der Frau auch erstmals die Echtheit jener 79 Dateien, deren Veröffentlichung am 29. Februar Schlagzeilen gemacht hat. Die BBC-Quelle sagt: "Wenn es wirklich ein fairer und unabhängiger Prozess war und kein Fehlverhalten festgestellt wurde, warum [...] stellt Christian dann nicht einfach klar, dass die WhatsApp-Nachrichten nicht echt sind?"
Horner hatte die geleakten Screenshots von den persönlichen Nachrichten als "anonyme und spekulative Nachrichten aus unbekannter Quelle" abgetan, auf sehr konkrete Fragen nach deren Echtheit aber stets ausweichend oder gar nicht geantwortet und sich in diesem Zusammenhang auf die Verschwiegenheitserklärung berufen.
Jetzt sagt die Person aus dem Umfeld von Horners ehemaliger Assistentin: "Wir alle können die WhatsApps lesen, und jeder kann dann seine eigenen Schlüsse draus ziehen, ob das eine angemessene Beziehung zwischen einem Geschäftsführer und seiner persönlichen Assistentin war."
Die betroffene Frau breche "jedes Mal in Tränen aus, wenn ich sie etwas frage. Sie hat niemanden, mit dem sie drüber reden kann, weil ihr nicht gestattet wird zu reden. Sie ist sehr verärgert, sehr wütend, sehr verängstigt, sehr eingeschüchtert, sehr einsam. Es ist unmöglich für andere Menschen, zu verstehen, was es bedeutet, in ihren Schuhen zu stecken."
Marko schweigt weiterhin eisern zur Horner-Affäre
Die Horner-Affäre ist also noch lange nicht ausgestanden. Das wird frühestens passieren, wenn die Complianceverfahren von Red Bull und der FIA ebenso abgeschlossen sind wie das Verfahren vor dem englischen Arbeitsgericht, das noch nicht einmal begonnen hat. Bis zu einem finalen Ergebnis kann es also, zumindest rein theoretisch, noch Jahre dauern.
Indes tobt hinter den Kulissen weiterhin ein durch die Horner-Affäre ausgelöster Machtkampf, bei dem im schlimmsten Fall Schwergewichte wie Max Verstappen, Adrian Newey und Helmut Marko das Team verlassen könnten. Marko redet seit Wochen nicht mehr über den Fall, versucht aber gegenüber Sky zu kalmieren, wenn er sagt: "Wenn es ins Rennen geht, dann passt alles."
Und was ist hinter den Kulissen wirklich los, wenn es gerade nicht ins Rennen geht, Herr Doktor?
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