Helmut Marko: Bin Dennis "richtig dankbar" für Honda-Veto
Red Bull hat laut Helmut Marko "40, 50 PS" weniger zur Verfügung als Mercedes - Sonderlob für Mercedes-Vorstand Ola Källenius, Dank an Ron Dennis
(Motorsport-Total.com) - Als Red Bull Ende 2015 ohne Motoren für die Saison 2016 dastand und kurzzeitig sogar mit einem Formel-1-Ausstieg liebäugelte, war der österreichische Energydrink-Hersteller knapp davor, einen Deal mit Honda abzuschließen. Das scheiterte letztendlich nur am Veto des damaligen McLaren-Teamchefs Ron Dennis, der auf seine Exklusiv-Vereinbarung mit dem japanischen Hersteller pochte.
© Red Bull
Helmut Marko ist heilfroh, nicht den V6 von Honda bekommen zu haben, die er wollte Zoom
Im Nachhinein ist man bei Red Bull heilfroh darüber, dass es so gekommen ist. "Ich muss zum ersten Mal sagen: Ich bin Ron Dennis richtig dankbar, dass er mit seinem Veto unsere Honda-Ambitionen gekillt hat. Sonst würden wir jetzt eventuell Honda-Motoren haben", erklärt Motorsportkonsulent Helmut Marko im Interview mit 'Motorsport-Total.com'.
Er war davon ausgegangen, dass sich Honda nach der schwierigen Premierensaison 2015 fangen würde: "Dass Honda so daneben greift, ist überraschend. Hätte ich nie geglaubt", gibt Marko zu. Hundertprozentig zufrieden ist er freilich auch mit dem aktuellen Partner Renault nicht: "Leider sind wir in all diesen Bereichen in der Hackordnung derzeit Nummer drei. Das macht es schwierig", spricht er die Punkte Topleistung, Energienutzung, Verbrauch und Fahrbarkeit an.
Marko: Mercedes-Motor "in allen Bereichen überlegen"
Neidisch blickt Marko auf die Mercedes-Motoren ("Der Leistungsunterschied liegt bei 40, 50 PS") seines Landsmannes Niki Lauda: "Das Mercedes-Paket ist einfach in allen Bereichen überlegen. Nur in der Topleistung ist Ferrari schon nahe dran. Aber im Qualifying-Modus hauen sie immer noch fünf Zehntel drauf - auch wenn Lauda sagt, es sind nur drei."
Und: "Sie können diesen Modus auch im Rennen für einige wenige Runden abrufen. Das merkt man, wenn einer hinten dran ist. Plötzlich ist kein Überholen mehr möglich, sondern der Mercedes zieht wieder weg. Aber das können sie nicht mehr als fünf, sechs Runden pro Rennen." Marko rechnet vor: Auf eine komplette Renndistanz gesehen gewinnt Mercedes alleine durch den Antriebsstrang zehn bis 15 Sekunden auf die Renault-Teams.
Immerhin kann dieser Rückstand rein theoretisch aufgeholt werden, denn das umstrittene Token-System, durch das die Motorenhersteller in der Weiterentwicklung während der Saison eingeschränkt waren, wurde abgeschafft. Nur: Wenn es stimmt, dass Mercedes in Brixworth das beste Equipment, die smartesten Ingenieure und das meiste Geld hat, dann müsste der Abstand zur Konkurrenz eigentlich eher größer als kleiner werden.
Keine Token mehr: Fluch oder Segen für Renault?
Also: Ist die Abschaffung des Tokensystems aus Sicht von Red Bull in Wahrheit Fluch - oder doch Segen, wie bisher stets behauptet wurde? "Es ist ein Segen", stellt Marko klar. "Sonst wäre die Übermacht von Mercedes überhaupt nie angreifbar gewesen. Ferrari ist das gelungen." Gleichzeitig sagt er: "Wenn es so weitergeht, wird Mercedes mit ihren technischen und finanziellen Ressourcen immer vorne bleiben."
Aber: Erstens haben sich Renault und Co. inzwischen innovative Systeme wie die Vorkammerzündung von Mercedes abgeschaut, zweitens haben sie in die Verbesserung etwa von Prüfständen investiert - und drittens gibt es auch auf Personalseite "immer eine Fluktuation", sagt Marko. Bestes Beispiel: Der langjährige Mercedes-Motorenbauer Mario Illien hat erst Renault beraten, wie man den V6-Hybrid-Turbo auf Vordermann bringen könnte, und soll nun eine ähnliche Funktion für McLaren-Honda ausüben.
Mercedes-Mitarbeiter wechseln zur Konkurrenz
"Mercedes verliert auch Mitarbeiter, und die anderen kopieren ihr Konzept. Und manchmal ist die Kopie besser als das Original", glaubt Marko. "Mercedes hat reagiert und nachgelegt. Auf der Strecke sind sie ohne Zuverlässigkeitsprobleme, aber ich weiß, dass ihnen auf dem Prüfstand auch schon zumindest zwei Triebwerke hochgegangen sind."
Mercedes nimmt die Challenge von Ferrari und Renault ernst. Gegen die Idee, Kundenmotoren an McLaren zu liefern, um mehr Geld zu verdienen, hat Lauda sein Veto eingelegt. Toto Wolff, so hört man, wäre dafür. Kurios: Als es darum ging, Kundenmotoren an Red Bull zu liefern, war es genau umgekehrt: Lauda dafür, Wolff dagegen.
Lauda möchte zusätzlichen Aufwand von seiner Motorengruppe um Andy Cowell fernhalten. Der ist der Mastermind jenes Grundkonzepts, mit dem Mercedes die Formel 1 seit Einführung der aktuellen Motorenformel im Jahr 2014 dominiert. Der Grundstein für die Erfolgsära wurde lange vor Wolff/Lauda gelegt, als Teamchef Ross Brawn und Sportdirektor Norbert Haug beim Vorstand durchsetzen konnten, 2012 und 2013 enorme Summen in die Entwicklung der neuen Motoren zu investieren.
Marko: Die Lorbeeren gebühren nicht Wolff und Lauda
"Man muss die Lorbeeren verteilen, wie sie richtig verteilt gehören", meint Marko. "Das waren Ross Brawn und, ganz wichtig, Ola Källenius, der damals für das Werk in Brixworth verantwortlich war." Källenius gilt inzwischen als möglicher Nachfolger von Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche. Er hat in der wichtigsten Phase erkannt, was andere verschlafen haben.
"Zu dem Zeitpunkt hat Renault noch geträumt, weil sie dachten, dass ihnen bei einem Motor mit Turbo überhaupt nichts passieren kann", spielt Marko auf die erfolgreiche Turbo-Vergangenheit der Franzosen in der Formel 1 an. "Währenddessen erkannte Mercedes schon die ersten Probleme auf ihrem Komplettprüfstand. So einen hatte Renault am Anfang gar nicht. Renault hat die Komplexität dieser Power-Unit unterschätzt."
Renault arbeitet an Problemen mit der MGU-K
Doch zunächst einmal gilt es, die kurzfristigen Probleme aus der Welt zu schaffen. So musste Renault in Melbourne auf die 2017er-MGU-K verzichten, weil sich diese als unzuverlässig herausstellte. Die 2016er-Version ist jedoch um fünf Kilogramm schwerer und erfordert ein zusätzliches Kilogramm Gewicht für sogenannte "Air-Bottles", um den erhöhten Kühlbedarf zu stillen.
Für das fünfte Saisonrennen in Barcelona Mitte Mai hat Renault ein Update angekündigt; allerspätestens im Juni in Montreal soll eine größere Ausbaustufe gezündet werden. "Durch das MGU-K-Problem wurde die ganze Renault-Entwicklung nach hinten hinausgeschoben", bedauert Marko. "Wir hoffen, dass wir mit dem Barcelona-Update zumindest ein bisschen mehr Motorleistung freigeben können. Da ist Renault bisher sehr konservativ, um keine Zuverlässigkeitsrisiken einzugehen."
Neben dem höheren Gewicht und der verringerten Performance vor allem in Freien Trainings, um die Lebensdauer der Motoren nicht zu sehr zu strapazieren, hat das Vorgehen von Renault eine sekundäre Auswirkung, die für Red Bull erschwerend hinzukommt: "Wenn du am Freitag mit noch weniger PS fährst, wird ja auch die Abstimmung schwieriger." Weil das Set-up am besten mit jenen Kurvengeschwindigkeiten getestet wird, die dann auch maximal gefahren werden können.