Harte Kritik aus Italien an Ferrari
Den Strategiefehler beim WM-Finale werden wohl nicht nur die italienischen Medien "schwer vergessen und vergeben" - Rücktrittsforderungen an Montezemolo
(Motorsport-Total.com/SID) - Das stolze schwarze Pferd steht still und traurig in seiner Box. Die Rede ist vom "Cavallino Rampante", dem aufsteigenden Hengst mit der wilden Mähne im Wappen derer von Maranello. "Ferrari Harakiri" titelt der 'Corriere dello Sport' nach der Schmach von Abu Dhabi. Italien trägt Trauer, das rote Herz der Formel 1 ist gebrochen, das Theater der Träume bleibt erstmal geschlossen.
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Bei Ferrari ist die Stimmung nach der WM-Niederlage am Tiefpunkt angelangt
Ein Schuldiger für das Desaster in der Wüste war schnell gefunden. Luca di Montezemolo, Ferraris adliger Präsident, soll möglichst umgehend in selbige verschickt werden. Roberto Calderoli, Minister in Silvio Berlusconis Regierungspartei Lega Nord, formulierte eine drastische Forderung an den Grafen: "Ferrari ist es gelungen, einen fast gewonnenen WM-Titel dank einer schwachsinnigen Strategie zu verlieren. Wir erwarten bis Ende der Woche Montezemolos Rücktritt."
Der Ferrari-Präsident kommentiert diese Forderung so: "Es tut uns leid zu sehen, dass einige Politiker, die sofort auf den Triumphzug aufspringen würden, sofort das Fallbeil lösen, wenn es schlecht läuft. In diesem harten Sport kann es nur einen Gewinner geben. Wir haben bis zum letzten Rennen um den Titel gekämpft und stark aufgeholt, als die Kritiker uns vor vier Monaten schon geschlagen gesehen haben."
"Wir sind immer vereint geblieben, wie ein richtiges Team, und haben die Stärken von Ferrari gezeigt, denn wir haben die Zähne zusammengebissen und nie aufgegeben. Wir haben Ferrari wieder zu einem Siegerteam gemacht, so wie es sein soll. Seit 1997 haben wir mit zwei Ausnahmen den Titel gewonnen oder haben darum beim letzten Rennen gekämpft. Niemand hat mehr als unsere 14 Titel gewonnen. Im Sport liegen Sieg und Niederlage eng beisammen. Man muss eine Niederlage genauso akzeptieren, wie man einen Sieg genießen kann."
So weit wie Calderoli sind die italienischen Medien noch nicht, im Land der unbegrenzten Emotionen war zunächst kollektives Trauern angesagt. "Es war reiner Selbstmord, Ferrari hat sich selbst aus dem Weg geräumt", schrieb die 'Gazzetta dello Sport' und sprach in dumpfer Vorahnung von einem Fehler, "den man schwer vergessen und vergeben wird". 'La Repubblica' wetterte über ein Desaster, eine blinde Strategie, die Vernichtung der Nazionale mit dem roten Herzen: "Verloren haben Ferrari, Alonso und ganz Italien."
Maranello ist gelähmt. Kein Glockengeläut, kein Autokorso, stattdessen Frust und Katerstimmung. "Wir haben das schlechteste Rennen der Saison bestritten und mehrere Fehler gemacht", sagt Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali. Er klagt über den Druck des Gewinnens, den Fluch der Legende: "Bei Ferrari sind wir zum Erfolg verurteilt. Wenn wir auf Platz zwei landen, ist es schon eine Niederlage." So ist der Sport, nicht nur die Formel 1.
Und als habe man nicht schon genug zu ertragen, watschte auch noch der millionenschwere Unternehmer Piero Lardi Ferrari, Sohn des legendären Firmengründers Enzo Ferrari, die Scuderia nach allen Regeln der Kunst ab. "Es ist wie ein böser Traum, aus dem ich gerne erwachen würde. Es macht mich sprachlos, was in Abu Dhabi geschehen ist", flüstert der 65-Jährige, der in der Vorfreude auf einen sicheren Sieg ausnahmsweise selbst vor Ort war.
Der Chef bemühte sich derweil um Haltung und Grandezza. "Wir blicken nach vorne, weil wir auch nächstes Jahr gewinnen wollen", sagt di Montezemolo, und sein Anstand verbat es ihm, die Rücktrittsforderungen zu kommentieren: "Seit 60 Jahren kämpfen wir um den Titel, und wir werden weiterkämpfen. Es ist wie im Leben, manchmal haben wir gewonnen, manchmal im letzten Rennen verloren, wie 2008 mit Felipe Massa." Und wie 2010 mit Fernando Alonso.
Der wollte eigentlich am liebsten gar nichts mehr sagen, immerhin war es ihm aber ein Bedürfnis, dem neuen Weltmeister und seinem Team zu gratulieren. "Sie waren in der gesamten Saison immer dieses kleine bisschen besser als wir und haben deshalb verdient gewonnen", sagt der nicht mehr ganz so stolze Spanier. Bei Ferrari müsse man vor allem sicherstellen, "dass sich die Fehler, die wir alle in diesem Jahr gemacht haben, nicht wiederholen".
Das wäre ein Anfang, bei dem aber der hauptverantwortliche Renningenieur Chris Dyer möglicherweise nicht mehr dabei sein wird. Der gebürtige Australier hatte das Kommando zu jenem frühen Boxenstopp gegeben, der Alonso am Ende den Titel kostete. "Wir haben die falsche Entscheidung getroffen, und dafür gibt es keine Entschuldigung", sagt Dyer: "Wir haben uns zu sehr darauf konzentriert, Webber hinter uns zu lassen, und haben nicht mehr gesehen, was genau vor unserer Nase passiert ist." Doch, einer hat es gesehen. Alonso. 40 Runden lang. Das Heck von Vitali Petrovs Renault.
Bei Ferrari leckt man die Wunden und blickt bereits nach vorne. "An einem harten Tag wie diesem muss man trotzdem auf das Erreichte stolz sein", so Montezemolo. "Wir wollen uns bei unseren Fans bedanken, die uns immer leidenschaftlich unterstützen, aber auch für die Kritik, die jedoch immer mit Zuneigung geäußert wird. Lasst uns nun die neue Saison mit einem noch größeren Siegeswillen beginnen."