Die Benzin-Durchfluss-Begrenzung und wie sie funktioniert
Ein Blick hinter die Kulissen der Formel-1-Technologie: Die Benzin-Durchfluss-Begrenzung, wie sie funktioniert und wie die Teams kontrolliert werden können
(Motorsport-Total.com) - Einfach Vollgas. Das war einmal. Denn "Spritsparen" ist das neue Zauberwort in der Formel 1, die 2014 so effizient wie niemals zuvor sein will. Dazu gehört auch, dass die Fahrzeuge pro Grand Prix nicht mehr als 100 Kilogramm Sprit verbrauchen dürfen. Und was noch einen Schritt weiter geht: Die maximale Benzin-Durchfluss-Menge ist ebenfalls begrenzt. Was schon für Ärger gesorgt hat.
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Leistung - und wie sie in der Formel 1 ab 2014 durch Sensoren überprüft wird Zoom
Denn bereits beim Formel-1-Saisonauftakt im australischen Melbourne wurde ein Fahrer den neuen Anforderungen nicht gerecht und daher nachträglich aus der Wertung genommen - Daniel Ricciardo (Red Bull), der eigentlich auf Platz zwei liegend die Zielflagge gesehen hatte. Sein Auto war im Rennen über die erlaubte Durchfluss-Menge von 100 Kilogramm pro Stunde hinausgeschossen. Die Strafe folgte auf dem Fuße.
Schnell war ein Schuldiger für diese Panne ausgemacht worden: der Sensor im Benzintank des Red Bull RB10, der - darauf beruft sich der Rennstall - nicht ordnungsgemäß funktioniert haben soll. Doch was ist das eigentlich für ein Sensor? Wer hat ihn entwickelt, hergestellt und eingebaut? Welche Daten gibt das Gerät wohin ab? Und wer liest diese Informationen, wertet sie aus und reagiert darauf?
Präzedenzfall beim Saisonauftakt
Diese Fragen waren in den vergangenen Tagen verstärkt aufgekommen, zumal Red Bull angekündigt hatte, die Sache nicht auf sich beruhen lassen zu wollen. Und weil im Freien Training zum Großen Preis von Malaysia in Sepang, zumindest laut Red Bull, erneut die Sensoren verrückt gespielt haben, sah sich der Automobil-Weltverband (FIA) zu einer Klarstellung veranlasst. Eine Pressekonferenz wurde einberufen.
Und so erklärte FIA-Motorenexperte Fabrice Lom den versammelten Journalisten haarklein, was es eigentlich mit den Sensoren zur Kontrolle der Benzin-Durchfluss-Menge auf sich hat. Dabei wurde rasch klar: Mit diesem Instrument hat sich die Formel 1 auf ein hochkomplexes und offenbar auch fehleranfälliges Feld begeben. Doch laut Lom habe man einfach eine gewisse Kontrollinstanz gebraucht.
Der Franzose führt dies auf die Rückkehr der Turbomotoren zurück. Und eben diese gelte es in ihrer Leistung zu limitieren, was in den meisten anderen Rennserien weltweit durch einen Luftmengen-Begrenzer geschehe. Die Formel 1 hat sich jedoch für einen anderen Weg entschieden - der bereits angesprochene Luftmengen-Begrenzer war den Verantwortlichen anscheinend nicht effizient genug.
Warum eine Durchfluss-Mengen-Begrenzung?
So entstand der Ansatz, die Benzin-Durchfluss-Menge im Motor zu regulieren. "Daraus folgt automatisch ein effizienter Motor. Das ist smarter, aber eben auch komplizierter", meint Lom. Und sicherer, wie er betont. "Gäbe es keine Durchfluss-Begrenzung, wäre es das Beste, am Anfang einer Gerade für viel Schub zu sorgen und dann vom Gas zu gehen." Ärger wäre damit vorprogrammiert.
Lom erklärt: "Die dadurch entstehenden Unterschiede bei der Geschwindigkeit wären enorm. Das wäre kein Fahrstil, der der Formel 1 würdig wäre. Auch in Le Mans haben wir das limitiert, weil es uns Sorgen bereitet hat." Deshalb eine Durchfluss-Begrenzung, die die Verantwortlichen jedoch vor ganz andere Probleme gestellt hat. Denn es musste auch eine Möglichkeit zur Überprüfung geschaffen werden.
"So einfach ist das nicht", meint Lom und führt aus: "Eine Messtechnik dieser Art wurde bisher nicht verwendet und auch nirgendwo sonst auf der Welt eingesetzt - nur auf Prüfständen." Und das nicht unbedingt in Formel-1-tauglichem Format, wie der FIA-Motorenexperte anmerkt: "Solche Sensoren waren früher zwei Meter groß und wogen eine halbe Tonne." Also fast so viel wie ein Formel-1-Auto.
Der FIA-Sensor entsteht
"Wir brauchten natürlich ein winziges Teil - und das auch noch für ein fahrendes Objekt", erklärt Lom. "Wir mussten also erst einmal einen Sensor entwickeln, der im Auto messen kann. Zwei Jahre haben wir gebraucht, bis wir diesen Sensor hatten. Und wir haben viele Technologien miteinander verglichen. Die Lösung der Firma Gill erschien uns als die beste, weil es dabei keine beweglichen Teile gibt."
In Zusammenarbeit mit den Herstellern sind auf diese Weise die Formel-1-Sensoren zur Kontrolle der Durchfluss-Menge entstanden. Doch wie finden sie ihren Weg ins Rennauto? Das erklärt Remi Taffin von Renault: "Die Teams kaufen die Sensoren und installieren sie selbst." Die Motorenhersteller wiederum lesen dann nur die Daten dieser Sensoren aus, sind ansonsten aber komplett außen vor.
Wie man sich das vorstellen muss? So: Der FIA-Sensor überwacht die Durchfluss-Menge und gibt diese Daten weiter. "Jeder kann diese Informationen abrufen", sagt Taffin und meint damit Teams, Motorenlieferanten und FIA gleichermaßen. "Wir verfügen also allesamt über die gleichen Daten. Und dieser Datenkanal gibt eine Auskunft darüber, was Sache ist." Die Frage ist nur: Wie genau sind diese Daten?
Wie genau erfolgt die Messung?
Auch darauf hat die FIA eine Antwort parat: Die Sensoren arbeiten bis auf eine maximale Abweichung von 0,5 Prozent akkurat. "Viele der Sensoren funktionieren aber schon jetzt besser als das", sagt Lom und fügt hinzu: "Unser Ziel ist eine Abweichungsquote von unter 0,25 Prozent. Und früher oder später werden wir da hinkommen." Das Problem ist nur: Völlig ausgereift sind die Sensoren offenbar nicht.
Und damit zurück zu Red Bull, die für die Panne in Melbourne einen fehlerhaften FIA-Sensor verantwortlich machen. Tatsächlich muss Formel-1-Rennleiter Charlie Whiting einräumen, dass die neuen Bauteile nicht über jeden Zweifel erhaben sind: "Manchmal scheint das Teil gewissermaßen Schluckauf zu haben. Dass es nicht richtig funktioniert, merkt man aber in jedem Fall auf der Stelle."
Es zeige sich auf technischer Seite umgehend, ob der Sensor seinen Dienst wie vorgesehen verrichte oder eben nicht. Und wenn nicht? Warum? "Das steht auf einem ganz anderen Blatt", meint Whiting. Wenn das Teil aber funktioniert, misst es mit einer Frequenz von fünf Hertz, was sich an Bord des Autos tut. Ganz platt formuliert: Es überprüft, ob das Fahrzeug innerhalb der zulässigen Durchfluss-Werte fährt.
Einmalige "Ausrutscher" werden ignoriert
Dabei ist das gesamte System so ausgelegt, dass einmalige "Ausrutscher" nach oben im größeren Zusammenhang ignoriert werden. Whiting erklärt: "Folgen auf eine bestimmte Anzahl von Überschreitungen entsprechende Unterschreitungen, vergisst das System diese Spitzen. Nur wer innerhalb von zehn Sekunden genügend oft über der Toleranzgrenze liegt, provoziert einen Alarm."
Und was, wenn der Sensor einen "falschen" Alarm produziert? Einen zweiten FIA-Sensor gibt es nicht. "Die Teams schreien ja schon, wenn du einen 300-Gramm-Sensor installieren willst", meint Lom und kann ein Lachen nicht unterdrücken. Er fügt hinzu: "Ein Sensor ist nie hundertprozentig zuverlässig. Deshalb haben wir eine Notfall-Maßnahme eingeplant." Und da kommen die Motorenhersteller ins Spiel.
Die haben jeweils einen Sensor-Vorschlag bei der FIA eingereicht, was in einem zweiten Messgerät an gleicher Stelle mündete. So können die Beteiligten bei Bedarf zwei Werte miteinander vergleichen und so analysieren, ob beim FIA-Sensor ein Fehlverhalten vorliegt. Ein eben solches soll aber schon vorab dadurch ausgeschlossen werden, dass alle FIA-Sensoren umfangreich kalibriert werden.
Dies geschieht beim Kalibrierungsunternehmen Calibra, das sich exklusiv um die Einstellungen der FIA-Formel-1-Sensoren kümmert. Jedes Team hinterlegt dort eine Spritprobe, womit jeweils fünf Sensoren kalibriert werden - anhand von 16 Kalibrierungspunkten auf einer simulierten Runde, und bei fünf Temperatur-Situationen. Übersteigt die Abweichung 0,5 Prozent, werden alle fünf Sensoren aussortiert.
Die richtig kalibrierten Sensoren - für jede Kombination aus Antriebsstrang und Benzinlieferant werden eigene Einstellungen vorgenommen - werden anschließend ausgeliefert, wobei nur vier Sensoren das Werk verlassen. Der fünfte bleibt als Referenz zurück im Werk, falls später ein Fehlverhalten vorliegt und eben dieses untersucht werden muss. Der Rest findet seinen Weg in ein Rennauto. Aber nur vielleicht.
Theoretisch könnten die Teams pro Auto mit einem bis zwei Sensoren pro Saison auskommen. Die Teile weisen laut FIA nämlich eine Lebensdauer von maximal 400 Stunden auf. Eine Garantie auf die Kalibrierung gibt es für 100 Stunden Betriebsdauer. Und das bei einer Saisonlänge von etwa 200 Fahrstunden, wie Lom exemplarisch anführt. Doch erst einmal müssen die Sensoren in die Autos.
Der Red-Bull-Fall wird nicht weiter thematisiert
Diese Aufgabe, wie Taffin bereits geschildert hat, übernehmen die Teams in Eigenregie. Danach erfolgt eine Überprüfung, ob die Teile korrekt eingebaut wurden und ob sie mit korrektem Sprit bedient werden. "Wenn alles in Ordnung ist, erteilen wir unsere Freigabe", erklärt Lom und merkt an: "So können wir sicher sein, dass sich alle Sensoren im gleichen Zustand befinden und dass es fair zugeht."
Das wiederum ist für Red Bull der Stein des Anstoßes. Denn Teamchef Christian Horner empfindet es alles andere als fair, dass bei seinem Rennstall bereits wiederholt Sensoren nicht richtig funktioniert haben, wie er sagt. Das ist aber kein Thema in der FIA-Pressekonferenz in Sepang. Whiting winkt ab: "Den Red-Bull-Fall wollen wir hier und jetzt nicht im Einzelnen besprechen", sagt der Formel-1-Rennleiter.
Und so bleibt in dieser Gesprächsrunde offen, um wie viel Red Bull mit dem Ricciardo-Auto das Durchfluss-Ziel verfehlt hat und wie viel mehr Leistung dadurch abgerufen wurde. Was laut Lom auch völlig unerheblich ist: "Es spielt keine Rolle, was das für einen Leistungsvorteil bedeuten würde. Wenn du dich außerhalb der Regeln bewegst, dann bewegst du dich außerhalb der Regeln. Aus und Schluss."
...und warum dauert das dann so lange?
Eine Frage aber wurde noch beantwortet. Nämlich: Wieso hat es nach dem Großen Preis von Australien so lange gedauert, bis die Disqualifikation gegen Ricciardo ausgesprochen war, wo die FIA doch, wie Lom erklärt, die Daten sämtlicher Autos "in jeder Runde" erhält? Hätte der Regelverstoß nicht schon viel eher auffallen und vor allem viel eher als am späten Abend kundgetan werden können?
Whiting sagt es wohl nicht gern, gibt aber zu Protokoll: "Ich glaube, das hätte schneller gehen können." Doch der Formel-1-Rennleiter verweist im gleichen Atemzug darauf, dass die zuständigen Rennkommissare ihr Urteil nicht ohne ausführliche Begründung herausgeben wollten. "Alleine die Niederschrift hat wohl eine Stunde gedauert. Die Entscheidungsfindung sicherlich ebenfalls", meint er.
"Solche Dinge brauchen eben ihre Zeit. Und dabei darf man nicht vergessen: "Die technische Nachuntersuchung kann nach einem Rennen gut und gern zwei bis zweieinhalb Stunden dauern. In dieser Zeit kann alles Mögliche auftauchen. Die Zeit der Entscheidungsfindung läuft aber erst, wenn wir einen Fehler finden. Künftig wollen wir unsere Untersuchungsergebnisse aber eher bekanntgeben."
Das Problem, dass dann vielleicht bereits ein "falscher" Fahrer auf dem Treppchen gestanden hat, lässt sich dadurch aber wohl nicht lösen. Auch dürften mit der Pressekonferenz nicht sämtliche Zweifel am Sensoren-System zur Durchfluss-Messung ausgeräumt worden sein. Immerhin hat die FIA aber den Schneid gehabt und eingestanden: Ganz im Griff hat sie die Sensoren-Technologie noch nicht...