• 05.03.2015 17:18

  • von Ben Anderson (Haymarket)

Daniil Kwjat: Der junge Stern am Himmel der Formel 1

Daniil Kwjat war in dieser Saison nie für ein Cockpit bei Red Bull vorgesehen, aber jetzt bekommt er mit nur einem Jahr Erfahrung in der Formel 1 diesen Platz

(Motorsport-Total.com) - Die Debatte um das Alter von Max Verstappen und die Beständigkeit in der Formel 1 hat starke Kritik an Red Bull hervorgerufen und dafür gesorgt, dass die FIA ihre Kriterien für die Vergabe einer Superlizenz neu überdacht hat. Dieser Wirbel hat außerdem bewirkt, dass Daniil Kwjats Aufstieg von Toro Rosso zu Red Bull, wo er den zu Ferrari gewechselten Sebastian Vettel ersetzt, fast unbemerkt an denen vorbeigegangen ist, die sich dagegen sträuben, dass immer jüngere Fahrer in die Formel 1 kommen.

Titel-Bild zur News: Daniil Kwjat

Daniil Kwjat muss 2015 zeigen, dass er seinen Platz bei Red Bull verdient hat Zoom

Kwjat fährt erst seit fünf Jahren Autos, Formel-1-Wagen sogar erst seit einer Saison. Das macht ihn im Vergleich zu Verstappen zwar schon zu einem Veteranen, aber für diejenigen, die der Meinung sind, dass Erfahrung unersetzlich ist, stellt es ganz sicher ein Risiko dar, den 20-jährigen Russen Kwjat bei einem der erfolgreichsten Teams in der aktuellen Startaufstellung an die Seite des aufstrebenden Superstars Daniel Ricciardo zu setzen.

Fairerweise muss man sagen, dass Red Bull eingesteht, dass das alles nicht gerade geplant war. Kwjats Vorgesetzte wollten ihm mindestens noch eine weitere Saison geben, um sich bei Toro Rosso zu entwickeln. Aber Vettel hat sie zum Handeln gezwungen, da er in Maranello ein neues Abenteuer suchen wollte, obwohl sein Vertrag eigentlich noch ein Jahr weitergelaufen wäre.

Talent alleine reicht nicht aus

Red Bull hat jungen Fahrern schon immer eine Chance gegeben. Und obwohl sie zugeben, dass sie nicht geplant hatten, ihn so früh in seiner Karriere in diese Situation zu drängen, sind sie gleichzeitig trotzdem davon überzeugt, dass Kwjat den Job erledigen kann. Warum? Um diese Frage zu beantworten hat Autosport mit Toro Rossos technischem Direktor James Key gesprochen, der während Kwjats erster Saison auf dem höchsten Level eng mit dem GP3-Champion von 2013 (als es ebenfalls zu Aufruhr führte, als man ihn aus der GP3 direkt in die Formel 1 holte) zusammengearbeitet hat.

"Das Gute bei ihm ist, dass man sehen kann, dass er ein Naturtalent ist. Trotzdem hört er dir immer zu, wenn du eine Idee hast oder ihm einen Weg vorschlägst, wie er Sachen anders machen kann", erklärt Key und ergänzt: "Er kam aus der GP3, wo man anders bremsen und anders in die Kurven gehen muss als in der Formel 1. Das sind wir mit ihm durchgegangen und er hat sich daran angepasst."


Red Bull vs. Toro Rosso im Kart

Bevor die Formel-1-Saison losgeht messen sich Daniel Ricciardo und Daniil Kwjat schon einmal mit Max Verstappen und Carlos Sainz jun. Weitere Formel-1-Videos

"Er war sehr talentiert und man konnte sehr gut mit ihm arbeiten, was eine brillante Kombination ist. Er war nicht empfindlich oder arrogant und hatte einen tollen Sinn für Humor. Er ist von Natur aus selbstbewusst und muss das nicht erst aufbauen. Er ist ganz einfach so", verrät Key.

Häufig unterschätzen Formel-1-Fans, wie wichtig Charakter und Einstellung sind, wenn man zu einem Top-Piloten werden möchte. Das Juniorprogramm von Red Bull hat den Ruf, knallhart und komplett ergebnisorientiert zu sein. Aber so einfach ist es nicht. Ja, man muss den Job auf der Strecke erledigen, aber das setzt man dort fast schon voraus. Wenn du nicht die richtige Einstellung hast oder nicht lernst, Probleme auf die richtige Art zu lösen, dann werden Speed und Punkte nicht genug sein. Jedenfalls nicht langfristig.

Kwjat unter Druck stark

Genau diese Herangehensweise hat Kwjat 2013 großartig demonstriert. Er hat einen schlechten Saisonstart noch herumgedreht und die GP3 gewonnen. Diese Methodik hat Toro Rosso nachhaltig beeindruckt. "Er hat technisch sehr schnell gelernt und war sehr schlau", berichtet Key und ergänzt: "Er musste in den Rennen lernen, denn die Wintertests liefen nicht gut und er hatte keine Zeit, das ganze Prozedere zu lernen. Aber sein Talent hat es ihm ermöglicht, in Melbourne Punkte zu sammeln."

"Unter Druck war er sehr gut, er wurde nur selten emotional. Malaysia war besonders schwierig für ihn, denn es war sehr heiß und wir hatten damals mit hohem Reifenverschleiß zu kämpfen. Aber trotzdem blieb er ruhig und beendete das Rennen in den Punkten. Ich denke, dass sein Reifenmanagement jetzt viel besser ist als früher. Zu Beginn des vergangenen Jahres hatten wir ein paar Probleme, was vor allem an der fehlenden Testzeit im Winter lag. Aber ich denke, Ende des Jahres hatte er das im Griff."


Red-Bull-Lackierung für 2015

"Ab Monaco hatte er auch im Qualifying den Dreh raus. Da hat er dann die Verbesserungen geschafft, die man mit einem neuen Reifensatz auch erwartet. Das klappt bei einem Rookie oft nicht sofort, aber ab Monaco hatte er kaum noch Probleme", so Key. Kwjats Speed war im vergangenen Jahr bereits sichtbar. Im Qualifying war er meistens schneller als sein erfahrenerer Teamkollege Jean-Eric Vergne und ganz besonders in Österreich und bei seinem Heimrennen in Sotschi konnte er am Samstag überzeugen.

"Unter Druck war er sehr gut, er wurde nur selten emotional." James Key

In den Rennen lief es allerdings nicht immer so rund. Natürlich hatte auch die Unzuverlässigkeit des STR9 damit zu tun, dass beide Fahrer in der Frühphase der Saison Probleme hatten. Aber trotzdem schien Vergne im Rennen schneller zu sein, nachdem das Team diese Probleme gelöst hatte, während Kwjat nur selten zwei konstante Rennen in Folge fahren konnte. Dennoch erklärt Key, dass einige von Kwjats Rennen in der vergangenen Saison außergewöhnlich waren. Die Zuschauer haben das allerdings nicht sehen können.

Monza und Austin "fantastisch"

"Niemand hat das jemals mitbekommen, aber in Monza fuhr er ein fantastisches Rennen", verrät Key und erklärt: "Er startete wegen einer Motorenstrafe hinten und wir sagten ihm: 'Wir wollen Punkte sammeln, also müssen wir etwas komplett anderes machen als alle anderen. Du musst dir deinen Weg durch den Verkehr bahnen. Genau das hat er auch gemacht. Aber weil vorne so viel los war, hat das überhaupt keiner mitbekommen."

"Er hat sich durch den Verkehr gearbeitet, war wirklich schnell und fuhr 30 Runden auf den gleichen Reifen. Dann zog er am Ende die weicheren Reifen auf und jagte eine große Gruppe mit Force India, McLaren und Räikkönens Ferrari. Er holte pro Runde zwei Sekunden auf, also dachten wir, dass er Fünfter werden würde. Aber dann explodierte seine Bremsscheibe und die letzten zwei Runden fuhr er mit drei Bremsscheiben zu Ende."


Fotostrecke: GP Italien, Highlights 2014

"Wir waren enttäuscht und das war er auch. Aber - ausgerechnet in Monza - mit drei Bremsscheiben ins Ziel zu kommen, war außergewöhnlich. Er kam zu uns und sagte: 'Ich habe gerade ein Wunder vollbracht.' In Austin hatten wir mit seiner zweiten Motorenstrafe die identische Situation. Er wusste, was er zu tun hatte, und hatte die richtige Herangehensweise. Er hatte die Reifen und alles andere im Griff."

"Niemand hat das jemals mitbekommen, aber in Monza fuhr er ein fantastisches Rennen." James Key

"Wieder kam er in eine Gruppe von Autos. Dann blieben einige Trümmerteile in seinem Frontflügel stecken und er musste an die Box kommen, um ihn zu wechseln. Da wäre er wohl Siebter geworden, wo Vettel am Ende landete. Es war also wieder ein herausragendes Rennen. Aber wie in so vielen Rennen im vergangenen Jahr holten wir nicht das verdiente Ergebnis. Aber wenn man sich die Rennverläufe dieser zwei Rennen ansieht, ganz besonders Monza, dann denkt man sich: 'Verdammt, er ist geflogen.'"

Diese Leistungen blieben den meisten verborgen, nicht aber Red Bull, bei denen die Rennwochenenden der Fahrer bis ins kleinste Detail analysiert werden. Max Verstappen wurde deswegen so früh in die Formel 1 geholt, weil er in der Formel 3 fantastische Ergebnisse holte und außerdem eine perfekte Einstellung und Herangehensweise an die Rennen an den Tag legte.

Ist Kwjat bereit für Red Bull?

Kwjat bewies in der vergangenen Saison bei Toro Rosso, wo er unter größerem Druck stand, ähnliche Qualitäten. Deshalb sieht Red Bull ihn als "bereit" für das A-Team. Das bedeutet allerdings nicht, dass er auch wirklich bereit ist. Schließlich hat Red Bull diese Entwicklung nie geplant. Es besteht die Möglichkeit, dass sie für Kwjat zu früh kommt. Key glaubt, dass sein ehemaliger Schützling von einer weiteren Saison bei Toro Rosso profitiert hätte, um "alles, was er bisher gelernt hat, zu festigen."

Trotzdem glaubt er, das Kwjat die nötigen Fähigkeiten hat, um einer "nicht idealen" Welt, wie Kwjat sie selbst nennt, zu überleben. "Das erste Jahr ist immer ein großer Lernprozess", sagt Key und fügt hinzu: "Wenn man allerdings sein Talent bedenkt und die Tatsache, dass er kein großes Ego besitzt, dann denke ich, dass er sich gut zurechtfinden wird. Außerdem denke ich, dass er von Ricciardo lernen wird."


Fotoshooting mit Daniel Ricciardo und Daniil Kwjat

Blick hinter die Kulissen des Red-Bull-Fotoshootings mit Daniel Ricciardo und Daniil Kwjat in Barcelona Weitere Formel-1-Videos

"Der Druck ist ein anderer, denn die Erwartungen sind etwas höher. Dani ist im vergangenen Jahr gut gefahren. Er kam als unbekannte Größe und hat einen guten Job gemacht. Aber jetzt befindet er sich in einem Umfeld, in dem die Erwartungen extrem hoch sind. Ich denke allerdings, dass er den richtigen Charakter hat, um damit klarzukommen."

"Ich denke, dass er sehr gut für Red Bull ist. Langfristig ist er eine sehr gute Perspektive. Ich erwarte, dass er sich gut schlagen will", erklärt Key. So geht es Red Bull auch. Jetzt liegt es an Kwjat, die entsprechende Leistung abzuliefern und denjenigen, die ihm zunächst keine Aufmerksamkeit schenkten, zu beweisen, dass sie das besser getan hätten.