Die mit zweitkürzeste und mit 365 km/h Topspeed schnellste Bahn: Was Mexiko zum Motoren- und Konditionskiller macht
Gemessen an der Metropolregion einer der größten Ballungsräume der Erde, im Stadtgebiet 8,8 Millionen Menschen zählend und politischer, wirtschaftlicher, sozialer sowie kultureller Mittelpunkt eines aufstrebenden Schwellenlandes: das ist Mexiko-Stadt. Daniil Kwjat (Red Bull) hat keine Eingewöhnungsprobleme in Mittelamerika: "Ich bin zum ersten Mal in Mexiko und es pulsiert das Leben. Die Stadt ist riesig, was mich an Moskau erinnert. Das bin ich also gewohnt."
Auch wenn sich nicht alle Formel-1-Piloten mehr an 1992 erinnern können, als auf dem Autodromo Hermanos Rodriguez letztmals ein Mexiko-Grand-Prix stieg, schwelgt zumindest Jenson Button (McLaren) in Erinnerungen an eine pfeilschnelle und kreuzgefährliche Kurve: "Ich weiß noch, dass ich als Kind unglaubliche Zweikämpfe auf dieser Strecke erlebt habe und die Fahrer in der Peraltada regelrecht in ihren Autos gehangen haben. Das sah wirklich mega aus, wenn auch etwas angsteinflößend. Schade, dass die Kurve im neuen Layout nicht mehr auftaucht."
Dafür gibt es die mit 1,2 Kilometern zweitlängste Start- und Zielgerade im Kalender, die Speeds bis zu 365 km/h erlauben wird. Nach Daniel Ricciardos (Red Bull) Geschmack ist das dank des schwächelnden Renault-Antriebs in seinem Boliden allerdings nicht: "Die lange Gerade erinnert mich ein bisschen an Monza. Dort werden wir Federn lassen, aber der Rest der Strecke sieht ziemlich 'Mickey Mouse' aus. Und da sind wir am stärksten. Im Simulator wirkte die Strecke eng und es gab einige Kurven, die ich im ersten Gang gefahren bin. Das sollte uns liegen. Vielleicht können wir also einigermaßen mithalten."
Lokalmatador Sergio Perez (Force India) freut sich auf die 30.000 Fans, die in der schon jetzt ausverkauften Stadionpassage im Schlussabschnitt die Piloten erwarten und für Fußballfeeling sorgen werden: "Ich bin kürzlich eine Runde auf dem neuen Kurs gefahren: Es ist eine fantastische Strecke! Trotz einiger Veränderungen hat sie nichts von ihrem Charakter verloren. Das Stadion ist spektakulär und es wird ein unglaubliches Gefühl sein, dort hindurchzufahren, wenn er erstmals voller Fans ist." Auch Carlos Sainz (Toro Rosso) staunt: "Ich bin überrascht, wie groß die Tribünen sind."
Skeptischer ist Nico Hülkenberg (Force India). Er hat seine Zweifel, dass von der Stimmung im Cockpit so viel zu spüren sein wird: "Es ist fraglich, ob wir das wirklich wahrnehmen werden. Bei der Fahrerparade ja, beim Start vielleicht, und nach der Zieldurchfahrt auch - aber während des Rennens? Weiß ich nicht."
Wenn doch, werden die Autos wohl Luftsprünge vollführen, glaubt Lewis Hamilton (Mercedes): "Das Publikum macht ein Rennen aus. Ich habe einige mexikanische Freunde, mit denen ich Weihnachten verbracht habe: Ich kenne ihre Mentalität und wenn sie zu Tausenden an die Strecke strömen, dann wird es eines der unglaublichsten Wochenenden."
Doch ohne Überholmanöver kein Jubel. Max Verstappen (Toro Rosso) erklärt, wo es in Mexiko ein Vorbeikommen an den Konkurrenten geben könnte - dabei sind harte Bremsmanöver hilfreich, und die wird es zu Genüge geben: "In der ersten Kurve wird es schwierig zu überholen, aber man weiß es nie. Wenn die Konkurrenten schlecht aus der letzten Kurve herauskommen, haben wir eine Chance. Es gibt viel Stop-and-Go, also können wir angreifen. Zum Beispiel in Kurve 4. Oder nach der schnellen Passage, wenn es in den Stadionbereich geht. Da könnte es Möglichkeiten geben."
Eine weitere Option hat Felipe Massa (Williams) als routinierter Rennfahrerhase entdeckt und prognostiziert zahlreiche Positionswechsel: "Wenn man in Kurve 13 schnell sein will, dann muss man die Lenkung bremsen weit aufmachen - um die richtige Linie zu treffen. Wenn da ein Auto hinter einem ist, kann der Rivale innen durchtauchen und überholen. Es wird auf dieser Strecke sicher Überholmanöver geben."
Ehe überholt wird, müssten er und seine Kollegen jedoch erst den Staubsauger spielen, meint Daniel Ricciardo (Red Bull). Schließlich war das Autodromo Hermanos Rodriguez noch bis vor wenigen Wochen eine Baustelle und seine Fahrbahn aalglatt, was für die Haftung der Reifen deutlich weniger vorteilhaft ist als rauer Belag: "Sicher ist es am Freitagmorgen sehr staubig und rutschig. Als ich im Sommer vor Ort war, war der Asphalt nagelneu, aber sicher produziert er jetzt auch nicht viel mehr Grip."
Jenson Button (McLaren) erklärt, wieso der optische Eindruck über das tatsächliche Abtriebsniveau hinwegtäuschen wird. Schließlich gelten in einer Höhenlage von 2.285 Metern, die dem Niveau des Basislagers einer Mount-Everest-Besteigung entspricht und für extrem "dünne" (also wenig sauerstoffhaltige) Luft sorgt, andere Gesetze: "Natürlich will man hier mit wenig Luftwiderstand fahren, aber wir packen so ziemlich alles auf das das Auto, was möglich ist. Das wird jeder so machen. Das kommt der Konfiguration in Monza gleich. Wir sind auf der Geraden schnell, aber es gelangt nicht viel Luft in die Bremsschächte, weshalb uns einige Unbekannte erwarten."
Sebastian Vettel (Ferrari) relativiert jedoch, dass es Unterschiede zwischen den früher verwendeten Saugmotoren und der aktuellen Generation der V6-Hybride gibt: "Das Schöne an der neuen Generation Turbomotoren ist, dass man nicht so viel Leistung verliert wie in der Vergangenheit. Ansonsten wird es eine spannende Erfahrung, wie sich das Auto fahren lässt."
Bezüglich der physischen Belastungen, die durch die Topspeeds von bis zu 365 km/h und die Höhenlage von 2.285 Metern über Normalnull auf die Piloten zukommt, sind sich Lewis Hamilton (Mercedes) und Fernando Alonso (McLaren) nicht einig. Der Weltmeister sagt: "Ich trainiere im Winter in der Höhe und bin überzeugt, dass es körperlich anspruchsvoller wird. Aber das hängt auch damit zusammen, wie viel Grip es gibt. Und im Simulator war es nicht viel." Alonso kontert: "Wären wir hier vor zehn Jahren gefahren und acht Sekunden schneller gewesen, dann wäre es sehr hart. Mit diesen Autos? Kein Problem."
Sebastian Vettel (Ferrari) meint dazu: "Die dünne Luft habe ich schon beim Fußballspielen gemerkt. Wenn du ein paar Mal einen Sprint ansetzt, merkt man schon, dass man schneller außer Atem ist. Aber das ist einer der Gründe, weshalb wir das ganze Jahr versuchen, uns fit zu halten. Das wird hoffentlich kein Problem sein."
Auch Sergio Perez (Force India) stehen die Schweißperlen nicht auf der Stirn - dank Reifenzulieferer Pirelli, der konservativ agiert und Soft sowie Medium anliefert: "Mit diesem Mischungen erwarte ich keine Probleme."
Valtteri Bottas' (Williams) Vorfreude hält sich in Grenzen: "Ehrlich gesagt war die Strecke im Simulator nicht so aufregend, aber vielleicht ist das Modell auch nicht optimal. Mir ist es schon bei anderen Strecken passiert, dass sie wenig spannend, aber in Wirklichkeit gut waren." Fernando Alonso (McLaren) will das Autodromo Hermanos Rodriguez auch nicht abschreiben, wenn es zu einem Langeweile-Grand-Prix kommen sollte: "Am Sonntagnachmittag sollten wir kein abschließendes Urteil fällen. Das haben wir schon in Sotschi erlebt: Das erste Jahr war langweilig, das zweite sehr spannend - obwohl der Kurs exakt der gleiche war. Im Fußball sieht man auch manchmal ein 0:0 und manchmal ein 5:4."
Die mit zweitkürzeste und mit 365 km/h Topspeed schnellste Bahn: Was Mexiko zum Motoren- und Konditionskiller macht