70 Jahre bewegtes Leben: Vom Wirtschaftsstudenten und Rallye-Co-Piloten zum Peugeot-Sportchef, aus der Wüste Afrikas zu Ferrari-Napoleon und FIA-Präsidenten
Jean Todt wurde am 25. Februar 1946 in Pierrefort in der Auvergne geboren. Sein Vater, ein jüdischer Arzt, war im Zweiten Weltkrieg aus Polen nach Frankreich geflüchtet. Für ein Studium der Wirtschaftswissenschaften zog Todt nach Paris und entdeckte Motorsport als Hobby. Mit Freunden begann er, in der Freizeit an Tourenwagen zu basteln.
Todts Idole waren Jim Clark und Dan Guerney. Er selbst begann auf bescheidenerem Niveau. Er lieh sich den Mini Cooper seiner Eltern für Rallye-Wettbewerbe aus, stieß aber schnell an Grenzen und besann sich auf seine Qualitäten als Co-Pilot, ab 1966 auf Topniveau. Schnell wurden die Stars der Szene auf das Organisationstalent aufmerksam...
...Rauno Altonen, Ove Andersson, Hannu Mikkola und auch Guy Frequelin: Mit seinem Landsmann und Talbot gewann er 1981 Vizeweltmeisterschaft und den Herstellertitel in der WRC. Dazu war er Vertreter der Rallyefahrer bei FIA-Vorgänger FISA und wurde Rennleiter der Mutterfirma Peugeot. Das bedeutete das Ende der Co-Piloten-Karriere.
Doch die neue Laufbahn brachte Todt in erlauchte Kreise der FIA. Die von ihm initiierte WRC-Rückkehr wurde zur Erfolgsstory.
Todt brachte die Finanzen auf Vordermann und verhalf Peugeot zu zwei Titeln in der Gruppe-B-Ära. Als sich Unglücke häuften und die Klasse 1987 eingestampft wurde, fasste der 41-Jährige ein neues Ziel ins Auge.
Er entschied sich, seinen Peugeot 205 Turbo 16 bei der Rallye Paris-Dakar an den Start zu schicken und leitete eine ab 1987 währende Erfolgsserie ein. 1989 spannte er seine Superstars Ari Vatanen und Jacky Ickx ein.
Damit sich die finnische Rallyeikone und der frühere Ferrari-Formel-1-Star im Kampf um den Gesamtsieg nicht um Kopf und Kragen fuhren und für eine Peugeot-Blamage sorgten, schnappte sich Todt eine Zehn-Franc-Münze...
...Kopf bedeutete Teamorder pro Vatanen, Zahl eine Stallregie zugunsten Ickxs. Es wurde Kopf. Der Belgier akzeptierte ohne Widerworte, Vatanen ärgerte sich, so zu gewinnen.
Als Peugeot das Dakar-Projekt nicht fortsetzen wollte, entschied sich Todt für ein neues Abenteuer: 1990 ließ er den Sportwagen-Prototypen 905 entwickeln. Ein Kohlefaser-Chassis, Aluminum-Leichtbau und ein V10-Motor erinnerten an die Formel 1.
Als das Auto schnell und zuverlässig war, dominierte es die Sportwagen-Szene: Derek Warwick, Yannick Dalmas und Mark Blundell gewannen 1992 die 24 Stunden von Le Mans, Geoff Brabham, Christophe Bouchut und Eric Helary im Jahr darauf. Todt trat auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn als Peugeot-Sportchef ab.
Ab 1993 arbeitete Todt als Ferrari-Rennleiter in der Formel 1 - auf Wunsch Luca di Montezemolos und als erster Nicht-Italiener seit Gründung der Scuderia. Todt fand beim Antritt einen Scherbenhaufen vor: Viele Verantwortlichen waren zerstritten, organisatorisch präsentierte Ferrari ein Chaos. Der letzte WM-Titel lag 14 Jahre zurück.
Seine erste Amtshandlung: Er verbot es den Mitarbeitern, an den Rennwochenenden Rotwein zu konsumieren. Hinter den Kulissen verbreitete Todt die gleiche autoritäre Stimmung, die seine Ausstrahlung vermittelte.
Legendäre Anekdote: Als die Piloten Gerhard Berger und Jean Alesi vom Ferrari Hauptgebäude zur Teststrecke gelangen wollten, schnappten sie sich einen nagelneuen Lancia Delta Integrale, in dem der Schlüssel steckte. Eine spontane Rallyeeinlage - mit Alesi am Steuer und Berger an der Handbremse - endete für den Flitzer auf dem Dach...
...das Auto war fast Schrott. Erst als der Österreicher kurz darauf das Malheur beichtete, wurde ihm klar: Der Lancia gehörte Todt - der anschließende Tobsuchtsanfall ebenfalls.
Schon ein Jahr nach seinem Amtsantritt glückte Todt ein erster Erfolg: Berger holte in Hockenheim den ersten Grand-Prix-Sieg unter seiner Ägide und beendete damit eine vier Jahre währende Durststrecke. Doch die Mission war noch lange nicht erfüllt.
Nach einem abgeblasenen Versuch, Ayrton Senna 1994 nach Maranello zu holen, kamen der damalige Ferrari-Berater Niki Lauda und Michael Schumachers Manager ins Gespräch. Willi Weber reiste in Todts Pariser Wohnung, um für 1996 den größten Formel-1-Transfercoup der 1990er-Jahre einzufädeln.
Todt rüstete weiter auf und holte Rory Byrne als Designer (1996) und Ross Brawn als Technikchef (1997). Als Schumacher 1996 endlich den roten Overall überwarf, ließ der erste gemeinsame Sieg der beiden nicht lange auf sich warten. Im Regenchaos von Barcelona schrieb der Deutsche Geschichte, mit dem Rennleiter entstand eine enge Bindung.
Schumachers Rammstoß gegen Jacques Villeneuve ein Jahr später brachte den gemeinsamen Erfolg wieder ins Wanken. Erst als drückende technische Überlegenheit ab der Saison 2000 die Scuderia an die Spitze brachte, schien Todt am Ziel seiner Formel-1-Träume: erster Titel mit dem Deutschen!
Doch "Napoleon" Todt, der auch Ferrari-Geschäftsführer in Personalunion wurde, stolperte erneut über das Thema Stallregie...
"Let Michael pass for the Championship": 2001 und 2002 pfiff er Rubens Barrichello zugunsten Schumachers zurück (angeblich drohte er dem Brasilianer im Funk mit dem Rauswurf bei Ferrari) und erntete dafür massive Kritik.
Der Erfolg blieb den Roten bis 2004 treu: Gemeinsam fuhren Schumacher und Todt fünf WM-Titel ein. Erst als Luca di Montezemolo Ende 2006 Kimi Räikkönen engagierte (wohl gegen den Willen seines Rennleiters) und damit den ersten Rücktritt des Rekordchampions begünstigte, kriselte es bei Ferrari.
Nichtsdestotrotz schaffte Todt es mit dem Finnen, seine sechste und letzte Krone nach Maranello zu holen. Er übergab 2008 an Nachfolger Stefano Domenicali, blieb Ferrari aber einige Monate in beratender Funktion und als Vorstandsmitglied erhalten. Bilanz: Insgesamt 14 Titel und 106 Grand-Prix-Siege.
2009 ließ sich Todt als FIA-Präsidentschaftskandidat aufstellen. Schlüssel zum Erfolg über (seinen Ex-Angestellten) Ari Vatanen war die Unterstützung Max Mosleys. Todt schrieb sich Sicherheit im Straßenverkehr auf die Fahne und setzte sich mit Bernie Ecclestone für Kostenreduktion in der Formel 1 ein. 2013 wurde er wiedergewählt.
Todt, der aus erster Ehe den Formel-1-Fahrermanager Nicolas Todt (geboren 1977) als Sohn hat, wurde privat mit der Schauspielerin Michelle Yeoh glücklich. Das Ex-Bond-Girl machte er zur FIA-Botschafterin und produzierte einen ihrer Filme.
70 Jahre bewegtes Leben: Vom Wirtschaftsstudenten und Rallye-Co-Piloten zum Peugeot-Sportchef, aus der Wüste Afrikas zu Ferrari-Napoleon und FIA-Präsidenten