Der "Professor" zwischen Siegen, Senna und Psychokriegen: Die 14 Formel-1-Jahre des viermaligen Weltmeisters Prost
Bevor Michael Schumacher die meisten seiner Bestmarken knackte, war Alain Prost in vieler Hinsicht der Rekordmann der Formel 1. Bei 199 Grand-Prix-Starts glückten dem kleinen Mann aus Lorette an der Loire 51 Siege, 106 Podien und 33 Pole-Positions. Seine vier WM-Titel, drei davon für McLaren und einer für Williams, sind bis heute die einzigen Kronen, die sich ein Franzose sicherte. Doch kein Prost ohne Ayrton Senna: Die Rivalität mit dem Brasilianer bestimmte seine Karriere.
Prost, in jungen Jahren ein gefeiertes Wunderkind und in praktisch jedem Formelauto der Schnellste, darf sich seinen Platz in der Königsklasse aussuchen und dreht seine ersten Runden in der Saison 1980 für McLaren. Statt Pokalen gibt es Knochenbrüche und nur vier Punktresultate in 16 Rennen: Viele Unfälle verhageln das Debüt, er verlässt das Team zum Saisonende im Streit, weil er nicht bereit ist, die Fehler auf seine Kappe zu nehmen.
Die Hoffnungen der Franzosen ruhen jedoch weiter auf Prost (hier im Gespräch mit Landsmann Didier Pironi). Schon 1981 sehen sie ihren Shootingstar auch in einem französischen Auto...
...nämlich im Renault-Werksteam. Unter Teamchef Gerard Larrousse gelingt Prost der Durchbruch, doch es ist auch der Beginn seiner Fehden mit den Teamkollegen. Rene Arnoux packt entnervt vom verflixt schnellen Sturkopf und Filou nebenan die Koffer, nachdem Prost ihm einen Top-Mechaniker vor der Nase wegschnappt und schließlich auch noch den Renningenieur klaut. Die Bahn ist frei für die Jagd auf den WM-Titel.
Nach dem ersten Sieg 1981 vor heimischer Kulisse in Dijon fährt Prost für Renault bis 1983 noch acht weitere Erfolge ein. Im letzten Jahr im Werksteam verlor er den WM-Titel erst im Finale an Nelson Piquet. Abermals überwirft er sich mit seinen Chefs und den französischen Medien, weil er die Schuld an der Enttäuschung dem Team in die Schuhe schiebt. Sein Privatwagen wird angeblich sogar angesteckt und Prost wandet in die Schweiz aus.
Die Wogen mit McLaren haben sich geglättet. 1984 geht es zurück nach Woking und die Fehde mit Senna nimmt ihren Anfang: Genauer gesagt in Monaco, wo der in Führung liegende Prost im starken Regen auf einen Abbruch des Rennens drängt und so der Aufholjagd des aufstrebenden Brasilianers ein jähes Ende setzt. So ist es ausgerechnet Prost, der mit den ersten politischen Spielchen den Grundstein für den Mythos Senna legt.
Trotz sieben Grand-Prix-Siegen zieht Prost in der nach Punkten knappsten WM-Entscheidung aller Zeiten den Kürzeren gegen Teamkollege Niki Lauda. Am Ende entscheidet ein halber Punkt (den Prost ausgerechnet in Monaco verliert, weil wegen des Abbruchs nur halbe Zähler verteilt werden) über den neuen Weltmeister. Prost hat erstmals von einem Teamkollegen seine Grenzen aufgezeigt bekommen.
Während Laudas Karriere kurz darauf endet, nimmt die von Prost so richtig Fahrt auf: Der McLaren entwickelte sich zum dominierenden Auto und der "Professor" zum überlegenen Piloten. Mit seinem taktischen und unspektakulären, aber extrem effizienten Ansatz glückt ihm 1985 der erste WM-Titel. Passend: Es war ein vierter Platz im drittletzten Saisonrennen in Brands Hatch, der den Erfolg sichert.
Schon im Jahr darauf wiederholt Prost das Kunststück, damals gestaltet sich das Saisonfinale allerdings deutlich spannender. Dauerpechvogel Nigel Mansell macht in Adelaide ein Reifenschaden einen Strich durch die Rechnung, der Titelverteidiger nutzt die Gunst der Stunde, gewinnt das Rennen und ist erneut Champion.
Der Weg zum Triple ist frei, doch 1987 hat sich Fortuna von Prost abgewandt. Obwohl der damals 32-Jährige selbst wenig Fehler macht und sich durch gewohnte Verbissenheit auszeichnet, bleibt für ihn nur Rang vier in der Fahrer-WM. Zwar deutlich vor seinem Teamkollegen Stefan Johansson, aber erstmals in seiner Karriere hinter Ayrton Senna. Da nützt es auch nichts, dass Prost in Hockenheim versucht, seinen ausgerollten Boliden wie einst Jack Brabham über die Ziellinie zu schieben. Vergeblich.
Es ist Prost höchstpersönlich, der bei Ron Dennis dafür plädiert, Senna ins Team zu holen. Er will unbedingt Honda-Motoren und weiß, dass sich die Japaner nur dann überzeugen lassen, wenn der extrem beliebte Shootingstar bei McLaren andockt. Der Plan geht auf, doch Prost hat sich zum zweiten Mal in seiner Karriere verkalkuliert: Die beiden gewinnen in der Saison 1988 die Rekordsumme von 15 von 16 Rennen, doch Senna hat das bessere Ende für sich und wird erstmals Weltmeister. Jetzt liegt ihm Honda erst recht zu Füßen.
Prost schlägt zurück, doch sein WM-Titel im Jahr darauf entwickelt sich zum Bumerang. Denn der Franzose sichert sich die Krone im Duell mit Senna durch ein mindestens grenzwertiges Manöver beim vorletzten Saisonrennen in Suzuka. Er selbst scheidet bei der Aktion in der Schlussschikane aus, der Erzfeind fährt weiter und gewinnt den Grand Prix. Doch zu diesem Zeitpunkt ist Prost längst im Stechschritt Richtung Rennleitung marschiert...
FISA-Präsident Jean-Marie Balestre (hier einige Jahre später gemeinsam mit Prost) spielt eine ominöse Rolle bei der anschließenden Disqualifikation Sennas wegen Abkürzens und der Inanspruchnahme fremder Hilfe in Form eines Anschiebens durch die Streckenposten. Das Tischtuch zwischen Prost und Dennis, der wegen der Entscheidung zugunsten seines eigenen Fahrers sogar vor Gericht geht, ist zerschnitten. Im Streit trennt sich Prost auch von McLaren.
1990 schließt er sich Ferrari an und wird auf Anhieb Vizeweltmeister, doch die Fehde mit dem alten Rivalen ist längst nicht beendet...
...denn genau ein Jahr nach dem folgenschweren Suzuka-Crash ist es Senna, der 1990 an Ort und Stelle den Spieß umdreht. Er schießt Prost wenige Meter nach dem Start bei hoher Geschwindigkeit ab, sorgt für einen Dopppelausfall und holt sich damit die WM. "Der kleine General", wie ihn die Formel-1-Welt längst getauft hat, tobt wegen der Aktion.
Mansell ist der nächste Teamkollege, der mit Prost seinen Spaß hat, inklusive der Abschaffung englischer Sprache in Teammeetings. Der Brite ist entnervt und bezeichnet die Zeit an der Seite des ehrgeizigen Prost als "die Hölle". Doch Prost schießt sich mit öffentlicher Kritik am Team ein Eigentor und muss selbst die Koffer packen: Er legt ein Sabbatjahr ein...
...und kommt mit Williams 1993 stärker als jemals zuvor zurück. Eine "Anti-Senna-Klausel" in seinem Arbeitsvertrag hat zuvor für eine neue Episode im ewigen Scharmützel der beiden Superstars gesorgt, doch im mit Computern und Technik vollgestopften Wunderauto aus der Feder Adrian Neweys ist gegen Prost kein Kraut gewachsen.
Er gewinnt sieben der ersten zehn Saisonrennen und wird überlegen Weltmeister. Nach dem vierten Titel ist jedoch Schluss: Prost will auf dem Höhepunkt abtreten und beendet seine Formel-1-Karriere. Legendär ist das Bild seines letzten Podiumsbesuchs als Aktiver in Adelaide, wo Sieger Senna ihn auf die oberste Stufe des Podests zieht und den Arm des Erzrivalen in die Höhe hebt. Später spricht der Brasilianer sogar von einem "lieben Freund": Es ist eine späte Aussöhnung, bei der Prost seinen Teil erst nach dem Unglück am 1. Mai 1994 in Imola vollzieht.
Als Teamchef erlebt Prost ein abschließendes Kapitel seiner Formel-1-Karriere, das von wenig Erfolg gekrönt ist: Das Nachfolgeteam von Ligier zeichnet sich wechselweise durch langsame oder unzuverlässige Autos aus. 2002 wirft Prost die Brocken hin, fährt fortan Eisrennen und macht sich bei Breitensport-Veranstaltungen im Radsport einen Namen.
Der "Professor" zwischen Siegen, Senna und Psychokriegen: Die 14 Formel-1-Jahre des viermaligen Weltmeisters Prost