Analyse: Warum McLaren-Honda Grund zur Sorge hat
Bei McLaren und Honda ist man trotz der Startschwierigkeiten mit dem MP4-30 zuversichtlich - Man weiß aber auch, dass die Zeit drängt
(Motorsport-Total.com) - Jeder Rennfahrer stimmt zu, dass es bei Testfahrten vor allem darum geht, Probleme zu erkennen und diese versuchen zu beheben. Die Argumentation lautet in aller Regel "Besser so etwas passiert jetzt als im Rennen." Das heißt allerdings nicht, dass ein Team Schwierigkeiten wirklich billigend in Kauf nimmt. Je mehr Probleme auftreten, desto weniger kann man sich auf das konzentrieren, worauf es wirklich ankommt: ein Verständnis für das neue Auto aufbauen und herausfinden, wie schnell es ist.
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Mit dem MP4-30 hat McLaren-Honda noch keinen problemlosen Testtag erlebt Zoom
Dass es bei McLaren-Honda Grund zur Sorge gibt, liegt auf der Hand. Sechs von zwölf Testtagen im Vorfeld des Saisonauftakts sind bereits in den Büchern. Es bleibt immer weniger Zeit, um wertvolle Kilometer zu sammeln. Nach dem desaströsen Beginn im November in Abu Dhabi, als der neue Hybrid-Turbo-V6 von Honda im Interimsboliden von McLaren nur fünf Runden lief, schaffte der dem "Size-Zero"-Prinzip folgende McLaren MP4-30 während der ersten zwei Tage des Jerez-Tests zusammengerechnet gerade einmal zwölf Runden.
An den beiden abschließenden Tagen des Jerez-Tests gab es ermutigende Anzeichen von Fortschritten. Sowohl Jenson Button als auch Fernando Alonso spulten mehr als 30 Runden ab. Dennoch traten weiterhin Probleme auf. Daran hatte sich auch nichts geändert, als am Donnerstag dieser Woche in Barcelona die zweite Testwoche dieses Winters anbrach. Button schaffte gerade einmal 21 Runden, dann zwang ihn ein von Honda mit einer "fehlerhaften Dichtung" an der MGU-K beschriebener Defekt zum frühen Feierabend.
Keine Kilometer, keine Erfahrungen
Bis dato hat McLaren-Honda noch keinen einzigen problemlosen Testtag hinter sich gebracht. Elektrikprobleme, streikende Sensoren, ein Kühlerleck, austretendes Öl, abfallender Wasserdruck und schließlich die fehlerhafte Dichtung an der MGU-K. So hatte sich Honda-Motorsportchef Yasuhisa Arai seinen Geburtstag sicherlich nicht vorgestellt... Immerhin: Von den beim Abu-Dhabi-Test im November aufgetretenen Elektrikproblemen einmal abgesehen, waren die bisher aufgetretenen Schwierigkeiten allesamt vergleichsweise klein.
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McLaren-Boss Ron Dennis und Rennleiter Boullier beginnt die Zeit davonzulaufen Zoom
McLaren-Rennleiter Eric Boullier beschreibt das Stirnrunzeln und die Sorgenfalten in der Box als "Verkettung von Umständen", doch Fakt ist: Derartige Zuverlässigkeitsprobleme lassen das Potenzial des Autos später als ursprünglich geplant erkennen. Das wiederum hat zur Folge, dass weitere Zuverlässigkeitsprobleme - die angesichts des steigenden Drucks nicht ausbleiben werden - nicht so schnell erkannt werden können. Je länger dieser Teufelskreis andauert, desto mehr Problemen sieht sich McLaren-Honda kurz vor dem Saisonauftakt gegenübergestellt.
"Wenn man nicht schnell genug fahren kann, kann man die Grenzen des Autos hinsichtlich Bremsen, Kühlung und Aero-Performance nicht ausloten. Das heißt, man kann das Auto nicht zielgerichtet verbessern. Das wiederum heißt, dass sich Konsequenzen für das Entwicklungsprogramm ergeben", erklärt Boullier und fügt hinzu: "Deshalb müssen wir das Performance-Limit des Autos so früh wie möglich erreichen und so viele Kilometer wie möglich fahren."
"Je näher wir dem Limit kommen, desto mehr neue Schwachstellen decken wir auf. Deshalb müssen wir die Grenzen so früh wie möglich kennenlernen", unterstreicht Boullier und weiß genau: "Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Im Bereich der Aerodynamik lassen sich in dieser kurzen Zeit keine großen Fortschritte erzielen. Deswegen liegt unser Fokus auf der Antriebseinheit."
"Alles, was schief läuft, ist ein Grund zur Sorge"
"Alles, was schief läuft, ist ein Grund zur Sorge, vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Anzahl der Antriebseinheiten pro Saison begrenzt ist", sinniert der McLaren-Rennleiter und weiß in Anspielung auf die Probleme vom Donnerstag nur zu gut: "Eine kleine dumme Dichtung an der MGU-K kann deinen Tag ruinieren. In Australien kann so etwas dein Rennen ruinieren. Deshalb ist in allen Bereichen höchste Aufmerksamkeit gefordert. Es stimmt, dass wir diesbezüglich noch Luft nach oben haben."
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Jenson Button und Fernando Alonso hatten sich den Start ins Jahr anders vorgestellt Zoom
Am Freitagvormittag lief der McLaren-Honda MP4-30 dann recht ordentlich. So konnte man damit beginnen, verschiedene Setup-Varianten für das radikale Aero-Konzept des ehemaligen Red-Bull-Manns Peter Prodromou zu eruieren und man konnte erste Rundenzeiten setzen. Im Vergleich zu jenen des Jerez-Tests waren die Zeiten deutlich respektabler. Die verteufelte Dichtung der MGU-K hatte jedoch zur Folge, dass die Honda-Ingenieure an ihrem Großbritannien-Standort in Milton Keynes ein neues Bauteil fertigen müssen. Bis dieses verfügbar ist, wird die defekte Dichtung notdürftig durch eine Übergangslösung ersetzt. Die Gefahr weiterer Probleme ist somit vorprogrammiert.
Weitere Schwierigkeiten haben weitere Verzögerungen auf der Suche nach Performance zur Folge. Das wiederum heißt, dass die von Boullier angesprochene "Verkettung von Umständen" so schnell nicht gestoppt werden kann. "Die Zeit reicht nicht aus. Je mehr Zeit wir mit Problemen verbringen, desto weniger Zeit haben wir, zuversichtlich zu sein", sagt der McLaren-Rennleiter und unterstreicht nachhaltig: "Die Zeit für Zuversicht geht zur Neige."
"Was uns und Honda verbindet, ist eine Lernkurve. Wir müssen gemeinsam lernen", sagt der McLaren-Rennleiter, um sofort anzufügen: "Es gibt aber keine Spannungen. Das Verhältnis ist gut. Wir wollen einfach so ehrgeizig und diszipliniert wie möglich sein. Ja, der Druck ist allgegenwärtig, aber das gilt ebenso für Honda. Beide Seiten haben das Ziel, an die Spitze zu kommen. Wir wissen nicht, wann uns das gelingen wird, aber wir wissen, dass wir es schaffen werden."
Wie Boullier anmerkt, ist es für McLaren in diesem Zusammenhang ein Vorteil, dass man die Probleme dank der Stellung als exklusiver Werkspartner von Honda schneller lösen kann als es in einer anderen Konstellation der Fall gewesen wäre. Dass Honda nicht nur zum Mitfahren in die Formel 1 zurückgekehrt ist, liegt auf der Hand. Motorsportchef Arai gibt zu verstehen, dass man eine Situation wie die mit der fehlerhaften Dichtung bereits vorausgeplant hatte und entsprechend gerüstet war. Somit sollten lediglich an einem weiteren Tag Kompromisse gemacht werden müssen, anstatt während des gesamten Tests.
Honda nimmt die Probleme (noch) mit Humor
"Es ist ein Materialfehler, kein Design-Fehler. Das Problem liegt in der Qualitätssicherung begründet", erklärt Arai und fügt hinzu: "Wir verfügen über Simulationen, mit denen wir verschiedene Situationen durchspielen können. Wir sollten also vorbereitet sein auf das, was auf der Strecke passieren kann und sollten in der Lage sein, Veränderungen einzuleiten." Wird man diese Veränderungen also schon bald spüren können, sodass der McLaren-Honda endlich problemlos läuft? "Vielleicht tritt ja wie ein Monster ganz schnell ein neues Problem auf" grinst Arai.
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Honda fehlt mehr als nur ein bisschen auf die Konkurrenz - Arai nimmt es gelassen Zoom
Irgendwie passend, dass der Honda-Motorsportchef das Thema Geschwindigkeit anspricht. Man hat jedenfalls das Gefühl, dass McLaren und Honda einen Zahn zulegen müssen, wollen sie es mit Mercedes und Co. aufnehmen. Die Silberpfeile erlebten am Donnerstag den mit Abstand schlechtesten Tag ihres bisherigen Testwinters, legten an diesem aber immer noch mehr als doppelt so viele Runden zurück wie McLaren.
McLaren-Boss Ron Dennis hatte bereits anlässlich der Präsentation des MP4-30 erwähnt, dass bei Honda im Zuge der Rückkehr in die Königsklasse eine neue Rennsportkultur implementiert worden ist. Arai glaubt, dass die von Honda nach dem Formel-1-Ausstieg im Winter 2008/2009 in anderen Rennserien gesammelten Erfahrungen hilfreich sein werden, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
"Wir betreiben pausenlos Rennsport. Deshalb habe ich nicht das Gefühl, dass seit unserem Ausstieg aus der Formel 1 eine Lücke entstanden wäre", so Arai, der bestätigt: "McLaren macht uns ordentlich Druck und diesen Druck üben wir auch auf McLaren aus. Die Kommunikation ist gut. Wir haben während der Testfahrten in Abu Dhabi und Jerez viel gelernt."
Ungeachtet dessen gibt es noch so viel aufzudecken. Die Zeit, die mit weiteren Zuverlässigkeitsproblemen verloren geht, läuft der Kombination McLaren-Honda weiter und weiter davon. Dies gilt insbesondere, da die Konkurrenz ein Jahr Erfahrungsvorsprung mit der aktuellen Antriebstechnik hat. Somit stehen in den gegnerischen Lagern ausgereiftere Antriebseinheiten zur Verfügung.
Keine fundamentalen Schwachstellen
Die Rettung für McLaren-Honda scheint die zu sein, dass man im Zusammenhang mit dem "aggressiven" Design des MP4-30 nicht auf fundamentale Schwachstellen gestoßen ist. Boullier hofft, dass die im Vergleich zum Abu-Dhabi-Test von Honda überarbeitete Antriebseinheit noch in dieser Woche mit voller Leistung laufen wird, spätestens beim zweiten Barcelona-Test in der kommenden Woche. "Zweifellos vor Australien", meint der McLaren-Rennleiter und kann zusammen mit dem gesamten Team nur hoffen, bis dahin einen Teil des verlorengegangenen Bodens aufgeholt zu haben.
"Es ist frustrierend, weil uns jedes neue Problem Stunden kostet. Doch wir haben die entsprechenden Kapazitäten und die Fähigkeiten, um die Probleme zu lösen", sagt Boullier, gibt aber zu: "Entspannt sind wir nicht. Natürlich hätten wir zum jetzigen Zeitpunkt lieber schon 150 Runden pro Tag zurückgelegt, doch selbst dann wären wir im Hinblick auf Australien nicht entspannt."
"Es ist frustrierend, aber wir müssen diesen Prozess zu Ende führen. Wenn wir ein wenig zurückliegen, müssen wir damit klarkommen. Im Moment müssen wir in diesen sauren Apfel beißen", sagt Boullier. Wie heißt es doch sprichwörtlich? "Ohne Fleiß kein Preis." Sowohl McLaren als auch Honda erwecken den Eindruck, dass sich die Anstrengungen unterm Strich auszahlen werden.