Kolumne: Reglement 2020 als Ausdruck von Hilflosigkeit
FIA und ACO haben das LMP1-Regelwerk 2020 vorgestellt - 'Motorsport-Total.com'-Redakteur Roman Wittemeier über Erwartungen, Befürchtungen und Reaktionen
Liebe Freunde der Boost-Strategie,
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Die LMP1-Autos werden ab 2020 etwas anders aussehen: Aktive Aeroelemente Zoom
nach zähem Ringen und zahlreichen Sitzungen von vielen Kommissionen und Ausschüssen haben Le-Mans-Veranstalter ACO und der Automobil-Weltverband FIA am heutigen Freitag vor der 85. Auflage der 24 Stunden von Le Mans die LMP1-Regeln für den Zeitraum 2020 bis 2023 zumindest einmal grob umrissen. Die Kernpunkte haben zwei Ziele, die sich nur schwer vereinen lassen: Darstellung von technischer Innovation bei gleichzeitiger Kostensenkung.
Ich habe dieses Dilemma in den vergangenen Monaten bereits in mehreren Artikeln und Kolumnen dargestellt und war bis zur heutigen ACO-Pressekonferenz höchst gespannt auf die Ergebnisse der Beratungen. Was die Herren Bernard Niclot (FIA-Technikchef) und Vincent Beaumesnil (ACO-Sportchef) kurz vor der Mittagszeit präsentierten, war nicht gut genug, um im voll besetzten Welcome-Center am Circuit 24 Heures einen lauten Applaus zu provozieren.
Im Gegenteil: Es gab zaghaftes Klatschen und einiges an Kopfschütteln. Fangen wir bei der genaueren Betrachtung mal mit den Plänen zur Kostensenkung an. Die Dimensionen des Monocoques werden verändert, also muss man komplett neu entwickeln und bauen. Die Sicherheitszelle eines LMP1-Fahrzeuges bestimmt alles, was später als aerodynamisches Konzept umgesetzt werden kann. Ist solch eine Entwicklung günstig? Niemals!
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Die Windkanalstunden werden auf 600 reduziert, ab 2020 dürfen statt bisher 65 Mitarbeiter nur noch 50 an der Strecke arbeiten. Die Zahl derer, die in den Rechenzentren der Hersteller sitzen und laufende Simulationen für den Betrieb an der Strecke durchführen wird ansteigen, die CFD-Tools werden intensiver in den Vordergrund rücken. Ist so etwas günstiger? Ja, wahrscheinlich ein wenig. Ab 2020 gibt es nur ein einziges Aerpopaket. Bereiche am Heck und an der Front werden allerdings mit aktiven Elementen versehen. Günstig? Niemals!
Die Entwicklung der Fahrzeuge ist im neuen Reglement-Zyklus nicht mehr so frei wie bisher. Man setzt in der LMP1 ein System um, das in der Formel 1 als "Tokenregel" nie wirklich funktioniert hat. Künftig müssen die Hersteller entscheiden, wo Entwicklung stattfinden soll. Motor, Hybridsysteme, Chassis und Aerodynamik stehen zur Wahl. Nur einer dieser vier Bereiche darf bei einem Update über den Winter angefasst werden. Ist dies günstig? Niemals, denn die Techniker werden alle Bereiche intensiv untersuchen, um überhaupt entscheiden zu können, an welcher Baustelle die meiste Performance zu finden ist.
Schon jetzt ist die Anzahl der Testtage begrenzt. Nun geht man einen Schritt weiter, indem man private Probefahrten weiter beschränkt und gemeinsame Testfahrten im Winter organisiert. Ist das günstiger? Nein, meinen viele Teams, die ich auf dieses Thema angesprochen habe. Der Tenor: Da bei diesen kollektiven Tests unter anderem das Catering zentral über die WEC gebucht werden muss, wird es sogar unter dem Strich eher teurer. Ganz davon abgesehen, dass Testfahrten nur dann Sinn machen, wenn sie exakt in den Entwicklungszeitplan der Teams und Hersteller passen. Da sind die Bedürfnisse viel zu unterschiedlich.
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Die Hersteller fragen sich: Ist Plug-in-Hybrid auf der Rennstrecke sinnvoll? Zoom
Kommen wir jetzt noch zum technischen Kern des neuen Reglements. "Unter Leitung von ACO und FIA ist es gelungen, einen Kompromiss aus Technologiedarstellung und Kostenkontrolle zu formulieren", so die offizielle Aussage von Porsche-Team- und Technikchef Andreas Seidl. Bezogen auf die künftige Plug-in-Hybridlösung, die nach Boxenstopps für eine ein Kilometer rein elektrische Fahrt sorgen soll, meinte ein LMP1-Ingenieur mit lautem Lachen: "Ich geh schon mal eine Kabeltrommel kaufen!"
"An den Tankanlagen wird es dann eine Schnelllade-Einheit geben. Das müssen wir entwickeln", sagt TMG-Boss Rob Leupen. Man mag bei den aktuellen Hybrid-Rahmenbedingungen mit maximal zwei Systemen und höchstens 8MJ Kapazität bleiben, aber die bestehenden Lösungen sind nicht für Plug-in-Systeme ausgelegt. Auch an jener Stelle wird es kaum günstiger. Der ACO plant, dass in Le Mans nicht nur der erste Kilometer (bis kurz hinter Dunlop-Bogen) elektrisch zurückgelegt werden soll, sondern auch die Zieldurchfahrt.
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Als "symbolisch" bezeichnet Rob Leupen diese Idee. Mehr ist es tatsächlich auch nicht. Es ist der krampfhafte Versuch, mit einigen Änderungen noch große Innovationen und Technologien darstellen zu wollen. Aber mal ehrlich: Wenn ein LMP1 mit seinen 500 PS starken Elektromaschinen auf den ersten Kilometer geht und von hinten ein gut 600 PS starkes LMP2-Geschoss ankommt, dann wird dieser "grandiose Entwicklungsträger auf vier Rädern" zu einer rollenden Schikane. Sexy geht anders...
Vor all diesen Hintergründen lasst uns gemeinsam die 24 Stunden von Le Mans 2017 genießen und auf einen herzhaften Fight zwischen Toyota und Porsche hoffen. Bitte noch nicht zu viel an die Zukunft denken. Der Himmel über Le Mans ist blau, die Zukunft für die Szene aus meiner Sicht nicht rosig. Wer weiß, wie lange wir überhaupt noch LMP1-Hersteller an der Sarthe sehen? Begeisterung für das Regelwerk 2020 spüre ich bei den aktuellen Protagonisten nicht. Und an einen Einstieg von Peugeot glaube ich immer weniger.
In diesem Sinne auf eine tolle Schlacht 2017,