Folge uns jetzt auf Instagram und erlebe die schönsten und emotionalsten Momente im Motorsport zusammen mit anderen Fans aus der ganzen Welt
Porsche 919 Hybrid: Evolution des Technikpioniers
Die komplexe Technik des neuen Porsche 919 Hybrid für die WEC-Saison 2015 im Detail: Innovatives Antriebskonzept mit einer Systemleistung von knapp 1.000 PS
(Motorsport-Total.com) - Porsche startet mit einem deutlich weiterentwickelten 919 Hybrid in die zweite Saison 2015 der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) mit dem Saisonhöhepunkt der 24 Stunden von Le Mans. Für die auf extreme Effizienz ausgelegte Topkategorie LMP1 hat der Sportwagenhersteller mit Sitz in Weissach den komplexesten Rennwagen seiner Unternehmensgeschichte umfassend optimiert.
© Porsche
Unter der Haut des neuen Porsche 919 Hybrid versteckt sich innovative Technik Zoom
Das Grundkonzept wurde beibehalten: Der 919 Hybrid verfügt über einen Downsizing-Turbo-Benziner mit Direkteinspritzung und zwei verschiedene Energie-Rückgewinnungssysteme. Die Systemleistung liegt jetzt bei nahezu 1.000 PS. Das anspruchsvolle Credo für die Evolution lautete: effizienter, steifer, gutmütiger, leichter und gleichzeitig robuster.
Das für die Spitzenklasse dieser WEC formulierte Reglement verpflichtet Hersteller zur Hybridisierung und knüpft die sportliche Leistungsfähigkeit der Prototypen direkt an ihre Energieeffizienz. Das bedeutet: Es darf eine hohe Energiemenge aus Rückgewinnungssystemen eingesetzt werden, negativ proportional dazu reduziert sich aber die erlaubte Kraftstoffmenge. Abgerechnet wird auf jeder Runde.
In der Wahl des hybridisierten Antriebskonzepts lassen die WEC-Regularien den Entwicklern große Freiheiten. Diesel oder Benziner, Sauger oder Turbo, Hubraumgröße, ein oder zwei Rückgewinnungssysteme - alles ist freigestellt. Diese Formel rückt Innovationen mit höchster Relevanz für zukünftige Seriensportwagen ins Zentrum. Für Porsche war dies das entscheidende Argument zur Rückkehr in den Spitzen-Motorsport.
Antriebsstrang
Porsche debütierte 2014 mit einem innovativen Antriebskonzept, das unter der Regie des Technischen Direktors Alexander Hitzinger kreiert und weiterentwickelt wurde. Für 2015 wurden alle Komponenten optimiert. Die Verbrennungseffizienz des jetzt noch leichteren und steiferen Zweiliter-Vierzylinder-Turbo-Benziners konnte gesteigert werden. Die tragende Funktion des V-Motors (90 Grad Bankwinkel) im Chassis wurde durch Geometrieanpassungen für eine bessere Gesamtsteifigkeit ebenfalls optimiert.
© Porsche
Der Antriebsstrang des Porsche 919 Hybrid mit einer Systemleistung von fast 1.000 PS Zoom
Zur Leistungssteigerung und für eine effizientere Aerodynamik löst eine Doppelrohrauspuffanlage den zuvor zentralisierten Abgastrakt ab. Der Verbrennungsmotor treibt die Hinterachse mit über 500 PS an. Zur gesteigerten Steifigkeit der Einheit aus Monocoque, Motor und Getriebe leistet auch die Schaltzentrale ihren Beitrag. Das sequenziell geschaltete und hydraulisch betätigte Siebengang-Renngetriebe aus Aluminium sitzt in einer Karbonstruktur. Auch bei diesem Aggregat gelang der Spagat, es gleichzeitig leichter, aber auch steifer und robuster auszulegen. Parallel konnten die Schaltzeiten weiter reduziert werden.
Mehr Leistung bei reduziertem Gewicht ist das Resultat der kompletten Überarbeitung der Energie-Rückgewinnungssysteme. An der Vorderachse wird beim Bremsen kinetische Energie in elektrische umgewandelt. Das zweite Rückgewinnungssystem sitzt im Abgastrakt. Der Abgasstrom treibt - praktisch parallel zum Turbolader - eine zweite Turbine an, die eine Generator-Funktion besitzt.
Der so erzeugte Strom wird ebenso wie jener vom Vorderachs-KERS in Lithium-Ionen-Batteriezellen zwischengespeichert. Von dort kann der Fahrer sie abrufen. Wenn er den vollen Boost abruft, presst ihn eine Zusatzkraft in der Größenordnung von über 400 PS in den Sitz. Diese Leistung treibt über einen Elektromotor die Vorderachse an und verwandelt den 919 Hybrid in einen temporären Allradler mit einer Systemleistung von dann nahezu 1.000 PS.
Energiemanagement
Auch bei der Wahl der Speichermedien sind die Ingenieure in der WEC zur Freiheit verurteilt: Ob Schwungrad, so genannte Ultracaps (elektrochemische Superkondensatoren) oder Lithium-Ionen-Batterien - alles wird ausprobiert. "Dabei muss man das Speichermedium auswählen", erklärt Hitzinger, "das am besten zum jeweiligen Hybridsystem passt. Es ist immer ein Abwägen zwischen Leistungsdichte und Energiedichte."
Je höher die Leistungsdichte des Speichers ist, desto mehr Energie kann ihm in kurzer Zeit zugeführt und auch abgerufen werden - und desto leichter ist er. Man rechnet in Watt pro Kilogramm. Die Leistungsdichte bestimmt automatisch die Geschwindigkeit für den Be- und Entladevorgang. Aber: Eine hohe Leistungsdichte steht im Widerspruch zur hohen Energiedichte. Beides maximal hochzuhalten ist physikalisch unmöglich. Der Parameter der Energiedichte bestimmt die Energiemenge, die gespeichert werden kann. Ist die Energiedichte gering, muss gewonnene Energie gleich wieder eingesetzt werden, damit der Speicher wieder frei ist für neue Energie, die beispielsweise beim nächsten Bremsvorgang rekuperiert wird.
Nun ist es aber sportlich wünschenswert, gespeicherte Energie auch ein paar Kurven lang ansammeln zu können, um sie erst beim Einbiegen auf die Gerade per Boost einzusetzen. Hitzinger hat sich für hochmoderne Lithium-Ionen-Batteriepacks entschieden: "Unsere Batterie erreicht bei der Leistungsdichte fast das Niveau von Ultracaps, verfügt aber über eine viel höhere Energiedichte. Wir haben eine Batterie, die viel Leistung aufnehmen und abgeben kann, dabei ein überschaubares Eigengewicht darstellt und eine relativ hohe Speicherkapazität aufweist."
Porsche-LMP1-Piloten über F1
Mark Webber, Nico Hülkenberg und Brendon Hartley über die Unterschiede zwischen LMP1 und F1
Die Zellen werden von A123 Systems in Zusammenarbeit mit Porsche entwickelt. Ob Zellentwicklung, Batteriemanagement, Kühlsysteme oder Packaging - das Know-how entsteht und verbleibt im Hause Porsche. Dem intelligenten Management der abrufbaren elektrischen Energie kommt eine besondere Bedeutung zu. Dabei muss ein Fahrer abwägen: Einmal abgerufene Energie ist für diese Runde dahin, und das kann zum Beispiel dazu führen, dass er auf der Geraden wehrlos ist und überholt wird, weil ein Konkurrent noch boosten kann.
Je größer die elektrische Energiemenge ist, die ein Fahrer pro Runde abrufen kann, desto weniger Kraftstoff darf er einsetzen. Insofern begünstigt das Reglement innovative Hybridsysteme einerseits, sorgt aber andererseits für Chancenausgleich zwischen den vielfältigen Systemen - eine knifflige Aufgabe und ein Paradies für engagierte Ingenieure.
Das Reglement unterscheidet vier Stufen von 2 bis 8 Megajoule (MJ) abrufbarer Energie. Maßstab der Formel ist die 13,629 Kilometer lange Runde in Le Mans, für die anderen sieben Rennstrecken wird umgerechnet. Will man in der höchsten Rekuperationsklasse pro Runde acht Megajoule abrufen, begrenzt ein Durchflussmessgerät der FIA die zulässige Benzinmenge pro Runde auf 4,76 Liter.
Zum Vergleich: In der Zwei-Megajoule-Klasse stehen pro Runde bereits 5,07 Liter Benzin zur Verfügung. Ebenfalls ins Kalkül zu ziehen: Je leistungsstärker die Rekuperations- und Speichersysteme sind, desto größer und schwerer sind sie auch. Der Porsche 919 Hybrid ist 2015 erstmals für die Königsklasse von 8 Megajoule homologiert.
Beispielrechnung für eine Runde in Le Mans:
2 Megajoule Rückgewinnung = 5,07 l Benzin = 3,94 l Diesel
4 Megajoule Rückgewinnung = 4,94 l Benzin = 3,84 l Diesel
6 Megajoule Rückgewinnung = 4,81 l Benzin = 3,74 l Diesel
8 Megajoule Rückgewinnung = 4,76 l Benzin = 3,65 l Diesel
Chassis
Das Monocoque des Porsche 919 Hybrid besteht - wie auch in der Formel 1 üblich - aus Karbonfaser in Sandwichbauweise und erhielt für 2015 ein komplett neues Design. Es ist jetzt in einem Stück anstatt aus zwei Teilen gefertigt und erfuhr eine signifikante Gewichtsreduzierung bei gleichzeitiger Steifigkeitserhöhung dank verbessertem Lagenaufbau und unter Beibehaltung der hervorragenden Sicherheitseigenschaften.
Die neue Hinterwagen- und generell neue Fahrwerksstruktur erhöht ebenfalls die Steifigkeit bei gleichzeitiger Gewichtsreduzierung. Ein wichtiges Entwicklungsziel beim komplett neuen Fahrwerk war die Verbesserung des Fahrverhaltens, vor allem um Untersteuern in Kurven entgegenzuwirken.
© Porsche
Das Monocoque wurde im Vergleich zum 2014er-Modell komplett überarbeitet Zoom
Der Fokus bei der aerodynamischen Weiterentwicklung für 2015 lag weiterhin auf maximaler Effizienz und ist erneut zweigleisig gelagert: Die Rennstrecke von Le Mans mit ihren langen Geraden verlangt derart geringen Luftwiderstand, dass der Abtrieb auf das Nötigste begrenzt werden muss. Für die weiteren Rennstrecken im WEC-Kalender gelten andere Prämissen, dort wird mit mehr Abtrieb gefahren.
In jedem Fall schulten die Erfahrungen aus der ersten Saison 2014 den Blick auf die aerodynamische Sensitivität. Ziel war, das Auto so gutmütig wie möglich zu machen gegen Störfaktoren wie Wind, Kurvenmanöver, Lenkwinkel, Schwimm- und Rollwinkel. All diese Einflüsse verändern den Luftfluss um das Auto, damit den Abtrieb, beeinflussen das Vertrauen in die Fahrstabilität und kosten somit Speed.
Die augenfälligsten Änderungen an der Kohlefaseraußenhaut des Porsche 919 Hybrid sind die neue Frontansicht und die schlankere Motorabdeckung im Heck. Das geänderte Felgendesign ist dem Reglement geschuldet. Um hier die aerodynamische Nutzung zu begrenzen, müssen nun 50 Prozent der Felgenfläche offen sein.
Während sich schon seit dem ersten Test Fahrer und Ingenieure positiv über das Fahrverhalten des 2015er 919 Hybrid äußerten, verliefen auch die Reifentests mit Michelin erfreulich. "Hier macht sich deutlich die bessere Balance des neuen Autos bemerkbar, die Ergebnisse sind jetzt viel aussagekräftiger", sagt Hitzinger.
Parallelentwicklung
Die ersten Entscheidungen für den 919 Hybrid der Saison 2015 mussten die Ingenieure bereits treffen, ehe das neue Porsche-Team mit dem Vorgänger auch nur ein einziges Rennen gefahren war. Im kleinen Kreis wurden im April 2014 die wichtigsten Parameter für das Monocoque und das Fahrwerk der zweiten Generation festgelegt. "Das Monocoque hat sehr lange Lieferzeiten, und ohne das grobe Layout für das Fahrwerk, kann man keines konstruieren", erklärt Hitzinger.
Es galt früh, die Aufhängungspunkte der Radträger und der innenliegenden Aufhängungsteile festzulegen. Nach dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans im Juni wurde das 2014er-Auto noch im Detail weiterentwickelt, die Priorität lag aber bereits auf dem 2015er-Fahrzeug. Noch in der WEC-Sommerpause wurde die Monocoque-Entwicklung für 2015 eingefroren. Die Mannschaft arbeitete mit Hochdruck am zweiten Porsche 919 Hybrid. Es war keine einfache Phase für das Team, schließlich sollte gleichzeitig die Saison 2014 erfolgreich bestritten werden, was mit einem Sieg beim Saisonfinale in Sao Paulo trotz der Doppelbelastung gelang.