Werde jetzt Teil der großen Community von Motorsport-Total.com auf Facebook, diskutiere mit tausenden Fans über den Motorsport und bleibe auf dem Laufenden!
Großes Jubiläum: Ullrich 20 Jahre Audi-Sportchef
Wolfgang Ullrich steht seit 20 Jahren an der Spitze von Audi Sport: Der schwierige Beginn, die enormen Erfolge und die traurigen Momente
(Motorsport-Total.com) - Wolfgang Ullrich feiert dieser Tage ein großes Dienstjubiläum. Der Österreicher steht seit November 1993 an der Spitze von Audi Sport, er verantwortet die Motorsportprogramme der Ingolstädter nunmehr seit 20 Jahren. "Meine Frau hatte das auf dem Schirm, ich nicht so", so Ullrich im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. Der 63-Jährige geht dermaßen im spannenden Tagesgeschäft auf, sodass ein Jubiläum schon mal in Vergessenheit gerät.
© Audi
Wolfgang Ullrich leitet seit 1993 die Geschicke von Audi im Motorsport Zoom
"Plötzlich stand mein Vorgänger im Büro und fragt: 'Weißt du, warum ich heute hier bin?' Da habe ich geantwortet: 'Na klar, lass uns Mittagessen gehen.' Da meinte er plötzlich: 'Nein, nein, vor 20 Jahren hast du von mir den Posten übernommen. Erst da wurde mir das klar", schmunzelt Ullrich, der das Amt im November 1993 von Dieter Basche übernommen hatte. Audi war damals eine eher kleine Nummer im Motorsport, seither hat sich sehr viel getan.
"1993 hatten wir ein Jahr mit Supertourenwagen in Frankreich hinter uns. Die beiden Autos wurden damals gefahren von Marc Sourd und Frank Biela", erinnert sich der Jubilar. Die damalige Saison war erfolgreich. Biela konnte den Tourenwagen-Titel in Frankreich am Steuer eines Audi 80 quattro sichern, sein Teamkollege kam auf Gesamtrang drei. Dies sollte der Auftakt zu einer Ausweitung des Programms mit den Supertourenwagen werden. Logisch, aber dennoch nicht selbstverständlich.
Zum Start "ein kleines Problem"
"Ich hatte kurzfristig ein Gespräch mit meinem damalig vorgesetzten Vorstand Herbert Demel, der mir eröffnete, dass wir ein kleines Problem hätten. Man hatte sich nämlich aufgrund der Budgetsituation entschieden, keinen Motorsport mehr zu machen", erinnert sich Ullrich an einen regelrechten Schock zu Beginn seiner Amtszeit. Die wirtschaftlichen Umstände waren schwierig, die Verkaufszahlen der europäischen Hersteller in einem Tief.
"Ich hatte gerade bei Zulieferern alles vorbereitet, Prokura waren niedergelegt worden. Meine Begeisterung war deswegen natürlich sehr groß", merkt Ullrich ironisch an. Doch Demel und Ullrich kämpften. "Ich sollte ganz vorsichtig ein Motorsportprogramm für 1994 planen, auf Grundlage des Supertourenwagen-Programms von 1993. Wir wollten den Vorstand überzeugen. Bei der Sitzung in Neckarsulm kurze Zeit später hat es geklappt. Wir bekamen grünes Licht für unser Programm. Wir hatten die Erlaubnis, im STW-Cup in Deutschland zu fahren."
Ullrich ließ die weitere Entwicklung des STW-Autos (A4 quattro) weiterlaufen, die Zulieferer konnten wie geplant arbeiten. Gleichzeitig erarbeitete der Österreicher neue Strukturen. Die Motorenentwicklung für den Motorsport wurde aus der Serienentwicklung abgezogen und bei Audi Sport integriert. Ein gewisser Ulrich Baretzky (noch heute Motorenchef bei Audi) wurde in die Verantwortung genommen.
Mosley wollte keinen quattro mehr
© LAT
Der A4 quattro (hier Frank Biela in der BTCC) war die Basis für die Audi-Erfolge Zoom
Die Einsätze mit den Supertourenwagen führten unterdessen zu vielen sportlichen Erfolgen. Unter Ullrichs Verantwortung setzte man Autos in den Folgejahren nicht nur in Deutschland, sondern in vielen europäischen Serien sowie in Südafrika und Australien ein. "Es gab Jahre, da haben wir bis zu 22 STW-Autos vom Werk aus betreut", so der Audi-Sportchef. "1996 hatten wir den tollen Abschluss, dass wir in sieben nationalen Meisterschaften aktiv waren und überall den Titel geholt haben."
"Dieses Spitzenjahr hatte zur Folge, dass es anschließend ein Treffen mit Max Mosley (damaliger FIA-Präsident; Anm. d. Red.) in München gab. Max hat mir dann in einem kleinen Besprechungszimmer offenbart, dass es ihm langt und er den Allradantrieb im Rundstreckensport verbietet", erklärt Ullrich einen herben Schlag von 1996. "Für uns war das ein Desaster, weil die Audi AG den Motorsport immer mit Bezug zum quattro-Antrieb gestellt hatte."
"Den quattro durften wir nicht mehr, Rallye war zu jenem Zeitpunkt kein Thema - da haben wir überlegt, was wir tun können. Wir haben uns dann entschieden, den Weg zum schwierigsten Rennen der Welt zu machen. 'Vorsprung durch Technik' kann man auch dort sehr gut darstellen", schildert Ullrich die wichtige Entscheidung zum Schritt nach Le Mans. Der Weg dorthin war steinig und aufwändig. Audi Sport brauchte ganz neue Strukturen.
Heimliches Schnüffeln in Le Mans
© LAT
1999: Audi beim Le-Mans-Debüt auf Platz drei und vier - dank Erfahrungen von 1998 Zoom
"Das hat ein bisschen Zeit gekostet. Wir haben uns damit geholfen, dass wir die Racing Technology Norfolk gegründet und die Zusammenarbeit mit Joest Racing begonnen haben. Dort waren CFK-Kenntnisse vorhanden, dort gab es Autoklaven und das nötige Know-how", erklärt der erfahrene Techniker. In den Hallen von Tom's Toyota, die ursprünglich als Formel-1-Standort der Japaner gedacht waren, lief eine parallele Entwicklung von Fahrzeugen. Auf Grundlage eines "schwierigen Reglements" fuhr man zweigleisig in Richtung Neuland Le Mans.
"Wir in Ingolstadt haben einen offenen Prototypen gemacht, die Kollegen in England einen geschlossenen - allerdings mit einer Verzögerung von einem Dreivierteljahr", erklärt Ullrich die Zeit ab 1997. "Es gab also zwei neue Autos, einen ganz neuen Motor und ein ganz neues Getriebe zu entwickeln. Das war eine sehr große Aufgabe. Der Vorstand Franz-Josef Paefgen hat uns unterstützt und angetrieben. Der R8R wurde damals in Berlin im Radstadion vorgestellt. Bei diesem Anlass hat sich unser Chef, Dr. Paefgen, vor die versammelte Weltpresse gestellt und gesagt, dass wir 1999 nach Le Mans kommen, um zu siegen."
Der Druck lastete enorm auf den Schultern von Ullrich und seinen Mitstreitern. Man wagte den Schritt zum "schwierigsten Rennen der Welt" und sollte gleich siegen? Eine herbe Ansage. "Wir haben unseren ersten Einsatz in Le Mans mit einem Podestrang abgeschlossen. Das war nicht so schlecht. Was damals niemand wusste: Wir waren schon im Jahr zuvor in Le Mans - mit einem anderen Auto. Das hat keiner gemerkt. Wir waren damals beim Thomas Bscher mit seinem McLaren dort, mit zwei unserer Fahrer, Renningenieuren und Mechanikern."
Heck und weg: Der Clou am R8
© Audi
Audi (hier der R10) machte die Modulbauweise salonfähig Zoom
Ullrich hatte mit seiner Mannschaft einen Zeh in das kalte Le-Mans-Wasser gesteckt, um wichtige Erkenntnisse über dieses einzigartige Rennen zu gewinnen. Am Steuer des Davidoff-McLaren F1 GTR (mit BMW-Motor!) sammelten Emanuele Pirro und Dindo Capello Erfahrungen auf der Strecke, der erfahrene Ingenieur Jo Hauser saugte alles aus Technikersicht auf. "Wir konnten in Le Mans schnuppern", sagt Ullrich, dessen Team nur ein Jahr später eine erste Duftmarke an der Sarthe hinterließ.
Grundlage für die vielen Erfolge in Le Mans waren aus Sicht des Audi-Sportchefs einerseits gute Entwicklungen und starke Fahrer sowie die Zusammenarbeit mit Joest Racing, aber andererseits auch die zweifellos akribische Vorbereitung. "Wir haben Studien zu Le Mans betrachtet. Da ist als Ausfallgrund immer wieder Getriebe, Getriebe, Getriebe aufgetaucht. Da hatten wir die Idee zum modularen Aufbau des Hinterwagens. Uns war es möglich, innerhalb von maximal zwei Runden den kompletten Hinterwagen zu wechseln. Le Mans hatte gezeigt, dass man mit zwei Runden Rückstand durchaus immer noch Chancen hat."
Jene Heckpartie, die als komplettes Bauteil samt Aufhängungen, Flügel, Bremse und Getriebe innerhalb von wenigen Minuten getauscht werden konnte, war Ausdruck des Perfektionismus von Ullrich und seinem Team. In der gesamten Einsatzzeit des damaligen R8 kam es zwar nur zweimal vor, dass das Heck wegen eines Getriebedefektes gewechselt wurde, aber man nutzte diese Möglichkeit auch bei Schäden an Radaufhängungsteilen.
Wie war das mit Bentley 2003?
© LAT
Le Mans 2003: Audis Konzernschwester Bentley fährt zum Doppelsieg Zoom
"Das ging alles so schnell mit Schnellverschlüssen, es waren alle Schmierstoffe schon im neuen Bauteil vorhanden. Auch bei der Bremse, wo wir über ein Schnellkupplungssystem sofort wieder Bremsdruck hatten", erklärt Ullrich den Audi-Coup stolz. "Wir haben damals nicht nur normal getestet, sondern wir haben auch Teilewechsel trainiert. Das waren geplante Defekt-Simulationen, um Wege zu finden, möglichst schnell Reparaturen durchführen zu können."
"Das hat dem R8 damals den Beinamen 'Der Unzerstörbare' eingebracht. Da gab es mal einen Vorfall in Sears Point, wo ein Konkurrent beobachtet hat, wie der Emanuele Pirro in die Leitplanken eingeschlagen ist. Das Auto war erheblich zerstört. Einige Zeit später hat sich dieser Mitbewerber doch sehr gewundert, als wir ihn plötzlich mit einem reparierten Auto überholt haben", schildert Ullrich eine nette Anekdote aus dem ereignisreichen Rennbetrieb mit dem Le-Mans-Prototypen.
Platz drei im ersten Jahr, anschließend Siege in den Jahren 2000, 2001 und 2002 - Le Mans war Audi-Land geworden. So sehr, sodass man 2003 der Konzernschwester Bentley einen Schub verlieh. "Wir haben in jenem Jahr einen Großteil der Joest-Mannschaft an Bentley abgestellt", so Ullrich. Der Österreicher räumt mit der Mär auf, dass Audi die Briten habe gewinnen lassen. "Es war schon so, dass es offenen Wettbewerb gab. Wären unsere Kundenteams schnellere gewesen, dann hätte Bentley eben Pech gehabt."
Und plötzlich dieselt es Siege
"Bentley hatte das bessere Ende für sich. Für uns stand in jenem Jahr im Vordergrund, dass wir uns Gedanken machen mussten, was nach dem tollen R8 kommen sollte. Drei Jahre lang hatten wir mit dem TFSI einen Technologiesprung dargestellt", sagt der 63-Jährige. "Dann kam in Diskussionen mit Martin Winterkorn und Ferdinand Piech die Idee, einen Diesel zu machen. Es gab kein Reglement dafür. Zwei Jahre lang haben wir beim ACO darum gebeten, doch Diesel zuzulassen."
"Einige Zulieferer haben uns damals für etwas verrückt erklärt. Alle, die sich dann ein wenig ernsthaft damit beschäftigt haben, konnten auch die Chance darin sehen. Dann haben wir es probiert", erklärt Ullrich einen weiteren Le-Mans-Coup von Audi. "Es war ein steiniger Weg, aber es hat einen riesigen Schritt gebracht. Wir hatten vorher Einspritzdrücke von 1.000 bar, später ging es um 2.000 bar. Das war ein Kracher. In puncto Gemischaufbereitung, in Sachen Zerstäubung hat sich so viel getan."
"Der Schritt zum Diesel war mega mutig. Es war eine riesige Herausforderung, nicht nur bezüglich des Motors, sondern auf das Gesamtfahrzeug betrachtet. Solch einen großen Motor muss man unterbringen, man muss ihn kühlen, man muss die Gewichtsverteilung hinbekommen - das war riesige Arbeit, die geleistet wurde", schildert Ullrich. In der Öffentlichkeit nahm man die sofortigen Erfolge des R10 TDI wahr, hinter den Kulissen gab es jedoch reichlich Sorgen.
"Beim ersten Einsatz in Sebring hatten wir mächtige Probleme mit Teilen von einem Zulieferer. Diese Teile aus einer gewissen Charge waren ausgerechnet in den Motoren für den Renneinsatz verbaut. Wir wollten natürlich nicht, dass ein Audi stehen bleibt", so der Audi-Sportchef mit Blick auf den Start der Saison 2006. "Daher haben wir etwas getan, was unser Motorenchef eigentlich überhaupt nicht mag: Wir haben aus vier Motoren zwei Renntriebwerke zusammengewürfelt. Es hat geklappt."
Dunkle Momente für einen Sportchef
© xpb.cc
Allan McNishs Le-Mans-Unfall 2011: Für Ullrich einer der ganz schwierigen Momente Zoom
Die Liste der Erfolge von Audi seit 1993 ist lang. Nicht nur in Le Mans, sondern auch in der DTM und im Kundensport. Es gab viel Jubel im Lager der Ingolstädter. Aber es gab auch dunkle Momente, die den Motorsport in den Hintergrund rückten. "Der tödliche Unfall von Michele Alboreto war extrem einschneidend", sagt Ullrich und wird in der Erinnerung an die Test-Tragödie vom 25. April 2001 äußerst nachdenklich. "Ich war nicht an der Strecke. In diesem Fall ist das gut, weil keine Bilder im Kopf haften geblieben sind. Es war dennoch das blanke Entsetzen."
"Die Polizei hat damals den Lausitzring abgesperrt, niemand durfte das Gelände verlassen, alle wurden einzeln vernommen. Das muss vermutlich so sein, aber in einer solchen Situation ist so etwas hart", erklärt Ullrich die schwierige Phase nach dem tödlichen Unfall auf dem Lausitzring. "Das einzig Schlimme war, dass der Michele zu Tode gekommen ist. Alles andere kann man irgendwie ausgleichen. Das war ziemlich chaotisch."
"Das Schlimmste für mich war, zu Micheles Frau und den Kindern zu fahren, und ihnen alles zu erklären. Das war heavy. In solchen Momenten spürst du die Verantwortung ganz extrem. Man macht sich natürlich unzählige Gedanken, ob man etwas anders hätte machen müssen, damit es nicht passieren kann", so der Audi-Sportchef. "Wir haben aber nichts finden können."
20 Jahre Sportchef: Weiter geht's
"Michele hat damals einen schleichenden Plattfuß gehabt, den wir nicht bemerken konnten, weil es die Reifendruck-Messsysteme noch nicht gab. Er ist in den Ovalteil gefahren, das Auto hat sich hinten links abgesenkt und er hatte keine Chance. Das Schlimme war, dass er über die Leitplanken gegangen ist", sagt Ullrich, der weitere schwierige Momente erlebte, unter anderem, als Allan McNish und Mike Rockenfeller schwere Unfälle in Le Mans hatten - die jedoch glimpflich ausgingen.
Diese emotionalen Achterbahnfahrten kosten Kraft. Eigentlich hat Ullrich mit 63 Jahren das Rentenalter erreicht. Doch im Schaukelstuhl permanent an der Seite seiner Ehefrau Antje sieht sich der Österreicher noch lange nicht. "Es macht mir noch viel Spaß. Es ist unheimlich schön, mit solch einer Mannschaft arbeiten zu können", erklärt Ullrich auf die Frage, wann er sich ein Ende des Engagements vorstellen könne.
"Der damalige Vorstand hat mich eingestellt und gemeint, dass man es kaum länger als fünf Jahre als Sportchef bei Audi schafft. Er hat mich genommen, weil er meinte, dass man mich mit meinem Background im Falle eines Falles anderswo in der technischen Entwicklung unterbringen könnte", lacht der Österreicher beim Rückblick auf 20 Jahre an der Spitze von Audi Sport. "Gott sei Dank ist das nicht passiert."