Pagenaud gewinnt turbulenten Baltimore-Grand-Prix
Simon Pagenaud gewinnt ein hochdramatisches Rennen in Baltimore - Simona de Silvestro auf Platz fünf - Rückschläge für die Titelkandidaten Dixon und Hunter-Reay
(Motorsport-Total.com) - Simon Pagenaud (Schmidt-Honda) hat sich in Baltimore seinen zweiten IndyCar-Sieg gesichert. Im Juni hatte der Franzose auf der Belle Isle von Detroit triumphiert. Auf dem Stadtkurs im Hafengebiet von Baltimore setzte er sich am Sonntag nach 75 hochdramatischen Runden gegen Josef Newgarden (Fisher-Honda) und Sebastien Bourdais (Dragon-Chevrolet) durch. Für Newgarden war es beim 30. IndyCar-Start die erste Teilnahme an einer Siegerehrung.
© IndyCar
Simon Pagenaud fuhr nach Detroit zum zweiten Mal in die Victory Lane Zoom
Der Drittplatzierte Bourdais hatte im morgendlichen Warmup die Bestzeit auf den holprigen Stadtkurs gelegt, musste mangels Rundenzeit im Qualifying aber vom Ende des Feldes starten. Von dort arbeitete sich der vierfache ChampCar-Meister dank kluger Strategie und hohem Tempo nach vorn und führte das Rennen lange Zeit an. Weil er im Zuge einer chaotischen zweiten Rennhälfte gleich mehrfach aufs Korn genommen wurde, sprang letztlich "nur" Platz drei heraus. Dennoch bedeutet dieser dritte Platz für Bourdais nach Platz zwei in Toronto den ersten zweiten Podestbesuch unter IndyCar-Regularien.
Hinter Justin Wilson (Coyne-Honda), der Vierter wurde, kam Simona de Silvestro (KV-Chevrolet) an ihrem 25. Geburtstag auf Platz fünf ins Ziel. Tabellenführer Helio Castroneves (Penske-Chevrolet) machte mit Platz neun ein großen Schritt in Richtung seines ersten IndyCar-Titels, weil seine Hauptkonkurrenten Scott Dixon (Ganassi-Honda) und Ryan Hunter-Reay (Andretti-Chevrolet) durch Kollision beziehungsweise Defekt strauchelten.
Die Highlights aus Baltimore
Als die 75-Runden-Hatz in den Straßen von Baltimore mit der Grünen Flagge eröffnet wurde, übernahm Polesetter Scott Dixon das Kommando. Die Führung des Neuseeländers hielt jedoch nur bis zur ersten Durchfahrt der Haarnadelkurve (Turn 3). Dort setzte sich der von Position zwei gestartete Will Power innen neben den roten Ganassi-Honda und schnappte sich Platz eins.
Unterdessen war die Haarnadel für Powers Penske-Teamkollegen Helio Castroneves kein gutes Pflaster. Ein früher Angriff des IndyCar-Tabellenführers auf Newgarden schlug fehl. Der Brasilianer beschädigte sich den Frontflügel und musste schon nach einer Runde die Box ansteuern, um sich eine neue Nase abzuholen. Vom Ende des Feldes hatte der "Spiderman" fortan noch mehr Arbeit vor sich als von seinem im Qualifying herausgefahrenen siebten Startplatz.
Unterschiedliche Strategien zu Beginn
© xpbimages.com
Bourdais holte auch sportlich zum Höhenflug aus: P3 nach langer Führung Zoom
An der Spitze kontrollierte Power in der Anfangsphase das Geschehen vor Dixon, Pagenaud und Newgarden. In Runde 13 war es Ed Carpenter (Carpenter-Chevrolet; 14.), der mit einem Ausrutscher in Turn 5 für die erste Gelbphase sorgte. Für einen Routinestopp war es noch zu früh und so blieb die Spitzengruppe hinter dem Pace-Car auf der Strecke. Im Hinterfeld nutzten einige Piloten - darunter der ans Ende des Feldes zurückgefallene Castroneves und der ganz hinten losgefahrene Bourdais - die Gelegenheit zu einem frühen Service.
Beim Restart schnappte sich Pagenaud sofort den zweiten Rang von Dixon und machte sich auf die Verfolgung von Spitzenreiter Power. Kurz darauf geriet der auf Platz vier liegende Fischer-Youngster Newgarden an die Mauer und musste bei dieser Gelegenheit Charlie Kimball, Graham Rahal und Tony Kanaan passieren lassen. In Runde 25 steuerte Newgarden als erster Fahrer aus den Top 10 unter Grün die Box an. Der Rest der Spitzengruppe tankte in den Runden 29 bis 32, wobei Leader Will Power am längsten draußen blieb.
Nachdem das gesamte Feld den ersten Boxenstopp hinter sich gebracht hatte, lautete die Reihenfolge an der Spitze Bourdais vor Tristan Vautier, Sebastian Saavedra, Castroneves, Marco Andretti und Ernesto Viso. Diese Piloten waren allesamt während der ersten Gelbphase an der Box gewesen. Power reihte sich nach einem langen ersten Stopp, bei dem er einen Druckluftschlauch seiner Penske-Crew überfuhr, auf Platz sieben direkt vor Dixon wieder ein.
Rückschlag für Titelkandidat Hunter-Reay
© IndyCar
Der Andretti-Chevy von Ryan Hunter-Reay blieb ohne Vortrieb liegen Zoom
Als die frischen Firestone-Gummis der vormaligen Spitzengruppe auf Temperatur waren, robbten sich Power und Dixon Position um Position nach vorn. Spitzenreiter Bourdais suchte in Runde 39 zum zweiten Mal die Boxengasse auf. Der Franzose hatte sich vor seinem Stopp dank freier Fahrt ein Polster herausgefahren und reihte sich vor der Kampfgruppe um Power und Dixon wieder in den Verkehr ein. Gerade als Bourdais wieder auf die Strecke ging, sorgte IndyCar-Debütant Stefan Wilson (Coyne-Honda; 16.) mit einem Ausrutscher in Turn 7 für die zweite Caution.
Unter Gelb suchten nun auch die bis dahin noch draußen gebliebenen Vautier, Saavedra und Castroneves ihre jeweilige Crew auf. Beim Penske-Piloten aus Brasilien klappte der Stopp jedoch nicht wie gewünscht. Der Tabellenführer fuhr einen seiner Mechaniker an und fing sich dafür die Schwarze Flagge ein. Dem betroffenen Mechaniker war mit einem Eisbeutel schnell geholfen, doch Castroneves musste zu einem Strafstopp herein und fiel erneut zurück.
Gerade als es so schien, dass der "Spiderman" im Kampf um den Titel wertvolle Punkte würde liegen lassen, kam es für seine schärfsten Verfolger noch dicker. Der als Tabellendritter angereiste Vorjahres-Champion und Baltimore-Vorjahressieger Ryan Hunter-Reay musste seinen Andretti-Chevrolet unter Gelb mit Getriebeschaden abstellen. "Wir wissen nicht genau, was es war, vielleicht die Elektronik", rätselte Hunter-Reay sichtlich enttäuscht. Der als Tabellenzweite angereiste Scott Dixon wurde wenig später Opfer eines von mehreren misslungenen Restarts.
Chaos beim Restart: Power räumt Dixon ab
Beim Restart in Runde 48 lautete die Reihenfolge an der Spitze Bourdais vor Power, Dixon, Saavedra und Rahal. Nachdem die ersten Meter auf der Start/Ziel-Geraden noch planmäßig zurückgelegt wurden und Bourdais seine Führung verteidigte, krachte es in Turn 1: In der Anbremszone wurde der Zweitplatzierte Dixon von Rahal umgedreht. Es kam zu einem regelrechten Stau, der nur mit einer weiteren Gelbphase aufgelöst werden konnte. Dixon verlor zwar einige Positionen, konnte aber zunächst weiterfahren.
Beim nächsten Versuch eines Restarts führte Bourdais vor Gelb-Verursacher Rahal, Power, Servia und Dixon. Weit kamen die Piloten allerdings nicht. Während sich Rahal auf der Außenbahn noch vor Turn 1 an Bourdais vorbeischob und die damit in Führujng ging, wurde Dixon ausgerechnet von Will Power in die Mauer geschickt. Eine Woche nach dem diskussionswürdigen letzten Boxenstopp in Sonoma war es diesmal ein klassisches Missverständnis zwischen den beiden.
© xpbimages.com
Nach dem Sonoma-Vorfall kamen sich Will Power und Scott Dixon erneut in die Quere Zoom
Wie Rahal auf der Außenbahn, wollte sich Power den Spitzenreiter Bourdais auf der Innenbahn zurechtlegen. Dabei übersah der Penske-Pilot den von hinten heranfliegenden Ganassi-Honda von Dixon, der sich seinerseits gerade Power zurechtgelegt hatte. Ergebnis: Dixon wurde in die Mauer gedrückt und stand danach mit beschädigtem Auto entgegen der Fahrtrichtung auf der Start/Ziel-Geraden. Für den Neuseeländer war damit nicht nur das Rennen beendet, sondern auch eine Riesenchance, Punkte auf Tabellenführer Castroneves gutzumachen, beim Teufel.
Power suchte mit beschädigter Radaufhängung die Boxengasse auf, wurde mit acht Runden Rückstand schließlich nur als 18. direkt vor Dixon gewertet. "Ich habe mich auf Bourdais konzentriert und hatte keine Ahnung, dass Dixie da war. Es tut mir leid für ihn", nahm der Penske-Pilot den Fehler beim Restart auf seine Kappe, nachdem er sich im Anschluss an das Rennen die Wiederholung der Szene angesehen hatte und versicherte: "Es war absolut keine Absicht, einfach nur eine saublöde Situation."
Weiter reichlich Kleinholz im Feld
Der Kampf um den Sieg in Baltimore war jedoch noch lange nicht entschieden. Beim dritten Versuch eines Restarts fanden sich Rahal, Bourdais, Servia, Kimball und Viso in den Top 5 wieder. Im Duell um Kurve eins setzte sich Rahal - diesmal auf der Innenbahn - mit einer leichten Berührung der Räder energisch gegen Bourdais durch. Während dieser Kontakt noch ohne Folgen blieb, wurde Bourdais nur Sekundenbruchteile später von Servia umgedreht. Der Spanier in Diensten von Panther Racing wurde seinerseits von Viso erwischt und rutschte in die Reifenstapel: Wieder Strecke blockiert, wieder Gelb.
Nachdem sich das Chaos gelegt hatte, sah der vierte Versuch eines Restarts (Runde 60) plötzlich Marco Andretti vor Kanaan, Pagenaud, Justin Wilson und Bourdais an der Spitze - und diesmal klappte es. Andretti führte die Meute nicht nur sicher durch Turn 1, sondern auch durch die enge Haarnadelkurve (Turn 3). Zwei Runden später allerdings war eben jene Haarnadel Schauplatz der nächsten Kollision mehrerer Fahrzeuge. Der auf Platz vier liegende Justin Wilson wurde von Bourdais umgedreht. Der Franzose freilich war gerade damit beschäftigt, eine Attacke von James Hinchcliffe abzuwehren.
Alle konnten weiterfahren und in Runde 66 wurde das Rennen abermals mit der Grünen Flagge freigegeben. Diesmal führte Andretti vor Pagenaud, der kurz vor dem Wilson-Dreher an Kanaan vorbeigegangen war. Kanaan war somit Dritter vor Bourdais und Newgarden. Hinter den Top 5 scharrten Simona de Silvestro, Castroneves, Kimball, Rahal und der nach dem Kontakt mit Hinchcliffe zurückgefallene Justin Wilson mit den Hufen. Rahal allerdings musste aufgrund der in Runde 48 ausgelösten Kollision mit Dixon in Turn 1 zu einer Drive-Through-Penalty herein und war damit aus der Entscheidung draußen.
Dramatischer Kampf um den Sieg
© xpbimages.com
Josef Newgarden sprang als Zweiter erstmals auf das Podest Zoom
Andretti führte das Feld vor Pagenaud, Kanaan, Bourdais und Newgarden in die letzten neun Runden. Sieben Runden vor Schluss griff sich Bourdais in der Haarnadelkurve Kanaan und übernahm damit Platz drei. Fortan machte sich der gut aufgelegte Dragon-Pilot auf die Verfolgung des Führungsduos Andretti/Pagenaud, um vielleicht doch noch einen Sieg abstauben zu können. Während sich Pagenaud in Turn 1 mit qualmenden Reifen neben Andretti setzte und diesem ausgangs der Kurve die Führung abnahm, schlüpfte Bourdais gleich mit durch.
Plötzlich führten also zwei Franzosen, doch der Käse in Baltimore war noch nicht gegessen. In Turn 8, der 90-Grad-Rechts am Boxenausgang, versuchte Bourdais auf der Außenbahn (!) an Pagenaud vorbeizugehen. Der Move ging nach hinten los und der vierfache ChampCar-Meister verlor zwei Positionen. Pagenaud behielt die Führung bis ins Ziel, während Andretti in der Schlussphase nacheinander noch von Newgarden, Bourdais, Justin Wilson, Simona de Silvestro, Kimball, Hinchcliffe, Saavedra und Castroneves kassiert wurde.
Simona de Silvestro am Geburtstag in den Top 5
© IndyCar
Simona de Silvestro wurde am Sonntag 25 und beschenkte sich selbst mit Platz fünf Zoom
Für Simona de Silvestro gab es somit am 25. Geburtstag eine Top-5-Platzierung zu feiern, und das vom 17. Startplatz kommend. "Wir waren am gesamten Wochenende nicht besonders schnell, aber das Ergebnis kann sich doch sehen lassen. Heute ging es wirklich verrückt zu", so der Kommentar der Schweizerin im Ziel. De Silvestros KV-Teamkollege Tony Kanaan flog bei seinem 212. IndyCar-Rennen in ununterbrochener Reihenfolge in der vorletzten Runde noch in die Mauer und wurde schließlich nur als 15. gewertet.
Dario Franchitti (Ganassi-Honda) hatte das Rennen nach einem unplanmäßigen Motorwechsel aus der letzten Startreihe in Angriff nehmen müssen. Doch auch mit dem neuen Triebwerk hatte der Schotte kein Glück. Schon nach wenigen Runden musste er mit nachlassender Bremswirkung die Ganassi-Box aufsuchen und fuhr fortan einem Rundenrückstand hinterher.
Ein auf dieses Bremsproblem zurückzuführender Ausfall setzte einem für den vierfachen IndyCar-Champion durchweg enttäuschenden Baltimore-Wochenende ein passendes Ende. "Ohne Bremsen fährt es sich auf einem Stadtkurs leider nicht besonders gut", so Franchittis lakonischer Kommentar. Long-Beach-Sieger Takuma Sato (Foyt-Honda) musste aufgrund von Motorproblemen früh die Segel streichen. Auch die Honda-Aggregate im Heck der Boliden von Luca Filippi (Herta) und James Jakes (Rahal) quittierten schon nach wenigen Runden ihren Dienst.
Castroneves macht großen Schritt in Richtung Titel
© IndyCar
Castroneves' Weste bleibt weiß: Alle Runden der Saison 2013 zurückgelegt Zoom
In der Gesamtwertung konnte Helio Castroneves, der sich in all dem Chaos der Schlussphase noch Platz neun sicherte, seinen Vorsprung auf Scott Dixon um zehn auf deren 49 Punkte ausbauen. Simon Pagenaud schob sich mit seinem zweiten Saisonsieg auf Rang drei nach vorn und geht mit 70 Punkten Rückstand auf Tabellenführer Castroneves in die letzten drei Saisonläufe.
Ryan Hunter-Reay rutschte durch seinen technisch bedingten Ausfall von Tabellenrang drei auf fünf ab. Vierter ist Marco Andretti, der nach vorübergehender Führung in der turbulenten Schlussphase letztlich nur Platz zehn an Land ziehen konnte und damit ebenfalls Punkte liegenließ.
Nach dem turbulenten Baltimore-Grand-Prix legt die IndyCar-Serie nun vier rennfreie Wochenenden ein, bevor es am 5./6. Oktober beim Double-Header auf dem Stadtkurs von Houston weitergeht.