• 27.03.2011 21:05

  • von Pete Fink

St. Pete: Franchitti dominiert - de Silvestro sensationell!

Dario Franchitti gewann einen chaotischen IndyCar-Saisonauftakt vor Will Power und Tony Kanaan - Simona de Silvestro sensationelle Vierte!

(Motorsport-Total.com) - Was für ein Auftakt in die neue IndyCar-Saison 2011! Der Honda Grand Prix of St. Petersburg bot ein hochklassiges IndyCar-Rennen, in dem Titelverteidiger Dario Franchitti (Ganassi) nach 100 teilweise dramatischen Runden souverän die Oberhand behielt. Zweiter wurde Polesitter Will Power (Penske) vor Last-Minute-Rückkehrer Tony Kanaan, der erst vor sechs Tagen seinen KV/Lotus-Vertrag unterschrieben hatte.

Titel-Bild zur News: Marco Andretti, Scott Dixon, Mike Conway

Spektakulärer Auftakt: Marco Andretti fliegt über Scott Dixon und Mike Conway

Die Sensation des sonnenüberfluteten Florida-Sonntags war jedoch Simona de Silvestro (HVM), die sich in einer chaotischen Anfangsphase als Königin der spektakulären Double-File-Restarts entpuppte und am Ende einen nicht zu erwartenden vierten Platz holte. Dabei hatte Kanaan noch Glück, denn die 22-jährige Schweizerin setzte den IndyCar-Routinier in der Schlussphase massiv unter Druck.


Fotos: IndyCars in St. Petersburg


Nach einer turbulenten Woche mit dem kurzfristigen Abschied ihres Chefingenieurs Michael Cannon, der sich ausgerechnet der KV/Lotus-Truppe ihres St-Pete-Konkurrenten Kanaan anschloss, war dies mehr als nur ein deutliches Lebenszeichen der kleinen HVM-Mannschaft. Es bedeutete natürlich auch de Silvestros bestes IndyCar-Resultat, was genau so für Takuma Sato galt, der im zweiten KV/Lotus grundsolider Fünfter wurde.

Natürlich wurde dies alles erst möglich, weil in einer hoch turbulenten Anfangsphase mehrere Top-Autos aus dem Rennen gerissen wurden. Oder besser gesagt: Die Saison 2011 begann gleich mit einem wahren Paukenschlag. Beim Sprint in Kurve eins von Runde eins gerieten Helio Castroneves (Penske) und Marco Andretti (Andretti) aneinander. "Helio hat seinen Bremspunkt um ein ganzes Footballfeld verpasst", beschrieb Andretti den Auslöser des folgenden Chaos. Nach dem Castroneves-Verbremser rollte Andretti mit einem Überschlag über das Auto von Scott Dixon (Ganassi), während Ryan Briscoe (Penske) und Mike Conway (Andretti) mit verbogenen Aufhängungen an die Box zurückhumpelten.

De Silvestro mit fantastischen Restarts

Simona de Silvestro

Simona de Silvestro zeigte in St. Petersburg ein Bombenrennen Zoom

Andretti (24.) und Conway (23.) waren damit sofort aus dem Rennen, Castroneves (20.), Briscoe (18.) und Dixon (16.) fuhren den Saisonauftakt mit großem Rundenrückstand nur noch zu Ende. Doch das Chaos ging sofort weiter: Den folgenden Restart in Runde fünf versemmelte Polesitter Power völlig und musste sich hinter Franchitti und Kanaan auf Platz drei einordnen. Kaum war das Feld wieder auf Touren, gerieten im hinteren Bereich Ana Beatriz (Dreyer & Reinbold; 14.) und Graham Rahal (Ganassi; 17.) aneinander, was letzterem den Heckflügel kostete. Auch Danica Patricks Frontpartie war kaputt.

Es schlug die große Restart-Stunde de Silvestros. Von ihrem 17. Startplatz aus tauchte die 22-jährige Schweizerin nach der zweiten Gelbphase schon auf Rang sieben auf. In Restart drei kassierte sie Alex Tagliani (Sam Schmidt; 6.) und in Restart vier holte sie dann zum ganz großen Rundumschlag aus. Im Sprint auf Kurve 1 zog sie nach innen und boxte sich hart gegen Kanaan, Ryan Hunter-Reay (Andretti; 21.) und Will Power durch.

Plötzlich war de Silvestro Zweite, weil sie die von ihr initiierte Kettenreaktion fast unbeschadet nutzen konnte. Kanaan kam ins Schlingern und verlor seine Position an die extrem forsche Eidgenossin, Power wurde mit leicht beschädigtem Seitenkasten zunächst auf Rang sieben zurückgeworfen, während Hunter-Reay mit verbogener Aufhängung an die Box humpelte. Dort kam das Aus. Nach nicht einmal 15 Runden waren drei der vier Andretti-Autos aus dem Rennen, Patrick hatte einen Reparaturbesuch an der Box hinter sich.

Danach war die Reihenfolge zunächst fest zementiert, das Feld kam nach der sehr chaotischen Anfangsphase endlich ins Rollen. Franchitti hatte vor de Silvestro alles im Griff, Kanaan und der schnell zurückschlagende Power folgten. Justin Wilson (Dreyer & Reinbold) und Tagliani hielten einigermaßen den Anschluss, während Rafael Matos (AFS; 7.), James Jakes (Dale Coyne; 15.), Patrick und Sato mit Respektabstand dahinter fuhren.

Franchitti nie in Gefahr

Dario Franchitti

Dario Franchitti hatte die IndyCar-Konkurrenz jederzeit im Griff Zoom

Power setzte seine Aufholjagd in der Folge der ersten Boxenstopps ab Runde 36 fort, als er sich an de Silvestro und Kanaan vorbei auf Platz zwei arbeitete. Ein Rookiefehler von Charlie Kimball (Ganassi; 22.), der nach seinem Reifenwechsel auf noch kalten Firestone-Gummis gleich nach der Boxenausfahrt die Mauer streifte, löste unmittelbar danach die fünfte und letzte Gelbphase aus. Dabei unterlief auch Dale-Coyne-Pilot Jakes ein Anfängerfehler, als er sein Auto beim Losfahren abwürgte.

Der folgende Double-File-Restart brachte erneut leichtes Chaos hervor: Kanaan drängelte sich vorne an de Silvestro vorbei, während dahinter Wilson ins Stocken kam. Das kostete wiederum Danica Patrick ihren zweiten Frontflügel. Der lange Brite fiel auf Platz acht zurück, der US-Superstar musste zum zweiten Mal an die Box und verlor auf Rang 13 über eine halbe Minute. Patrick wurde am Ende als Elfte gewertet.

Das Spitzentrio Franchitti, Power und Kanaan setzte sich bei freier Fahrt nun deutlich ab. De Silvestro hielt ihren vierten Platz mit einem Abstand von zehn Sekunden sicher vor Tagliani, Matos und Sato. Wilson musste in Runde 56 unter Grün mit einem schleichenden Plattfuß an die Box, was Oriol Servia (Nemwan/Haas; 9.), J.R. Hildebrand (Panther; 12.) und Vitor Meira (Foyt; 8.) jeweils einen Platz aufrücken ließ. Wilson leistete sich später noch einen Ausflug in eine Auslaufzone und musste sich mit Rang zehn zufrieden geben.

Dann begannen die letzten Stopps, im Rahmen derer sich bei den Top 4 keine Positionsveränderungen ergaben. Dahinter machte jedoch Sato an der Box zwei Plätze gegen Matos und Tagliani gut und war in Runde 74 neuer Fünfter. Vorne hatte Franchitti nun einen sicheren Vorsprung von sieben Sekunden vor dem Kampfduo Power/Kanaan heraus gefahren. De Silvestro lauerte weitere zwei Sekunden dahinter - und drehte zu diesem Zeitpunkt sogar die schnellsten Runden!

Tolles Duell Kanaan gegen de Silvestro

Tony Kanaan

Das Last-Minute-Engagement und Tony Kanaan: Von null auf Platz drei Zoom

Obwohl die 22-Jährige keinen einzigen der 20 möglichen Push-to-Pass-Buttons benutzt hatte, konnte sie sich an Power und Kanaan anhängen, während Franchitti die Lage vorne unter Kontrolle hatte. Kanaans dunkelgrüner KV/Lotus-Dallara war in der Spitzengruppe das einzige Auto, das in der Schlussphase auf den härteren Blacks unterwegs war und rutschte mit wenig Grip sichtlich herum.

Franchitti und Power waren vorne auf und davon gefahren, während de Silvestro den Druck auf Kanaan nun deutlich erhöhte. Ihr HVM-Team gab die Losung aus, kein übermäßiges Risiko einzugehen und Kanaan nur dann ernsthaft anzugreifen, wenn sich eine echte Überholchance bieten würde. Denn logischerweise wollte man diesen tollen vierten Platz nicht ohne Not wegwerfen.

In Runde 97 machte Kanaan eingangs Start und Ziel einen kleinen Fehler, was de Silvestro in direkte Schlagdistanz zum IndyCar-Routinier brachte. Gemäß den aktuellen IndyCar-Regeln war Kanaans Verteidigungsmanöver laut HVM-Teamchef Keith Wiggins "hart an der Grenze zum Blocking", was wiederum eine Strafe nach sich ziehen würde. Doch de Silvestro steckte klugerweise zurück und fuhr ihren vierten Platz nach Hause.

Wie 2010: Franchitti gegen Power

Tony Kanaan

Zwei Kumpels auf dem Podium: Tony Kanaan und Dario Franchitti Zoom

"Das ist ganz einfach unglaublich", lautete ihr erstes Fazit. "Auf den Reds konnte ich richtig pushen, vielleicht hätte ich den Push-to-Pass-Button schon früher aktivieren müssen." Ein sichtlich erschöpfter Triathlet Kanaan musste im dramatischen Finale alles geben: "Simona hat mir unglaublich Druck gemacht. Ich hatte überhaupt keine Erwartungen, denn ich bin ja erst seit sechs Tagen im Besitz eines Vertrages. Das ist ein gutes Resultat, aber wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns."

Will Power wiederum gab seine Niederlage gegen Franchitti zu: "Speziell auf den Blacks hatten wir in der Rennmitte keine Chance gegen Darios Speed." Der siegreiche Schotte, der bei den Barber-Tests und auch am St-Pete-Wochenende einen eher harzigen Auftakt erwischte, dankte seiner Ganassi-Mannschaft: "Dieses Team hat einen unglaublichen Siegeswillen. Sie geben einfach niemals auf."

Franchitti gegen Power - die IndyCar-Saison 2011 begann also genauso, wie 2010 aufgehört hatte. Dazu ein dritter Platz eines Piloten, der vor einer Woche noch arbeitslos war, ein sensationeller Auftritt von Simona de Silvestro, das beste IndyCar-Resultat von Takuma Sato, sowie eine Menge IndyCar-Asse mit wenig Punkten und vermutlich dickem Hals. Dazu die spektakulären Double-File-Restarts, die in den kommenden Wochen noch für jede Menge Gesprächsstoff sorgen werden - so kann es weitergehen!