• 11.11.2010 19:04

  • von Dieter Rencken

Trulli: "Speziell das Saisonende war hart"

Lotus-Fahrer Jarno Trulli über die längste Saison aller Zeiten, den großen Reisestress in der Formel 1 und das gefährliche Rennen im brasilianischen São Paulo

(Motorsport-Total.com) - Am Wochenende steht das 19. Saisonrennen auf dem Programm, welches das bis dato längste Rennjahr in der Geschichte der Formel 1 beschließt. Doch dabei soll es nicht bleiben, denn Bernie Ecclestone träumt bereits von einer Aufstockung des Kalenders auf bis zu 25 Veranstaltungen. In seiner Medienrunde nimmt Lotus-Fahrer Jarno Trulli ausgiebig Stellung zu dieser Thematik und spricht dabei auch das Rennen in São Paulo an, wo es zuletzt überaus gefährlich zuging.

Titel-Bild zur News: Jarno Trulli

Jarno Trulli ist nicht gerade begeistert vom erweiterten Kalender der Formel 1

Frage: "Jarno, mit 19 Rennen ist die Saison 2010 das längste Rennjahr aller Zeiten, aber wahrscheinlich hat man als Fahrer weniger Kilometer zurückgelegt als in der Vergangenheit. Wie stehst du dazu? Ist das der Weg, den man auch in Zukunft einschlagen sollte?"
Jarno Trulli: "Das ist sicher nicht der richtige Weg und so sollte es auch nicht sein. Wir wussten aber, dass es eine schwierige Saison werden würde."

"Ich bin noch immer bereit, das zu akzeptieren. Für alle Beteiligten war es allerdings ein sehr, sehr langes Rennjahr - für die Fahrer und die Teammitglieder. Speziell das Saisonende war hart. In den vergangenen zwei Monaten haben wir eine regelrechte Welttournee hingelegt, wobei wir uns in vielen unterschiedlichen Zeitzonen bewegten. Das macht unsere Arbeit nur noch stressiger."

Frage: "Kommen wir noch einmal auf die reine Fahrzeit zu sprechen: Aufgrund des Testverbots legt man als Fahrer trotz der langen Saison weniger Kilometer zurück..."
Trulli: "Was man an Testfahrten weglässt, fügt man nun vielleicht am Rennwochenende als Show hinzu. Deswegen wächst die Anzahl der Rennen. Man hat offensichtlich den Eindruck, dass es besser ist, mehr Grands Prix als Testfahrten zu veranstalten."

"Das geht ein bisschen in die Richtung der NASCAR-Mentalität." Jarno Trulli

"Das geht ein bisschen in die Richtung der NASCAR-Mentalität. Dort wird nicht getestet, aber sie fahren viele Rennen. Sie haben bis zu 40 Events in ihrem Rennkalender. Das ist wirklich viel und sie haben eine stressige Saison. Für uns ist die Sache noch schwieriger, denn wir reisen rund um den Globus. Das ist schon eine sehr schwierige Aufgabe und etwas stressiger für den Formel-1-Zirkus."

Frage: "Schon im kommenden Jahr werden es erstmals 20 Rennen sein und Bernie Ecclestone sprach bereits von einer Aufstockung auf 25 Grands Prix pro Saison. Was ist das Maximum, was man als Fahrer absolvieren kann?"
Trulli: "Fahrer, Teams und alle Beteiligten sitzen diesbezüglich im selben Boot. Das Problem beginnt halt, sobald man die ganze Welt bereist. Wenn du die Meisterschaft in Europa hältst, ist alles okay."

"Dort reist man am Donnerstagmorgen an den Kurs und verlässt die Strecke am Sonntagabend. Das ist in Ordnung. Hat man aber einen Kalender wie wir am Saisonende 2010, so hat das einen großen Einfluss auf alle Beteiligten - bei fünf Rennen in Übersee. Das ist wirklich anstrengend. Ich bin froh, das Saisonende erreicht zu haben. Es wäre sehr viel einfacher für uns, wenn wir mehr Rennen in Europa hätten."¿pbvin|512|3275|dhabi|0|1pb¿

Entscheidend sind die Reisen, nicht die Rennen

Frage: "Für dich steht also eher die Reiserei im Vordergrund und nicht die Anzahl der Rennen. Wie viele Grands Prix würdest du persönlich wohl maximal verkraften? Könntest du jetzt noch weitere sechs Rennen bestreiten?"
Trulli: "(lacht; Anm. d. Red.) Das kommt ganz darauf an, wo diese Rennen stattfinden würden."

Frage: "Nehmen wir an, es wären Russland, Indien, USA... Was sagst du dazu?"
Trulli: "Sehen wir es doch einmal so: Auch wenn es wohl nicht passieren wird, könnte man sich Kanada und die USA als Doppelevent vorstellen."

"Wenn man aber so oft durch die Gegend reist, ist der Bogen vielleicht einmal überspannt." Jarno Trulli

"Das wäre in Ordnung. Auch in Asien kann man über ein Back-to-Back-Rennen nachdenken. Wenn man aber so oft durch die Gegend reist, ist der Bogen vielleicht einmal überspannt. Es ist einfach so stressig. Für uns Fahrer ist das noch recht einfach, aber für die Mechaniker ist es ziemlich hart."

Frage: "Und dann wird noch eine Regel verabschiedet, die noch weniger Personal an der Strecke erlaubt, sodass die Leute vor Ort noch mehr zu tun haben..."
Trulli: "Darauf will ich hinaus. Man hat immer weniger Leute an der Strecke, doch es wird gleichzeitig immer schwieriger."


Fotos: Jarno Trulli, Großer Preis von Brasilien


"Ich kann mich noch daran erinnern, dass wir beim Testen in Schichten gearbeitet haben. Das kannst du dir nun nicht mehr leisten. Die Jungs müssen nun einen ganzen Tag lang Vollgas geben. Alle Teammitglieder werden nach diesem Wochenende einen unheimlich starken Job gemacht."

Trulli ist kein Fan des Brasilien-Rennens

Frage: "Wie stehst du zum Rennen in São Paulo? Ich würde nicht gerne dorthin reisen, es sei denn, ihr wollte dorthin..."
Trulli: "Ganz ehrlich: Ich mag es nicht, nach São Paulo zu reisen. Aus dem einfachen Grund: Ich fühle mich dort nicht sicher. Was Button passiert ist, zeigt uns und der ganzen Welt, wie es dort während des Grand-Prix-Wochenendes zugeht. Jeder versucht natürlich, gewisse Vorkehrungen zu treffen, aber was kannst du schon tun, wenn ein bewaffneter Trupp von sechs Männern plötzlich vor dir steht? Da gibt es keinen Unterschied zwischen mir und dir. Sie wissen nicht, wer wir sind."

"Viele Leute arbeiten in dieser Branche. Wir alle sind in Gefahr." Jarno Trulli

"Der Unterschied ist folgender: Ich habe ein kugelsicheres Auto und du hast es nicht. Bei einem Überfall würde ich wohl davonkommen. Du musst mindestens alles hergeben, was du hast. Wir sollten diesbezüglich global denken und nicht auf den Einzelnen bezogen. Wenn der Formel-1-Zirkus auf Reisen ist, gibt es schließlich nicht nur die Fahrer. Viele Leute arbeiten in dieser Branche. Wir alle sind in Gefahr."

Frage: "Werdet ihr Fahrer euch im Rahmen der Fahrergewerkschaft (GPDA) an Bernie Ecclestone wenden?"
Trulli: "Das Problem ist: Wir haben hier eine gewisse politische Situation. Ich denke, man kann das Problem in Brasilien zum Teil in den Griff kriegen, wenn man in einem gewissen Radius um den Kurs Polizeikontrollen durchführt."

"In 99 Prozent der Fälle passiert es schließlich genau in dieser Zone. Ich denke, nicht die Formel 1 sollte handeln, sondern die Leute vor Ort. Speziell, weil es keine tolle Werbung für Brasilien war."

Frage: "Letzte Frage: Kannst du uns noch etwas zu deiner sportlichen Zukunft sagen?"
Trulli: "Bald, bald."