• 27.06.2010 02:06

  • von Dieter Rencken

Barrichello: "Formel 1 soll kein Zirkus werden"

Routinier Rubens Barrichello über F-Schacht, Williams-Aufschwung und Argumente, die gegen die neuen Regeln für 2010 sprechen

(Motorsport-Total.com) - In Valencia sicherte sich Rubens Barrichello gestern mit 0,841 Sekunden Rückstand den neunten Startplatz, schaffte er zum vierten Mal in dieser Saison den Sprung in die Top 10. Williams scheint sich also im Aufschwung zu befinden, aber der Brasilianer will erst Silverstone abwarten, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Darüber und über vieles mehr spricht er im Interview.

Titel-Bild zur News: Rubens Barrichello

Rubens Barrichello ist ein Gegner des verstellbaren Heckflügels für 2011

Frage: "Rubens, erstmals beide Williams in den Top 10. Wie ist es heute für dich gelaufen?"
Rubens Barrichello: "Das Aufwärmen war schwierig und das Auto zog auf eine Seite, daher bekam ich in Q3 keinen fantastischen Run hin. Ich habe das Gefühl, dass ich sonst so Fünfter oder Sechster geworden wäre, ungefähr im Bereich von Massa."#w1#

Nur ein Williams mit F-Schacht-System

Frage: "Warum glaubst du, dass euer Auto hier konkurrenzfähig ist? Ist es streckenspezifisch, ist es der F-Schacht, ist es eine andere Änderung?"
Barrichello: "Der F-Schacht ist immer ein Plus. Die Leute glauben immer, dass er fantastisch funktioniert, aber ganz so einfach ist es nicht. Der Beweis dafür ist, dass das andere Auto nicht damit ausgestattet war, denn sie bekamen es für ihn nicht so hin, wie er das gerne haben würde. Wir haben trotzdem fast den gleichen Topspeed."

"Ich finde es gut, damit zu fahren, um Erfahrungen zu sammeln, aber insgesamt hat sich die Charakteristik des Autos seit Montréal verändert. Wir haben verändert, wie der Anpressdruck am Auto funktioniert. Durch den neuen Unterboden und einige andere Teile ist das Auto besser geworden. Das war schon in Kanada so, aber Kanada ist keine Strecke, auf der sich so etwas stark auswirkt."

Frage: "Könnt ihr jetzt auch mit niedrigerer Bodenhöhe vorne fahren? Das ist ein Punkt, den du immer kritisiert hast..."
Barrichello: "Wir haben die Bodenhöhe verbessert, ja."

Frage: "Wie positiv stimmt dich dieses Ergebnis angesichts der Tatsache, dass ihr für Silverstone ein relativ großes Update bekommt? Damit würdet ihr dann ja recht weit vorne mitmischen..."
Barrichello: "Ich könnte natürlich optimistisch sein und sagen, dass es nicht nur an der Strecke hier liegt, aber ich würde lieber auf dem Boden bleiben und auf Silverstone warten."


Fotos: Rubens Barrichello, Großer Preis von Europa


"Silverstone ist eine ganz andere Strecke - eine, die ich sehr liebe, aber eine andere. Sie ist sehr schnell. Ich habe das MotoGP-Rennen mit den neuen Kurven gesehen, durch die sich ein bisschen was verändern könnte. Wenn wir in Silverstone genauso gut oder noch besser abschneiden, dann sind das gute Nachrichten. Dann würden wir bis zum Saisonende generell besser aussehen als in der ersten Saisonhälfte."

Frage: "Du hast gesagt, dass dein Topspeed fast gleich mit jenem von Nico war, obwohl nur du mit F-Schacht gefahren bist. Bedeutet das, dass du den F-Schacht-Effekt eher in zusätzlichen Anpressdruck investiert hast?"
Barrichello: "Ja. Der Grund, warum wir den F-Schacht verwenden, ist, dass man damit mehr Anpressdruck fahren kann, ohne Höchstgeschwindigkeit auf den Geraden zu verlieren. Wir haben es hinbekommen, aber es ist noch kein Riesenunterschied. Man kann schon sagen, dass unser F-Schacht funktioniert, denn er bringt drei km/h, aber drei km/h sind nicht viel. McLaren nutzt das viel besser."

Frage: "Ihr habt schon so viele Knöpfe im Cockpit, die ihr bedienen müsst, oftmals auch während einer Qualifyingrunde. Jetzt gibt es noch ein zusätzliches Element. Lenkt das vom Fahren ab oder geht das ganz automatisch?"
Barrichello: "Es ist eine Herausforderung. Ich finde es fantastisch, ein so cleveres System am Auto zu haben, aber als ich zum ersten Mal das Bremspedal bewegt habe, war mein Bein im Luftstrom. Dann musst du das ganze Ding umbauen."

Verbot des F-Schacht-Systems positiv

"Ich finde es korrekt, es für nächstes Jahr zu verbieten, denn es widerspricht den Prinzipien. Manchmal komme ich mir eher wie in einem Labor als in einem Rennauto vor, aber es ist fantastisch, wie wir mit solchen Dingen umgehen müssen. Ich finde das erstaunlich."

Frage: "Hättet ihr das Loch bei der ersten Lösung nicht einfach woanders platzieren können, damit es keine Probleme mit den Bremsen gibt?"
Barrichello: "Nein. Es ist auch für die Ingenieure eine Herausforderung, aber für einen ersten Versuch funktioniert es ziemlich gut, finde ich."

Frage: "Für nächstes Jahr gibt es einige Regeländerungen - Verbot von Doppeldiffusor und F-Schacht, verstellbarer Heckflügel, KERS -, die die Rennen spannender machen sollen. Was versprichst du dir davon?"
Barrichello: "Prinzipiell versucht die FIA, eine gute Show zu veranstalten. Manchmal sehen wir in der GP2 eine bessere Show als in der Formel 1. Es ist eine Lernkurve, aber wir dürfen nicht vergessen, dass hier die besten Rennfahrer der Welt am Start sind. Die Formel 1 soll kein Zirkus werden."

"Über den Heckflügel sollten wir noch einmal diskutieren." Rubens Barrichello

"Über den Heckflügel sollten wir noch einmal diskutieren, denn ich bin mir nicht wirklich sicher, ob es zielführend ist, wenn man künftig überholen kann, indem man auf den Geraden einen Knopf drückt. KERS war in der Vergangenheit nur für McLaren gut, denn sie konnten überholen, aber wenn du hinter denen warst, hattest du keine Chance, sie zu überholen. Wir müssen uns das anschauen."

Frage: "Wärst du dafür, dass ihr Fahrer den verstellbaren Heckflügel so einsetzen könnt, wie ihr wollt, und nicht nur in bestimmten Momenten?"
Barrichello: "Man könnte ja sagen, dass man den Knopf maximal dreimal nutzen darf. In der GP2 und in anderen Kategorien sehen wir mehr Überholmanöver, weil sie einen Push-to-Pass-Knopf haben."

Frage: "Die Reifenperformance ist sehr inkonstant. Selbst erfahrene Piloten wie Fernando Alonso, Michael Schumacher und Robert Kubica fahren manchmal eine schnelle Runde und dann gleich wieder eine langsame. Wie kommst du damit klar? Wie schwierig ist es, die Reifen zu lesen und das Maximum aus ihnen herauszuholen?"
Barrichello: "Das Fenster ist sehr klein. Manchmal überfahren die Leute die Reifen einfach zum falschen Zeitpunkt."

Frage: "Kommen die Reifen dann noch einmal zurück oder nicht?"
Barrichello: "Wenn du Zeit hast, sie abkühlen zu lassen, dann ja, aber sonst nicht. Die Formel 1 verändert sich sehr schnell. Wenn du am Freitag irgendetwas übersiehst, was mit der Reifentemperatur zu tun hat, und am Samstag baust du dann das Setup um, dann kann es sein, dass es an den Reifen liegt, wenn es schlecht läuft. Das ist manchmal der Grund."